Fußball-EM

Italien krönt sich zum Europameister

Italien hat sich zum zweiten Mal nach 1968 zum Europameister gekrönt. Die „Squadra Azzurra“ setzte sich am Sonntag im Endspiel im Londoner Wembley-Stadion gegen England in einem wahren Elfmeterkrimi mit 3:2 durch. Nach 90 Minuten und der anschließenden Verlängerung war es vor 67.173 Fans 1:1 gestanden. Zum Helden für Italien avancierte Goalie Gianluigi Donnarumma, der die beiden abschließenden Penaltys der Engländer hielt.

England legte in seinem ersten EM-Finale der Geschichte einen Traumstart hin und ging bereits in der zweiten Minute durch ein Rekordtor von Luke Shaw in Führung. Für Italien traf Verteidiger Leonardo Bonucci in der 67. Minute und sorgte dafür, dass die intensive und spannende Partie in die Verlängerung und nach torlosen zusätzlichen 30 Minuten ins Elfmeterschießen ging. Dort scheiterten mit den Youngsters Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka gleich drei von Coach Gareth Southgate eingewechselte Spieler.

Für England war es die vierte Niederlage in Folge in einem EM-Elfmeterschießen, womit die „Three Lions“ weiter auf den ersten Titel seit der WM 1966 warten müssen. Die Italiener, bei denen Andrea Belotti und Jorginho im Elferschießen nicht trafen, blieben auch im 34. Spiel in Folge ungeschlagen und belohnten sich drei Jahre nach der verpassten Qualifikation für die WM 2018 nach einem starken Turnier mit dem insgesamt sechsten großen Titel der Geschichte nach den WM-Triumphen in den Jahren 1934, 1938, 1982 und 2006.

Gianluigi Donnarumma pariert gegen Jadon Sancho
Reuters/Facundo Arrizabalaga
Gianluigi Donnarumma wurde im Elfmeterschießen gleich zweimal zur unüberwindbaren Hürde für die Engländer

Southgate überrascht mit Aufstellung

Eingestimmt wurden die Zuschauer, darunter Italiens Präsident Sergio Mattarella, der britische Premierminister Boris Johnson im England-Dress, Prinz William, Ehefrau Kate und Sohn George sowie David Beckham fein gewandet, mit einer Eröffnungsshow rund um einen überdimensionalen EM-Pokal. Danach betraten die Protagonisten den Rasen im Wembley-Stadion. „God save the Queen“ und „Fratelli d’Italia“ wurde mit noch mehr Hingabe gesungen als üblich, schließlich hätte der Anlass nicht größer sein können.

Prince William mit Ehefrau Catherine, Prince George, und Premier Minister Boris Johnson mit Frau Carrie Johnson
Reuters/Paul Ellis
Die Ehrentribüne war gespickt mit Prominenz aus Sport, Politik und Hochadel – und mit Tom Cruise auch einem Hollywood-Star

Southgate veränderte überraschend seine Startelf im Vergleich zum Semifinale taktisch und personell. Der Teamchef brachte mit Kieran Trippier einen zusätzlichen Verteidiger statt des Offensivspielers Bukayo Saka. Damit agierte England wie im Achtelfinale gegen Deutschland mit Kyle Walker, Harry Maguire und John Stones in einer Dreierkette und mit Trippier rechts sowie Shaw links am Flügel. Roberto Mancini fand hingegen keinen Grund für Veränderungen und vertraute auf die gleiche Startformation und Taktik wie gegen Spanien.

England eröffnet Partie mit Paukenschlag

Pünktlich um 20.00 Uhr Ortszeit erfolgte der Anpfiff durch Referee Björn Kuipers, und keine zwei Minuten später hatte die Partie ihren ersten Paukenschlag. Shaw leitete einen Angriff mit einem Pass auf Kane ein. Der Kapitän verlagerte die Partie auf rechts zu Trippier, der eine präzise Flanke schlug. Shaw schlich sich hinter die Abwehr und drosch den Ball mit einem Halbvolley via Innenstange zur 1:0-Führung nach 116 Sekunden ins Tor (2.). Der ManUnited-Spieler hätte sich keinen besseren Tag für seinen ersten Teamtreffer aussuchen können.

Shaw mit dem Führungstreffer

Luke Shaw sorgte für einen Traumstart der Engländer. Der Linksverteidiger traf nach nur 116 Sekunden zur 1:0-Führung.

