Formel 1

Regenposse sorgt für Kopfschütteln

Der Grand Prix von Belgien 2021 wird einen besonderen Platz in der langen Geschichte der Formel 1 einnehmen. Nach einer Startverzögerung von mehr als drei Stunden wegen Dauerregens wurden am Sonntag vor Einbruch der Dunkelheit nur eine Einführungs- und eine gewertete Runde hinter dem Safety-Car abgespult, um Max Verstappen als Sieger mit halben Punkten hervorzubringen. Das Vorgehen der Rennleitung sorgte für Kopfschütteln – wenig überraschend vor allem bei Mercedes.

Verstappen wurde in Spa-Francorchamps vor Überraschungsmann George Russell im Williams und dessen englischen Landsmann und Serienweltmeister Lewis Hamilton im Mercedes zum Sieger erklärt – das genaue Resultat des Qualifyings vom Vortag. In der WM-Wertung verkürzte der Niederländer, der erstmals in seinem Geburtsland Belgien offiziell einen Sieg einfuhr, seinen Rückstand auf Spitzenreiter Hamilton nach zwölf von 22 geplanten Saisonrennen um fünf Zähler auf drei Punkte.

Bis es so weit war, wurde die Geduld der Fahrer und vor allem jene der rund 75.000 bis auf die Knochen durchnässten Fans bei Dauerregen und nur 13 Grad Celsius bis ans Letzte ausgereizt. Die Boxencrews vertrieben sich die Zeit mit Teetrinken und Kartenspielen, die Streckenposten mit Boccia ins Kiesbett. Unterdessen versuchten die Organisatoren, die Strecke sogar mit dem Kehrwagen fahrtauglich zu machen. Am Ende nur mit bedingtem Erfolg, denn an ein faires Rennen war an diesem Tag in den belgischen Ardennen nicht zu denken.

Red Bull’s Max Verstappen am Siegerpotest
Reuters/Christian Hartmann
Verstappen feierte seinen 15. GP-Sieg zwar mit Sekt, aber trotzdem verhalten

„Das war eine erbärmliche Pantomime“

Die internationalen Medien gingen mit der Handhabung des Rennens hart ins Gericht. „Die Farce von Spa: So landet man dabei, die Formel 1 zu demütigen. Man konnte entscheiden, wegen der extremen Bedingungen nicht zu fahren, es wäre die logischere Entscheidung zum Schutz der Piloten gewesen“, stand in der „Gazzetta dello Sport“. Die „Daily Mail“ schrieb: „Max Verstappen hat eine Farce eines Großen Preises von Belgien gewonnen – eine Prozession hinter einem Safety-Car für ZWEI Runden.“

Besonders verärgert reagierten die spanischen Medien. „Das war eine erbärmliche Pantomime. Eine der größten Schanden in der Geschichte dieses Sports. Man kann doch nicht das Ergebnis eines Rennens präsentieren, das gar nicht stattgefunden hat. Das ist eine Beleidigung des Wettbewerbs und des Sports im Allgemeinen“, fasste „El Mundo“ zusammen. „Die Formel 1 erleidet in Spa Schiffbruch. Niemand stellt infrage, dass die Sicherheit der Fahrer oberste Priorität hat. Aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse gab es auch nur wenig Spielraum. Das ‚Express‘-Ergebnis hinterlässt einen schlechten Geschmack. Einen sehr schlechten“, schrieb „AS“.

Belohnung für Qualifying

Um zumindest die halben Punkte in die Wertung zu bringen und mutmaßlich TV- und Sponsorenverträge zu erfüllen, boxten die Verantwortlichen jedoch die Mindestanzahl von zwei Runden durch. Mit 14 Kilometern kam am Ende der kürzeste Grand Prix aller Zeiten in die Wertung. „Es ist ein Sieg, aber so willst du ihn eigentlich nicht“, sagte Verstappen, der mit dem Gewinn des Qualifyings letztlich die WM-Punkte einfuhr: „Im Nachhinein war die Poleposition sehr wichtig. Es war schon so oft der Fall, dass wir für ein starkes Qualifying nicht belohnt wurden. Es ist aber natürlich schade, dass wir hier keine Rennrunden drehen konnten.“

Auch im restlichen Fahrerfeld zeigte man sich über die Verteilung von halben Punkten nicht glücklich. „Wenn es keine Rennrunden gibt, daher praktisch kein Rennen gefahren wurde, warum sollten dann Punkte verteilt werden? Ich bin kein Rennen gefahren, daher habe ich den halben Punkt auch nicht verdient“, sagte der zehntplatzierte Spanier Carlos Sainz. Sein Vorgänger bei Ferrari und aktuelle Pilot bei Aston Martin, Sebastian Vettel, stieß sich daran, dass im Endeffekt der Ausgang des Qualifyings das Rennergebnis darstellte. „Wenn man das Qualifying belohnen will, dann soll man gleich dafür Punkte verteilen“, sagte der vierfache Weltmeister aus Deutschland.

