Das Team von Roberto Mancini beeindruckte mit Tempo, Offensivgeist und Finesse. Vom 3:0-Auftaktsieg gegen die Türkei bis zum Semifinal-Triumph im Elferschießen gegen Spanien lieferte Italien starke Auftritte und spielte sich somit in die Herzen nicht nur der italienischen Fans. Aufgrund der gezeigten Leistungen gilt Italien bei den Experten auch als leichter Favorit auf den ersten EM-Titel seit 1968.
England begnügte sich hingegen vor allem in der Gruppenphase mit einer ergebnisorientierten Spielweise. In der K.-o.-Phase konnten sich aber auch die „Three Lions“ steigern. Mut zum bedingungslosen Offensivrisiko ist aber nicht Teil des taktischen Konzepts von Coach Gareth Southgate. England agierte immer mit einer Rückversicherung.
Mit 58 Torabschlüssen hat England nur halb so viele wie Italien (108). Ansonsten ist die Statistik der beiden Teams, was Ballbesitz (52,3 Italien/54,2 England), Passversuche (3.446/3.389), Passgenauigkeit (86,3/87,7) oder Ballgewinne (249/222) betrifft, fast ident. Auch im Vergleich der Mannschaftsteile hat keiner der Finalisten einen großen Vorteil.
Statistik spricht für Italien
Italien gegen England – so lautet das Duell um den Titel der EM 2020. Die seit 33 Spielen ungeschlagene „Squadra Azzurra“ muss allerdings in der Höhle der „Three Lions“ antreten. Immerhin mit einer positiven Bilanz: Noch nie hat Italien bei einer WM- oder EM-Endrunde gegen England verloren.
Italiens Ausnahmetalent und Englands Rückhalt
Im Tor können beide Teams auf einen sicheren Rückhalt vertrauen. Italien hat mit Gianluigi Donnarumma aber ein echtes Ausnahmetalent in seinen Reihen. Obwohl erst 22 Jahre alt, hat der Goalie Erfahrung von 200 Serie-A- und 32 Länderspielen. Donnarumma blieb 1.169 Minuten ohne Gegentor, ehe Sasa Kalajdzic im Achtelfinale die Torsperre brach. Mit seiner Größe von 1,96 Metern ist er bei Flanken eine Macht, aber trotzdem auch reaktionsschnell auf der Linie und mutig beim Herauskommen.

Auf der Gegenseite steht mit Jordan Pickford ein Goalie, der nicht zur ersten Garde zählt. Im Team ist der 27-Jährige seit 2018 als Nummer eins gesetzt. Erst ein Gegentor – im Halbfinale gegen Dänemark aus einem Freistoß – musste der Everton-Tormann hinnehmen. Davor war er 725 Minuten unbezwungen. Bei der EM war er bisher ohne Fehl und Tadel. Pickford darf aber nicht zu hektisch werden, gegen Dänemark leistete er sich beim Herausspielen den einen oder anderen Aussetzer.
Die „Senatoren“ und die Manchester-Kette
Beide Tormänner haben vor sich exzellente Abwehrreihen. Die „Senatoren“ – wie Kapitän Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci in Italien genannt werden – zählen auch mit 36 bzw. 34 Jahren noch zu den besten Innenverteidigern der Welt. Das Duo spielt seit Jahren zusammen und versteht sich blind. Die Außenverteidiger sorgen für Offensive. Rechts spielte sich Giovanni di Lorenzo statt Alessandro Florenzi ins Team. Links wiegt der Ausfall von Leonardo Spinazzola (Achillessehne) schwer. Emerson ist gut, aber kein adäquater Ersatz.
Bei den Engländern hat sich ab dem letzten Gruppenspiel die Viererkette mit einem Mix aus ManCity- und ManUnited-Spielern gefunden. Innen sorgen Harry Maguire und John Stones für absolute Stabilität. Die beiden Hünen sind bei Flanken nicht ins Wanken zu bringen, sorgen aber auch für einen geordneten Spielaufbau. Linksverteidiger Luke Shaw hat hohe Offensivqualitäten, die er mit bisher drei Assists unterstrich. Rechts sorgt Kyle Walker für Dynamik.

Mittelfeld als entscheidender Faktor
Balleroberungen und schnelles Umschalten sind die Aufgaben für Italiens Mittelfeld. Mit dem kampfstarken Marco Verratti, Jorginho und dem offensiver ausgerichteten Nicolo Barella verfügen die „Azzurri“ über die idealen Spieler, um den Plan umzusetzen. Das Trio ist Herz und Hirn des Teams, gibt Tempo und Takt vor. Als Ersatz steht Manuel Locatelli parat, der bisher auch eine gute EM gespielt hat. Gewinnt Italien das Übergewicht im Mittelfeld, könnte das spielentscheidend werden.
England hält mit zwei klassischen „Sechsern“ dagegen. Mit Kalvin Phillips und Declan Rice erfüllen zwei Spieler diese Rolle, die vor der EM nur auf der Insel ein Begriff waren. Mit starken Leistungen spielten sich die Profis von Leeds United und West Ham ins Rampenlicht. Mit Jordan Henderson hat Southgate niemand Geringeren als den Liverpool-Kapitän in der Hinterhand. Für die kreativen Momente und die Verbindung zur Offensive soll Mason Mount sorgen.

Qualität pur in beiden Offensivabteilungen
In Italiens Angriff wirbeln durch die Bank Ausnahmekönner. Links liefert Lorenzo Insigne seit EM-Beginn Spiel für Spiel exzellente Leistungen ab. Federico Chiesa spielte sich statt Domenico Berardi in die Startformation und überzeugte mit seinen Toren gegen Österreich und im Semifinale gegen Spanien. Beide halten bei zwei Toren. Ein Fragezeichen steht hinter Ciro Immobile. Der Mittelstürmer traf in der Gruppenphase zweimal, ging seitdem aber leer aus. Coach Mancini hält am Lazio-Stürmer aber fest und schenkt ihm weiter das Vertrauen.

Gesetzt sind bei England Raheem Sterling und Harry Kane. Der Flügelflitzer sorgt mit seinem Tempo für permanente Gefahr. Kane kam in der K.-o.-Phase so richtig auf Touren und erzielte alle seine vier Treffer. Rechts bekam bisher der 19-jährige Arsenal-Spieler Bukayo Saka oft den Vorzug. Englands großes Plus in der Offensive sind die starken Ersatzleute. Mit Jadon Sancho, Jack Grealish und Phil Foden hat Southgate Spieler auf der Bank, die einem Spiel jederzeit eine Wende geben können. Nicht zu vergessen Marcus Rashford.