Fußball-EM

Spanien nach Elfmeterschießen weiter

Spanien hat sich ins Halbfinale der Fußball-EM 2021 gerettet. Die Auswahl von Luis Enrique setzte sich am Freitag in St. Petersburg trotz rascher Führung gegen letztlich zehn tapfere Schweizer nach Kampf mit 3:1 nach Elfmeterschießen durch. Für die Eidgenossen ging das EM-Märchen damit trotz ihres erneut überragenden Schlussmanns Yann Sommer zu Ende.

Ein Eigentor von Denis Zakaria (8.) hatte die Schweizer unglücklich in Rückstand gebracht. Die spielbestimmenden Spanier verwalteten den Vorsprung daraufhin geschickt, ehe Xherdan Shaqiri (68.) überraschend den Ausgleich schaffte. Nach dem Ausschluss von Remo Freuler (77.) mit einem Mann weniger, rettete die Elf von Erfolgscoach Vladimir Petkovic sich noch in die Verlängerung und sogar ins Elferschießen, in dem die Kräfte offenbar ausgingen – gleich drei Schweizer verschossen, ehe Mikel Oyarzabal den Aufstieg der Spanier fixierte.

Die Favoritenrolle war schon davor an Spanien vergeben. Mit dem Vertrauensvorschuss von zehn Toren in den vergangenen beiden Spielen gegen die Slowakei und Kroatien trat die „Furia Roja“, Weltmeister (2010) und dreifacher Europameister (1964, 2008, 2012), den Schweizern gegenüber, die ihrerseits nach der Sensation und dem Sieg im Elferschießen gegen Weltmeister Frankreich mit breiter Brust antraten und den Erfolgslauf prolongieren wollten.

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Fans der Schweiz
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Die Schweizer Fans, die die Reise nach Russland mitgemacht hatten, sind vor dem Anpfiff bester Laune
Das Stadion in Sankt Petersburg
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22.000 Zuschauer sorgen im St. Petersburger Stadion für prächtige Stimmung
Spanische Spieler beim Aufwärmen
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Vor dem Spiel gehen es die Spanier beim Aufwärmen noch betont locker an
Torwart Yann Sommer schaut dem Ball nach
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In der achten Minute muss Schweiz-Goalie Yann Sommer einem abgefälschten Schuss tatenlos zuschauen
Jubel von Alvaro Morata und Jordi Alba
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Alvaro Morata und Jordi Alba dürfen früh über den Führungstreffer jubeln
Zuschauer machen die Welle
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Auch die mitgereisten spanischen Fans hält es nicht auf den Sitzen
Xherdan Shaqiri trifft zum Ausgleich
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Nach der Pause schlägt Shaqiri nach einem Patzer eiskalt zu und trifft zum Ausgleich
Xherdan Shaqiri jubelt
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Der Kapitän kann sein Glück kaum fassen
Gerard Moreno wird von Remo Freuler gefoult
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Eine harte Grätsche brockt Freuler, der den Ausgleich aufgelegt hatte, einen Platzverweis ein
Schwizer Coach Vladimir Petkovic feuert sein Team an
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Vor dem Beginn der Verlängerung peitscht Schweiz-Teamchef Petkovic seine Mannen noch einmal an
Spanien Mikel Oyarzabal trifft den entscheidenden Elfmeter
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Oyarzabal schickt Sommer in die falsche Ecke und sorgt für die Entscheidung
Jubel der Spanier
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Nach aufreibenden 120 Minuten und Elfmeterschießen sind die spanischen Spieler nicht mehr zu halten

Dass es in bisher 22 Spielen gegen Spanien erst einen Sieg (WM-Vorrunde 2010) gab, vermochte die Schweizer Auswahl von Vladimir Petkovic nicht zu irritieren. Obwohl die Defensive Sorgen bereitete: Acht Tore und damit mehr als jeder andere Viertelfinalist kassierte die Schweiz bisher. Ausgerechnet gegen die Tormaschine Spanien hofften die Eidgenossen auf Besserung. Kapitän Granit Xhaka fehlte wegen einer Gelb-Sperre.

Zakaria ersetzt Xhaka

Für Xhaka rückte wie erwartet Zakaria in die Startformation. Die Kapitänsbinde übernahm Liverpool-Legionär Shaqiri. Zentral diesmal in einer Dreierabwehrkette spielte Manuel Akanji, Steven Zuber sollte aus dem Mittelfeld heraus für Gefahr sorgen. Als Back-up ganz hinten stand Sommer, der im Achtelfinale im Elfmeterschießen zum Helden avanciert war und der „Nati“ mit seiner Parade gegen Superstar Kylian Mbappe den Weg in das Viertelfinale geebnet hatte.