Eigentlich hatte sich Mancini vor dem Spiel ein schnelles Tor für sein Team gewünscht, um den Engländern Stress zu bereiten. Stattdessen war Italien mit dem schnellsten Finaltor in der EM-Geschichte konfrontiert. Bisher lag der Rekord in Minute sechs aus dem Endspiel zwischen Spanien und der Sowjetunion im Jahr 1964. Der Rückstand hinterließ Spuren bei der „Squadra“, denn England, das sich immer wieder mit präzisen Pässen durch das Mittelfeld spielte, bestimmte bei strömendem Regen das Geschehen in der ersten Viertelstunde.

Italien läuft gegen Bollwerk an

Italien fand keinen Zugriff auf die Partie, da die „Three Lions“ mit viel Selbstvertrauen extrem ballsicher agierten. Überdies musste Jorghino bereits in der 23. Minute am Knie behandelt werden, der Taktgeber im Mittelfeld konnte das Spiel aber fortsetzen. Erst in der 28. Minute verzeichnete Italien den ersten Torversuch aus dem Spiel, der Weitschuss von Lorenzo Insigne fiel aber viel zu harmlos aus. Immerhin bekam Italien mehr Spielkontrolle, was fehlte, war die zündende Idee, um das englische Abwehrbollwerk in Bedrängnis zu bringen.

Am gefährlichsten wurde Italien nach einem Solo von Federico Chiesa, sein Schuss ging knapp vorbei (35.). England agierte aus einer gesicherten Defensive und lauerte auf Chancen. Maguire lieferte eine perfekte Spieleröffnung mit einem 60-Meter-Pass auf Shaw, dessen Hereingabe aber keinen Abnehmer fand (36.). Kurz vor der Pause wurde ein Schuss von Immobile durch Stones geblockt, Marco Verrattis Nachschuss landete bei Goalie Jordan Pickford (45.+1).

Kein Loch in Englands Abwehrketten

Personell unverändert kamen beide Teams aus der Kabine. Italien stand vor der Aufgabe, den Engländern das zweite Tor bei dieser EM zu schießen. Was es brauchte, waren Ideen und jede Menge Laufarbeit, um die englischen Abwehrketten zu zerreißen. Raheem Sterling kam im Zweikampf gegen Giorgio Chiellini zu Fall (48.), zu wenig für einen Elfmeter. Auf der Gegenseite gab es hingegen Freistoß nach Foul von Sterling an Insigne, der aus aussichtsreicher Position vorbeischoss (51.).

Kyle Walker gegen Lorenzo Insigne
Reuters/John Sibley
Kyle Walker und seine Abwehrkollegen machten den Italienern das Leben schwer

Mancini reagierte früh und brachte Bryan Cristante für Nicolo Barella sowie Domenico Berardi für den blassen Immobile (55.). Chiesa wechselte auf den linken Flügel und bereitete gleich eine Chance vor, doch Insigne scheiterte aus spitzem Winkel an Pickford (57.). Fünf Minuten später lieferte Englands Goalie bei einem Flachschuss von Chiesa auf das lange Eck seine bisher größte Tat in der Partie. Die Engländer machten praktisch kaum noch etwas für die Offensive. Nach einem Eckball drehte der wenig beschäftigte Donnarumma einen Kopfball von Stones über die Latte (63.).

Alles wieder offen nach Bonuccis Abstauber

Die nächste Standardsituation ließ dann Italien jubeln. Nach einem Berardi-Corner kam der Ball zu Verratti, dessen Kopfball Pickford an die Stange lenken konnte. Von dort fiel der Ball Bonucci direkt vor die Füße. Selbst für den Innenverteidiger war es kein Problem, aus kurzer Distanz das Spielgerät über die Linie zu drücken. Bonucci ließ sich für seinen achten und wohl bisher wichtigsten Teamtreffer gebührend feiern. Die Engländer wurden für ihre Passivität bestraft, in der 67. Minute war im Endspiel wieder alles offen.

Bonucci staubt zum Ausgleich ab

Innenverteidiger Leonardo Bonucci brachte Italien zurück ins Spiel. Der Routinier war nach einem Eckball zur Stelle und erzielte das 1:1 (67.).

Southgate nahm umgehend zwei Wechsel vor. Für Trippier kam der eigentlich von Beginn an erwartete Saka, womit England wieder auf eine Viererkette umstellte (71.). Beinahe wäre Italien der Doppelschlag gelungen, doch Berardi schoss nach Bonucci-Steilpass über das Tor (73.). Kurz darauf ersetzte Jordan Henderson den ausgepumpten Declan Rice (74.). Danach war Mancini zu einem – für Italien bitteren – Wechsel gezwungen. Der agile Chiesa konnte wegen einer Verletzung das Spiel nicht fortsetzen, für ihn kam Federico Bernardeschi (86.). Trotz sechsminütiger Nachspielzeit gab es für kein Team eine Chance zur Entscheidung – es ging in die Verlängerung.

