Gareth Southgate (ENG)
AP/Andy Rain
Fußball-EM

Southgates Elferdrama geht weiter

England hat den erhofften ersten EM-Titel knapp, aber doch verpasst. Die „Three Lions“ mussten sich am Sonntag im Finale Italien 2:3 im Elferschießen geschlagen geben. Besonders bitter war die Niederlage für England-Coach Gareth Southgate, dessen persönliches Elferdrama in Wembley seine Fortsetzung fand.

Als Spieler war Southgate im EM-Halbfinale 1996, das ebenfalls in Wembley ausgetragen wurde, gegen Deutschland der Unglücksrabe, er vergab beim 5:6 im Elferschießen als einziger der zwölf angetretenen Schützen. Nun hatte er bei seinen Einwechslungen gegen Italien kein glückliches Händchen.

Die unmittelbar vor Ende der Verlängerung gekommenen Youngster Marcus Rashford (23) und Jadon Sancho (21), die die Routiniers Jordan Henderson und Kyle Walker ersetzten, scheiterten vom Elferpunkt ebenso wie Bukayo Saka (19), der auch erst in der 70. Minute eingewechselt worden war. Davor waren Kapitän Harry Kane (27) und Abwehrchef Harry Maguire (28) jeweils erfolgreich.

Gareth Southgate (ENG), 1996
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Southgate weiß, wie man sich nach einem verlorenen Elferschießen fühlt

Alan Shearer, der bei der EM 1996 im Gegensatz zu Southgate getroffen hatte, zweifelte danach an der Strategie seines ehemaligen Teamkollegen. „Man muss mental bereit sein. Sie hatten seit ein paar Stunden keinen Ball gespielt“, sagte er der BBC zu den späten Einwechslungen.

Keane-Kritik an Sterling und Grealish

TV-Experte Roy Keane wiederum kritisierte die erfahrenen Teamspieler Raheem Sterling und Jack Grealish. „Wenn sie Raheem Sterling oder Jack Grealish sind, können sie nicht da sitzen und ein kleines Kind mit 19 Jahren vor sich vorbeilaufen lassen, das geht nicht“, sagte der frühere Star von Manchester United. Damit bezog er sich auf Saka, der aus seiner Sicht im Elfmeterschießen vor der großen Verantwortung hätte geschützt werden müssen. „Beide haben viel mehr Erfahrung, Sterling hat Titel gewonnen. Du siehst dieses kleine Kind und sagst ‚Hör zu, ich trete für dich an‘“, sagte der für seine schonungslosen Analysen bekannte Keane.

Grealish konterte die Kritik von Keane. „Ich habe gesagt, dass ich schießen will“, twitterte der 25-Jährige am Montag. „Der Trainer hat so viele richtige Entscheidungen in diesem Turnier getroffen, und das hat er auch heute Abend getan. Aber ich will nicht, dass die Leute sagen, dass ich keinen Elfmeter schießen wollte, wenn ich gesagt habe, dass ich einen schießen will.“

„Meine Entscheidung als Trainer“

Southgate hatte seine Fehlschützen schon zuvor in Schutz genommen. „Es liegt an mir. Die Elfmeterschützen waren meine Entscheidung, das machen nicht die Spieler“, betonte der ehemalige Verteidiger. „Für die Spieler ist es herzzerreißend, aber sie trifft keine Schuld daran“, sagte Southgate. „Das liegt ganz bei mir, das ist meine Entscheidung als Trainer.“ Er habe auf Basis dessen, was er im Training gesehen hatte, entschieden, wen er im Elferschießen antreten lassen wolle. Man habe zuvor als Team gewonnen, erinnerte Southgate, und verliere nun als Team. „Niemand ist alleine.“

Der „Guardian“ fühlte mit dem Coach: „Für Gareth Southgate mussten es die Elfmeter sein. Die persönliche Story von Englands Teamchef wurde geprägt von seinem entscheidenden Fehlschuss gegen Deutschland damals 1996 in diesem Stadion im Halbfinale dieses Wettbewerbs. Nun, nach 120 nervenaufreibenden Minuten von Englands erstem großem Männer-Finale seit dem WM-Sieg 1966, kochte es einmal mehr zu einem letzten Nerventest hoch“, schrieb die Zeitung.

Erst zweimal vom Punkt erfolgreich

Southgate ist allerdings nicht alleine mit seiner Misere: Von bisher neun Elfmeter-Entscheidungen bei großen Turnieren haben die Engländer nun sieben verloren, bei Europameisterschaften sind es mittlerweile vier in Folge.

Zuletzt hatte sich England noch 2018 im WM-Achtelfinale gegen Kolumbien im Duell vom Punkt durchgesetzt und damit im vierten Versuch erstmals bei einer Weltmeisterschaft im Elfmeterschießen gewonnen. Am Sonntag gab es nun den nächsten Rückschlag.

Southgate lässt Zukunft offen

Wie es mit ihm und der Nationalmannschaft nun weitergeht, ließ Southgate vorerst offen. Es sei „nicht der geeignete Zeitpunkt“, um darüber zu sprechen, sagte er am Montag bei einer Pressekonferenz. Sein Vertrag läuft noch bis nach der WM 2022 in Katar.

„Ich brauche etwas Zeit. Ich brauche eine Pause. Das ist eine großartige Erfahrung, aber sein Land in diesem Turnier zu führen, kostet Kraft.“ Es gebe viel, worüber er nachdenken müsse. „Ich will mich zu nichts länger bekennen als ich sollte“, sagte Southgate. „So, wie ich heute hier sitze, will ich die Mannschaft nach Katar führen. Diese Mannschaft ist noch nicht an ihrem Höhepunkt.“