Gareth Southgate (ENG)
Reuters/Carl Recine
Fußball-EM

Southgates Alptraum soll mit Titel enden

Für Teamchef Gareth Southgate bietet sich die Chance, England zum ersten Titel seit 55 Jahren zu führen. Die Krönung am 11. Juli im Wembley-Stadion wäre für den 50-Jährigen auch eine Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit. Vor 25 Jahren erlebte der ehemalige Verteidiger nämlich seinen bittersten Moment als Spieler, als ihm im EM-Halbfinale die Nerven versagten. Ein Alptraum, der ihn bis heute verfolgt.

Im Semifinale zwischen Deutschland und England ging es ebenfalls in Wembley vor 75.862 Zuschauern nach einem 1:1 nach Verlängerung ins Elfmeterschießen. Bis zum 5:5 trafen alle Spieler. Danach scheiterte Southgate mit seinem Penalty an DFB-Goalie Andreas Köpke. Andreas Möller traf und beförderte Deutschland ins Finale. Der Traum einer ganzen Nation war beendet. Für Southgate wurde es zum Tag, den er bis heute nicht vergessen konnte. „Das wird mir immer wehtun“, sagte Southgate vor Kurzem.

„Gareth, du musst dich bei uns nicht für die EM 1996 entschuldigen. Lass los. Wir sind so stolz auf dich“, schrieb Englands Stürmerlegende Alan Shearer in einer Kolumne für das Sportportal The Athletic. Southgate freute sich über die emotionalen Worte seines ehemaligen Teamkollegen. Doch der Zuspruch reicht ihm nicht. Er will diesen Tag am liebsten mit dem EM-Titel endlich aus seinem Gedächtnis tilgen.

Englands Temachef Gareth Southgate, 1996
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Im vollbesetzten Wembley-Stadion wäre Gareth Southgate 1996 wohl am liebsten im Boden versunken

Halbfinale „nur nächste Herausforderung“

Zunächst gilt es aber einmal, am Mittwoch im Halbfinale (21.00 Uhr, live in ORF1) die Dänen zu überwinden . Die Skandinavier sollen für die „Three Lions“ nur ein Zwischenschritt zum Titel sein. „Wir hatten in der Vergangenheit bereits so viel Pech und haben viele Hürden übersprungen, und ich habe das Gefühl, dass das nur die nächste Herausforderung ist“, sagte der 50-Jährige. „Wir geben uns nicht damit zufrieden, dass wir im Halbfinale sind.“

Vor drei Jahren bei der WM in Russland, als die Engländer im Halbfinale gegen Kroatien mit einer 1:2-Niederlage nach Verlängerung ausgeschieden waren, war das laut Southgate noch ein wenig anders: „Obwohl wir nach dem Halbfinale natürlich extrem enttäuscht waren, hatten wir auch das Gefühl, dass wir es weit geschafft haben.“

„Wir haben uns mit jedem Spiel bei dieser EM verbessert. Und ich glaube, dass wir noch besser werden können. Und das werden wir auch“, sagte Englands Abwehrchef Harry Maguire. Die Mannschaft sei besser als noch bei der WM vor drei Jahren. „Wir sind erfahrener. Auch die Niederlage gegen Kroatien hat uns geholfen, wir haben daraus gelernt“, meinte der Manchester-United-Spieler.

„Dank Southgate ist England wieder in Mode“

Fast vier Jahre hat Southgate benötigt, um das oft komplizierte Verhältnis zwischen Fans und Nationalmannschaft komplett zu drehen. „Unsere Nation der Helden“, titelte die „Daily Mail“ am Montag zu Fotos von den Nationalspielern Raheem Sterling und Harry Kane. Dabei wurde Southgate selbst zu EM-Beginn noch kritisch beäugt, weil sein Team trotz zahlreicher Offensivstars nicht durch die Vorrunde wirbelte, sondern trockenen Ergebnisfußball ablieferte.

„Den Menschen so viel Freude zu geben, ihnen Hoffnung zu geben, das gehört zu den Privilegien unseres Jobs“, sagte Southgate. Es ist ein typischer Satz von ihm. Dem ehemaligen Verteidiger ist es gelungen, eine gespaltene Nation hinter ihrer wichtigsten Mannschaft zu vereinen. „Dank Southgate ist England wieder in Mode“, schrieb die Tageszeitung „The Times“ am Montag. Und sollten die „Three Lions“ tatsächlich den Titel holen, dann wird der 26. Juni 1996 auch in Southgates Gedächtnis nur noch eine Randnotiz sein.