Novak Djokovic
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US Open

Djokovic holt zum großen Wurf aus

Im vergangenen Jahr hat Dominic Thiem die Gunst der Stunde genutzt: Nach Absagen von Roger Federer und Rafael Nadal und der Disqualifikation von Novak Djokovic holte sich Österreichs Nummer eins bei den US Open in New York seinen ersten Major-Titel. Heuer muss der Niederösterreicher aufgrund einer Handverletzung selbst zuschauen und wird vielleicht Zeuge, wie sich Djokovic in die Geschichtsbücher einträgt. Denn der serbische Superstar ist nur sieben Siege vom ersten Grand Slam seit Rod Laver 1969 entfernt.

Djokovic, der in der ersten Runde auf den norwegischen Qualifikanten Holger Rune trifft, hat heuer bereits die Titel bei den Australian Open, den French Open und in Wimbledon in der Tasche. Damit hat er die Chance, als erster männlicher Spieler seit dem Australier Rod Laver vor 52 Jahren den Grand Slam, also den Triumph bei allen vier Majors innerhalb eines Kalenderjahres, zu schaffen. Bei den Frauen gelang das zuletzt der Deutschen Steffi Graf 1988. Die heute 52-Jährige krönte ihr Traumjahr zudem mit dem Olympiasieg in Seoul. Ein „Golden Slam“ gelang sonst niemandem.

Insgesamt nur fünfmal wurde der Grand Slam geschafft: Don Budge aus den USA war 1938 der erste Spieler überhaupt, Laver gelang der Coup als bisher einzigem Akteur zweimal (1962, 1969). Bei den Frauen stehen die US-Amerikanerin Maureen Connolly (1953), die australische Legende Margaret Court (1970) und eben Graf als Grand-Slam-Siegerinnen in der ewigen Statistik.

Djokovic vor US-Open

Von einem „Jetzt oder nie“ möchte Novak Djokovic vor Beginn der US Open am Montag nicht reden. Der 34-jährige Serbe eröffnet am Dienstag in der Night Session im Arthur Ashe Stadium.

„Ich möchte nicht sagen, dass es ‚jetzt oder nie‘ für mich heißt, weil ich noch mehrere Möglichkeiten haben werde, Majors zu gewinnen. Aber ich weiß nicht, ob ich noch mehr Chancen haben werde, Kalenderslams zu gewinnen“, gestand Djokovic. Zudem sei der Druck auch so groß genug: „Der ist ziemlich groß von mir selbst und natürlich auch von Leuten in meinem Umfeld.“ Aber natürlich wisse er um seine Chance in Flushing Meadows. „Ich habe hier in den Jahren immer sehr gut gespielt. Aber ich blühe unter Druck auf, das habe ich schon oft in meiner Karriere gezeigt.“

Wer, wenn nicht Djokovic?

Die Chancen, dass sich Djokovic in die illustre Gesellschaft einreiht, sind hoch. Neben Thiem mussten auch seine ewigen Rivalen Federer aus der Schweiz und der Spanier Nadal verletzungsbedingt ihre Saison beenden und damit auch für das Turnier in Flushing Meadows passen. „Also wenn Novak Djokovic jetzt nicht Favorit ist bei dem Turnier, wer soll es denn sein?“, sagte der sechsfache deutsche Major-Sieger Boris Becker, der Djokovic einst trainiert hatte: „Djokovic ist mein Topfavorit.“

Die serbische Nummer eins der Welt musste allerdings erst vor Kurzem auch eine schwere Niederlage einstecken. Als Favorit auf Olympiagold nach Tokio gereist, musste sich Djokovic im Halbfinale dem späteren Olympiasieger Alexander Zverev geschlagen geben und fuhr schließlich sogar ohne Medaille nach Hause. Nach der Enttäuschung von Tokio legte Djokovic eine Pause ein und verzichtete auf die Vorbereitungsturniere in den USA.

Dominic Thiem mit US-Open-Pokal
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Im Vorjahr holte Dominic Thiem jenen Pokal, der Djokovic heuer noch zum Grand Slam fehlt

Mit acht Titeln in den vergangenen zwölf Grand-Slam-Turnieren kommt Djokovic aber unabhängig davon mit großem Selbstvertrauen nach New York. Holt der 34-Jährige den Titel, dann hat er nicht nur den Grand Slam, sondern auch den 21. auf Major-Level und damit auch Federer und Nadal hinter sich gelassen. Dazu muss Djokovic aber heuer seine Emotionen besser im Griff haben. Im Vorjahr feuerte der Serbe im Achtelfinale im Frust einen Ball auf eine Linienrichterin und wurde daraufhin disqualifiziert.

