Dänemark jubelt mit EM-Pokal, 1992
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Fußball-EM

Dänische Parallelen zum Sommer 1992

Es war 1992, als sich Dänemark aus dem Nichts zum Europameister gekürt hat. Fast 30 Jahre später bietet sich der Fußballnation wieder die Chance auf den großen Coup. Damals wie heute startete man mit zwei Spielen ohne Sieg ins Turnier, erreichte jeweils zumindest das Semifinale. Auch dieses Mal begleiteten unvorhergesehene Ereignisse die Teilnahme.

Von den zehn Europameistern, die es im Fußball schon gegeben hat, waren zumindest zwei ziemlich überraschend. Bereits zwölf Jahre vor dem griechischen EM-Wunder von 2004 kamen die Dänen 1992 zum Turnier nach Schweden, um letztlich alle zu verblüffen. Als Ersatz für Jugoslawien feierte die Mannschaft des damals umstrittenen Trainers Richard Möller Nielsen den größten Triumph in ihrer Fußballgeschichte.

29 Jahre später starteten die Dänen als Nummer zehn der Welt als gefährlicher Außenseiter ins Turnier, wurden aber vom tragischen Vorfall rund um Mittelfeldstar Christian Eriksen im Auftaktspiel gegen Finnland (0:1) aus der Bahn geworfen. Noch nie schaffte es ein Team nach zwei Niederlagen ins EM-Semifinale, nun hofft man noch einmal, einen Sommer wie damals zu erleben, als der dänische Coup gelang.

Eine zweite Chance

Dänemark hatte sich Anfang der 1990er für die Endrunde in Schweden sportlich nicht qualifiziert. Zum einen war die Teilnahme von Haus aus schwieriger, weil beim finalen Turnier nur acht Teams mitwirken durften, zum anderen lag Dänemark in der Qualifikation hinter Jugoslawien auf Rang zwei – nur der Gruppensieger löste ein Ticket. Randnotiz: Österreich wurde punktegleich mit den Färöern Vierter.

Jugoslawien, das vom späteren Sturm-Erfolgscoach Ivica Osim trainiert worden war, wurde aufgrund des Krieges auf dem Balkan vom Turnier ausgeschlossen. Möller Nielsen erfuhr davon aus dem Radio, als er gerade seine Küche zu renovieren versuchte. Dänemark rutschte als Tabellenzweiter der Gruppe nach, und der detailverliebte Coach trommelte seine Mannschaft teilweise aus dem Urlaub zusammen.

Erst kritisiert, dann gefeiert

Möller Nielsen übernahm 1990 vom deutschen Trainer Sepp Piontek, der Dänemark elf Jahre lange trainiert und das Team bereits 1984 ins EM-Halbfinale geführt hatte. Möller Nielsen arbeitete in den drei Jahren zuvor als Teamchefassistent, aber nicht jeder im Verband befand ihn auch als würdigen Nachfolger. Doch nach mehreren Absagen durfte am Ende Möller Nielsen ab 1990 übernehmen.

Richard Möller-Nielsen jubelt nach dem EM-Finale 1992
AP/Kim Agersteen
Wer zuletzt lacht, lacht am besten: Richard Möller Nielsen hatte es am Ende alle seinen Kritikern gezeigt

Nach der verpassten Qualifikation bekam man eine zweite Chance – und keiner rechnete mehr mit mehr als drei Spielen. „Jungs, geht raus und blamiert euch nicht“, sagte Möller Nielsen, um anzufügen: „Macht euch stolz, das reicht mir vollkommen.“ Nach einem 0:0 gegen den aktuellen Halbfinal-Gegner England setzte es ein 0:1 gegen Schweden.

Doch das Team wusste sich zu steigern, der Teamgeist wuchs, und es folgten Siege gegen Frankreich (2:1), Titelverteidiger Niederlande (5:4 im Elfmeterschießen) und der Finalsieg gegen Deutschland (2:0). John „Faxe“ Jensen und Kim Vilfort sorgten für die Sensation, die der sonst angestrengte Möller Nielsen auch mit einem überraschenden Besuch in einem Fast-Food-Lokal möglich gemacht hat. „Er hat uns dadurch eine Facette von sich gezeigt, die wir noch nicht kannten. Nach diesem Essen wollte mehr für ihn tun“, sagte Peter Schmeichel später.

Der damalige Goalie spielte für Manchester United, der Offensivspieler Brian Laudrup für Bayern München. Die Spieler hatten also durchaus Qualität, doch der für ein Turnier so entscheidende Teamgeist ließ die Mannschaft gegen favorisierte Teams über sich hinauswachsen.

Teamgeist bringt Dänemark wieder weit

2021 startete Dänemark mit Niederlagen gegen Finnland (0:1) und Belgien (1:2) ins Turnier, was nach Eriksens Zusammenbruch samt Herzstillstand auf dem Feld alles nebensächlich war. Doch in Folge der Besserung des Gesundheitszustandes des Inter-Legionärs verbesserten sich auch die Ergebnisse der Dänen. Russland wurde in der „magischen Nacht von Kopenhagen“ mit 4:1 bezwungen, so gelang auch der Aufstieg ins Achtelfinale. Dort hatte Wales am Ende mit einem 0:4 keine Chance, ehe Tschechien im Viertelfinale geschlagen wurde.

„Ich denke jeden Tag an Christian, vor dem Spiel und nach dem Spiel. Ich bin froh, dass er überlebt hat“, sagte Coach Kasper Hjulmand zuletzt nach dem 2:1 gegen die Tschechen in Baku, wohin 1.000 Fans mitreisten. In Gedanken ist der Mittelfeldspieler immer mit.

Dänische Mannschaft jubelt
AP/Naomi Baker
Nach dem Vorfall um Christian Eriksen ist Dänemark zusammengerückt und steht im Halbfinale

Die Reise für die Dänen geht weiter und soll zwar in London enden, nicht aber nach dem Halbfinale. „Wir haben ihn hierher mitgenommen und werden ihn auch mit nach Wembley nehmen“, sagte Hjulmand, der nach dem Kollaps von der Vergangenheit eingeholt worden war. „Ich habe meinen Onkel durch eine Herzattacke auf dem Fußballplatz verloren“, sagte der 49-Jährige im dänischen EM-Quartier in Helsingör.

Seit dem bangen Zittern um Eriksen wird das dänische Team von einer Woge der Zuneigung emotional durch dieses Turnier getragen. Sollte es am Ende doch nicht wieder für einen Coup wie damals reichen, gibt es Schlimmeres. „Diesen Emotionen bleiben ein Leben“, so Hjulmand. Und Barcelona-Legionär Martin Braithwaite brachte es nach dem Spiel gegen Russland auf den Punkt: „Ich spiele zwar für den besten Club der Welt. Aber heute habe ich für die beste Mannschaft gespielt.“