Enrique veränderte seine Startelf an zwei Positionen. Für den angeschlagenen Jose Gaya rutschte Jordi Alba als Linksverteidiger in die Mannschaft, Pau Torres ersetzte halblinks Eric Garcia. Der Rest der Mannschaft blieb im Vergleich zur Anfangsformation beim Achtelfinal-Erfolg über Kroatien gleich. In der Zentrale zog Kapitän Sergio Busquets die Fäden, links spielte erneut der erst 18-jährige Pedri, rechts sollte Koke Akzente setzen. Den Angriff bildeten Mittelstürmer Alvaro Morata, Ferran Torres und Pablo Sarabia.

Führung wie aus dem Nichts

Wie erwartet drängten die Spanier nach vorne, während die Schweizer auf Konter lauerten. Den ersten und damit die Chance der Schweizer vergab Shaqiri bereits in der zweiten Minute aus der Distanz. Immer wieder fand die Petkovic-Truppe in der Anfangsphase den Weg vors spanische Tor, ohne davon zu profitieren. Gefährliche Chancen vermochten die Spanier auch nicht zu kreieren.

Wie aus Nichts gingen sie in Führung. Nach einem Eckball von Koke nahm Jordi Alba außerhalb des Strafraums Maß und zog ab. Zum Pechvogel wurde Xhaka-Ersatz Zakaria, der retten wollte und den Ball unhaltbar für Sommer ins eigene Tor lenkte. Der Frust währte nur kurz. Schon gegen Frankreich hatten die Schweizer ein 1:3 aufgeholt. Würde ihnen das Comeback auch gegen Spanien gelingen?

Eigentor von Zakaria

Jordi Alba kommt nach einem Corner an der Strafraumgrenze zum Abschluss. Sein Schuss wird von Zakaria unhaltbar ins eigene Tor abgelenkt.

Schweizer lange Zeit harmlos

Bei einem Freistoß für Spanien an der Strafraumgrenze schrillten erneut die Schweizer Alarmglocken, Koke drehte den Ball über die Latte (17.). Bitter für die Schweiz: Offensivmann Breel Embolo musste verletzt ausgetauscht und durch Ruben Vargas (23.) ersetzt werden. Und so ließen die Spanier nicht locker, per Kopfball nach einer Ecke von Koke vergab Cesar Azpilicueta (25.) die Chance auf das 2:0. Sommer war auf dem Posten.

Spanien kontrollierte die Partie, die Schweiz wirkte bemüht, aber weniger zielorientiert als zuletzt. Ein Kopfball von Akanji (34.) ging ebenso hoch über das Tor von Unai Simon wie der Kopfball von Silvan Widmer (39.). Auf den ersten Torschuss warteten die Schweizer vorerst vergeblich. Das erhoffte Offensivspektakel nach dem frühen Rückstand der Eidgenossen blieb in der ersten Halbzeit aus.

Spannung erst am Schluss

Spanien machte auch nach Seitenwechsel das Notwendige, und das reichte zunächst völlig. Vorne blieben die Spanier gefährlich, wiewohl sie nicht auf das 2:0 drängten. Nach einer schönen Einzelaktion des zur Pause eingewechselten Dani Olmo und Pass in den Strafraum kam Koke per Kopf zum Glück für Sommer nicht mehr richtig an den Ball (50.). Auf der Gegenseite landete ein Eckball von Shaqiri, womöglich wollte er ihn direkt im Tor ablegen, im Außennetz. Die Partie plätscherte dahin, erste Pfiffe wurden laut.

Erste Chance der Schweizer: Nach einem Eckball von Ricardo Rodriguez scheiterte Eigentorschütze Zakaria mit einem wuchtigen Kopfball knapp, um Zentimeter zog der Ball am linken Eck vorbei (56.). Simon wäre geschlagen gewesen. Mit einer Glanzparade rettete der spanische Goalie acht Minuten später bei einem Schuss von Zuber aus kurzer Distanz. Die Schweizer wirkten plötzlich mutiger, aggressiver – und das machte sich bezahlt: Nach einem Defensivfehler der Spanier und Zuspiel von Remo Freuler legte Shaqiri unhaltbar für Simon den Ball zum Ausgleich im linken Eck ab.

Ausgleich durch Shaqiri

Freuler kann einen katastrophalen Fehler der spanischen Abwehr ausnutzen – seinen Ball zur Mitte muss Shaqiri nur noch über die Linie drücken.

Jetzt war Feuer am Dach der Spanier, die wieder einen Gang höher schalten mussten, aber nicht konnten – nicht einmal gegen nur noch zehn Schweizer: Assistgeber Freuler sah wegen groben Foulspiels an Gerard Moreno die Rote Karte (77.). Würden die Kräfte der Petkovic-Elf reichen? Taktische Wechsel auf beiden Seiten folgten, Torchancen auf die mögliche Entscheidung in der regulären Spielzeit nicht mehr. Für beide Teams gab es zum zweiten Mal in der EM-Finalphase angeordnete Überstunden.