Zverev reist auf Erfolgswelle an

Herausforderer Nummer eins dürfte erneut Zverev sein. Beckers Landsmann liegt im Ranking zwar hinter dem ebenfalls hoch gehandelten Russen Daniil Medwedew und Stefanos Tsitsipas aus Griechenland, surft aber nach seinem Olympiasieg und dem Titel beim Masters-1000-Turnier in Cincinnati auf einer Erfolgswelle. Zudem ist Zverev nach seiner Finalniederlage gegen Thiem vor einem Jahr besonders heiß auf den Titel im Scheinwerferlicht von Flushing Meadows. Im Vorjahr musste sich der 24-Jährige nach Zweisatzführung dem Niederösterreicher am Ende doch noch in fünf Sätzen geschlagen geben.

Alexander Zverev (GER)
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Zverev vermieste Djokovic bereits in Tokio den Traum von Olympiagold

„Ich habe während der US Open immer noch mein Spiel gesucht. Ich war nahe am Sieg“, erinnerte sich Zverev an die bittere Niederlage im Vorjahr. „Aber ich freue mich darauf, was heuer noch kommt. Ich weiß, wo ich stehe und wie ich spiele. Ich hoffe, ich kann in New York noch besser spielen.“ Auch er weiß, dass der „Djoker“ der Favorit ist. „Ich glaube, dass er dort unglaubliches Tennis spielen wird, und er wird frisch sein.“

Barty und Osaka Favoritinnen

Bei den Damen ist die Rekordjagd hingegen schon vor Beginn abgeblasen: Serena Williams hat mit bald 40 nun wohl nur noch marginale Chancen, die Bestmarke von Court (24 Major-Titel) mit einem weiteren Triumph noch zu egalisieren. Jedenfalls musste die US-Amerikanerin für ihr Heim-Major wegen einer immer noch nicht ausgeheilten Oberschenkelverletzung (sie war deshalb in Wimbledon gleich zum Auftakt ausgeschieden) absagen.

Ashleigh Barty (AUS)
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Die Weltranglistenerste Ashleigh Barty jagt in New York ihren zweiten Major-Titel

Topfavoritinnen sind nun die Australiern Ashleigh Barty sowie die japanische Titelverteidigerin Naomi Osaka. Unter den Abwesenden ist auch Williams’ Schwester Venus sowie deren Landsfrau Sofia Kenin, die wegen einer CoV-Erkrankung ausfällt. Die Weltranglistenfünfte gewann 2020 die Australian Open und verlor bei den French Open erst im Endspiel. Vielleicht ist aber auch das Turnier von Aryna Sabalenka aus Belarus gekommen: Die Nummer zwei der Welt stand zuletzt in Wimbledon im Halbfinale.

Titelverteidigerin bleibt bescheiden

Im Fokus steht aber vor allem die Form von Osaka. Die Japanerin hatte nach ihrem French-Open-Aus und Problemen mit ihrer mentalen Gesundheit sowohl bei den Olympischen Spielen in ihrer Heimat als auch zuletzt in Cincinnati alles andere als in Topform agiert. „Ich bin ganz glücklich, wie ich derzeit spiele. Natürlich werde ich jetzt nicht sagen, dass ich hier großartig spielen werde. Ich blicke sowieso lieber von Match zu Match“, meinte Osaka.

Die 23-Jährige hatte viel Respekt und Anerkennung erhalten, weil sie eröffnet hatte, seit Jahren unter Depressionen zu leiden. Sie hatte eine Diskussion über mentale Gesundheit im Sport losgetreten, in New York gibt es erstmals ein Angebot für psychische Hilfe – letztlich ein Verdienst der Japanerin. Sie habe damals in Paris vielleicht in jenem Moment Dinge falsch gemacht. „Ich habe viel gelernt, was ich besser machen kann. Ich glaube nicht, dass es wieder zu so etwas kommt“, so Osaka.

Besonders erfreulich für die Spieler, die vor einem Jahr aufgrund der Coronavirus-Pandemie vor leeren Rängen spielen mussten: Auf der Anlage im Corona Park um New Yorker Stadtteil Queens darf wieder die volle Zuschauerkapazität ausgeschöpft werden. Damit ist der Showdown in Flushing Meadows das erste Major-Turnier seit den Australian Open 2020 in Melbourne, das wieder ohne Zuschauereinschränkungen stattfinden kann.