Kein Treffer in kampfbetonter Verlängerung

Italien ging ohne Insigne in die zusätzlichen 30 Minuten, Andrea Belotti ersetzte ihn. Chiellini verhinderte mit letztem Einsatz einen Querpass von Sterling (96.) und feierte seine Aktion wie einen Treffer. Kalvin Phillips scheiterte nach dem darauffolgenden Eckball mit einem Weitschuss (97.). Davor war Manuel Locatelli für Verratti ins Spiel gekommen (96.), bei England ersetzte Jack Grealish Mason Mount in der nun sehr kampfbetonten Partie (100.). Pickford rettete nach einem Emerson-Stanglpass vor Bernardeschi (103.). Das Wembley-Stadion war längst ein Tollhaus, Fans aus beiden Lagern feierten ihre Teams.

Pickford konnte einen Bernardeschi-Freistoß erst im Nachfassen entschärfen (107.). Auf der Gegenseite verflog sich Donnarumma nach einer Kane-Flanke – ohne Folgen (108.). Jeder Fehler konnte nun die Partie entscheiden. Einmal mehr behielt Chiellini gegen Sterling im Strafraum die Oberhand (111.). Jorginho fuhr Grealish rücksichtslos in den Oberschenkel und sah dafür nur die Gelbe Karte (114.) – die insgesamt fünfte für Italien. Mit Alessandro Florenzi bei Italien und Rashford sowie Sancho zogen bei England die Trainer ihre letzten Wechseloptionen, wohl schon für das Elferschießen.

Jorginho foult Jack Grealish brutal
Reuters/John Sibley
In der Verlängerung wurde auf Biegen und Brechen gekämpft, Jorginho schlug dabei über die Stränge

Elferschießen wird zur Nervenschlacht

Und dort musste auch die Entscheidung fallen – zum zweiten Mal in der EM-Geschichte nach 1976, als Antonin Panenka mit seinem legendären Penalty die Tschechoslowakei zum Triumph lupfte. Southgate und Mancini legten ihre Schützen fest. Die Italiener redeten auf Donnarumma ein und gaben ihm letzte Tipps. Geschossen wurde auf das Tor in der Kurve der englischen Fans. Die beiden Goalies wünschten sich Glück, ehe das Finale seinem Höhepunkt zusteuerte.

Nach verwandelten Elfmetern von Berardi und Kane hatte England den ersten Vorteil auf seiner Seite, da Belotti an Pickford scheiterte. Maguire und Bonucci versenkten ihre Versuche souverän. Danach kippte es allerdings in Richtung der „Squadra Azzurra“, denn ausgerechnet die eingewechselten Rashford (Stange) und Sancho (Donnarumma hielt) scheiterten mit ihren Penaltys. Jorginho hatte den Matchball zum 4:2, doch Pickford hielt England durch Mithilfe der Stange im Rennen. Der 19-jährige Saka musste treffen, doch Donnarumma tauchte ab und krönte Italien zum Europameister.

Fußball-EM, Finale

Sonntag

Italien – England 1:1 n. V., 3:2 i. E. (1:1, 0:0)

London, Wembley-Stadion, 67.173 Zuschauer, SR Kuipers (NED)

Torfolge:
0:1 Shaw ( 2.)
1:1 Bonucci (67.)

Elfmeterschießen:
1:0 – Berardi trifft
1:1 – Kane trifft
1:1 – Belotti scheitert an Pickford
1:2 – Maguire trifft
2:2 – Bonucci trifft
2:2 – Rashford schießt an die Stange
3:2 – Bernardeschi trifft
3:2 – Sancho scheitert an Donnarumma
3:2 – Jorginho scheitert an Pickford und der Stange
3:2 – Saka scheitert an Donnarumma

Italien: Donnarumma – Di Lorenzo, Bonucci, Chiellini, Emerson (118./Florenzi) – Barella (55./Cristante), Jorginho, Verratti (96./Locatelli) – Chiesa (86./Bernardeschi), Immobile (55./Berardi), Insigne (91./Belotti)

England: Pickford – Walker (120./Sancho), Stones, Maguire – Trippier (70./Saka), Philipps, Rice (74./Henderson/120. Rashford), Shaw – Mount (99./Grealish), Sterling – Kane

Die Besten: Chiesa, Bonucci, Donnarumma bzw. Rice, Shaw