Remo Freuler sieht Rot (77. Minute)

Der Schweizer Remo Freuler muss nach hartem Einsteigen gegen Gerard Moreno vom Platz – glatt Rot.

Zehn Schweizer beweisen Moral

In Unterzahl war die Verlängerung für die Schweizer eine heikle Angelegenheit. Prompt hatte Moreno, der von Alba ideal eingesetzt worden war, das 2:1 für Spanien am Fuß – sein Schuss streifte am linken Pfosten vorbei (92.). Einen präzisen Schuss von Alba drehte Sommer dank starker Reaktion gerade noch über die Latte (95.). Auch bei einer weiteren Chance Morenos zeichnete sich Sommer aus (101.), einen Ball von Sarabia fischte der Gladbach-Legionär aus dem linken Eck (103.).

Die Spanier waren am Drücker, zehn Schweizer höchst unter Druck und im eigenen Strafraum gefangen. Dank des Schlussmanns Sommer und mangelnder Effizienz der Spanier blieben sie im Spiel. In Halbzeit zwei der Verlängerung vergab Marcos Llorente die Riesenchance auf die Entscheidung mit einem Schuss nahe vom Elferpunkt, als er einen Verteidiger anschoss (110.), kurz darauf griff Sommer wieder rettend ein (111.) – der gescheiterte Schütze Olmo konnte es nicht glauben.

Chancenlos im Elfmeterschießen

Mit unglaublichem Kampfgeist hielten die Schweizer dem Angriffswirbel irgendwie stand. Die Spanier begannen zu hadern, schier verzweifelt suchten sie die Entscheidung, ohne fündig zu werden. Sommer blieb unantastbar und rettete die Schweiz ins Elferschießen – wie davor gegen Frankreich, als er später den entscheidenden Elfer von Superstar Kylian Mbappe entschärfte. Schweizer Freud oder Leid hing erneut an ihm.

Die Spanier zitterten. So überlegen sie waren, so nahe standen sie vor dem Aus. Mit Sommer als Rückhalt hatten die Schweizer im Elferschießen mental vermeintlich alle Trümpfe in der Hand. Physisch kam ihnen das lange Unterzahlspiel offenbar teuer zu stehen. Fabian Schär, Akanji und Vargas vergaben hintereinander für die Schweiz. Den entscheidenden Elfer für die Spanier verwertete Oyarzabal. Sommer vermochte nichts auszurichten. Der fünfte Elfer blieb den Schweizern erspart. Der Traum vom ersten EM-Halbfinale war geplatzt.

Stimmen zum Spiel

Vladimir Petkovic (Teamchef Schweiz): „Wir waren alles Helden, die Spieler waren Helden auf dem Feld. Heroisch über 120 Minuten. Sie hätten es verdient gehabt, weiterzukommen, aber sie waren auch müde. Gegen die Spanier ist es schon ohne Rote Karte schwierig, weil sie auch bei elf gegen elf den Ball in den eigenen Reihen halten können. Es gibt mehr positive als negative Gefühle.“

Luis Enrique (Teamchef Spanien): „Ich habe von Beginn an gesagt, dass wir eines von sieben oder acht Teams sind, das – ohne Übertreibung – dieses Turnier gewinnen kann. Jetzt sind wir eines von vier. Wir wollen jetzt alle ins Finale und dort gewinnen.“

Fußball-EM, Viertelfinale

Freitag:

Schweiz – Spanien 1:1 n.V. 1:3 i.E. (1:1, 0:1)

St. Petersburg Stadion, 24.764 Zuschauer, SR Oliver (ENG)

Torfolge:
0:1 Zakaria (8./Eigentor)
1:1 Shaqiri (68.)

Elfmeterschießen:
0:0 – Busquets an die Stange
1:0 – Gavranovic trifft
1:1 – Olmo trifft
1:1 – Schär scheitert an Simon
1:1 – Rodri scheitert an Sommer
1:1 – Akanji scheitert an Simon
1:2 – Moreno trifft
1:2 – Vargas schießt über das Tor
1:3 – Oyarzabal trifft

Schweiz: Sommer – Widmer (100./Mbabu), Akanji, Elvedi, Rodriguez – Freuler, Zakaria (100./Schär) – Zuber (92./Fassnacht), Shaqiri (81. /Sow), Embolo (23. /Vargas) – Seferovic (82. /Gavranovic)

Spanien: Simon – Azpilicueta, Laporte, P. Torres (113./ Thiago), Alba – Koke (92. /M. Llorente), Busquets, Pedri (119./ Rodri) – F. Torres (90./ Oyarzabal), Morata (54. /Moreno), Sarabia (46. /Olmo)

Rote Karte: Freuler (77./Foul)

Gelbe Karten: Widmer, Gavranovic bzw. Laporte