Max Verstappen (Red Bull) hinter dem Safety Car
Reuters/Christian Hartmann
Das Safety-Car lotste Max Verstappen zum Sieg im denkwürdigen Grand Prix von Belgien

„Das war kein Grand Prix. Sie haben einfach so die Punkte verteilt. Das ist schockierend“, sagte Ex-Weltmeister Fernando Alonso. Die Regel, dass es schon bei zwei absolvierten Umläufen die Hälfte der WM-Zähler gibt, obwohl nie richtig gefahren wurde, müsse nun überdacht werden. „Wir brauchen als Sport eine bessere Lösung, wenn so eine Situation eintritt. Das Resultat sollte kein Rennen über ein paar Runden hinter einem Safety-Car sein“, sagte McLaren-Boss Zak Brown: „Wir müssen daraus für die Zukunft etwas lernen.“

Renndirektor Masi verteidigt Entscheidung

Das erste Rennen nach der vierwöchigen Sommerpause der Formel 1 auf Montag zu verschieben stand nie wirklich zur Diskussion. Die Logistik – geht der nächste Grand Prix doch bereits nächsten Sonntag in Zandvoort in den Niederlanden über die Bühne – wäre laut Red-Bull-Berater Helmut Marko nicht das Problem gewesen. Möglicherweise spielten aber vor allem kommerzielle Interessen der Rechteinhaber eine Rolle, das Rennen nicht an einen Wochentag zu verlegen. Ein Vorwurf, der von FIA-Renndirektor Michael Masi bestritten wurde.

Zuschauer beim Regenrennen von Spa
AP/Olivier Matthys
Die Fans hielten trotz Dauerregens auf den Tribünen die Stellung

Masi verteidigte auch die Entscheidung, nach stundenlangem Warten auf die Piste zurückzukehren. „Einige Teams haben eine Aufhellung erkannt, also gingen wir raus, aber dann verstärkten sich die Niederschläge wieder“, sagte der Australier, der von Kalkül ebenso nichts wissen wollte wie Formel-1-Boss Stefano Domenicali. „Wir bekommen das Antrittsgeld, egal ob der Grand Prix gefahren wird oder nicht. Es ging hier einzig und allein um die Zuschauer. Wir haben alles versucht, ihnen noch etwas zu bieten“, sagte der Italiener.

Hamilton fordert Entschädigung für Fans

Dass zwar jeder an der Rennserie Beteiligte nun sein Geld erhalten habe, aber ausgerechnet die Zuschauer durch die Finger schauen würden, stieß Hamilton sauer auf, „Geld regiert, und die zwei Runden, um das Rennen zu starten, sind ein reines Geldszenario“, meinte der Mercedes-Star zur Farce in den Ardennen. Der Brite sprach sich daher auch für ein Zeichen der Veranstalter an die Zuschauer aus: „Ich finde, auch die Fans sollten ihres zurückbekommen. Sie haben nicht das gesehen, wofür sie bezahlt haben.“

Im Mercedes-Lager ärgerte man sich aber nicht nur aus Sympathie mit den waschelnassen Zuschauerinnen und Zuschauern, sondern auch aufgrund der Tatsache, das Verstappen den Rückstand in der WM-Wertung auf Hamilton auf billige Art und Weise verkürzen konnte. „Die halben Punkte sind ärgerlich, aber so ist das Reglement. Das Prozedere hinter dem Safety-Car hätten wir uns eigentlich sparen können“, ließ Teamchef Toto Wolff im ORF-Interview kein gutes Haar an der Entscheidung der FIA, die nötigen Runden durchzuboxen.

Mercedes Teamchef Toto Wolff
Reuters/John Thys
Mercedes-Boss Wolff (Mi.) wäre ein echtes Rennen oder eine Absage ohne Punkte deutlich lieber gewesen

Sowohl Wolff als auch Hamilton mussten jedoch zugeben, dass der Versuch, ein echtes Rennen durchzuführen, angesichts der Verhältnisse grob fahrlässig gewesen wäre. Ein „Blindflug“ in der berüchtigten Bergaufkurve Eau Rouge, schon bei trockenem Zustand eine der anspruchsvollsten Passagen im Kalender, hätte laut Wolff fatal enden können. Auch Hamilton gab zu, dass ein Rennen bei Sichtverhältnissen gegen null unmöglich gewesen war. Beim Vordermann hätte man „nicht einmal die Rücklichter gesehen.“

Abbrüche mit Auswirkungen

Das Rennen in Belgien war das insgesamt sechste der Geschichte, das abgebrochen und mit halben Punkten gewertet wurde. 1975 wurden sowohl der Grand Prix von Spanien auf dem Montjuic-Kurs in Barcelona – nach einem schweren Unfall des Deutschen Rolf Stommelen, bei dem fünf Zuschauer ums Leben kamen – als auch der Große Preis von Österreich in Spielberg nach jeweils 29 Runden abgebrochen. Auf dem Österreich-Ring stoppte so wie in Spa Regen das Geschehen. Sieger Vittorio Brambilla ging in die Geschichte ein, als er nach der Zieldurchfahrt jubelnd die Hände in die Höhe riss und nach seinem einzigen Erfolg in die Leitschienen krachte.

1984 wurde der Klassiker in Monte Carlo abgebrochen. Für Sieger Alain Prost hatte die Punktehalbierung am Saisonende schwerwiegende Auswirkungen. Der Franzose musste Niki Lauda, der in Monaco nach einem Dreher ohne Punkte geblieben war, am Ende in der WM-Wertung um einen halben Punkt den Vortritt lassen. 1991 gewann der Brasilianer Ayrton Senna das Saisonfinale in Adelaide nach nur 14 gewerteten Runden vor Gerhard Berger. Bis zum Sonntag und der Farce von Belgien war das vom Regen gestoppte Rennen mit 53 gefahrenen Kilometern in Australien das kürzeste der Geschichte gewesen.

Zuletzt war 2009 der Grand Prix von Malaysia aufgrund von sintflutartigen Regenfällen nach 32 Runden zuerst unter- und dann abgebrochen worden. Wegen einsetzender Dunkelheit war keine Fortsetzung möglich, der Brite Jenson Button kam als Sieger in die Wertung. Kimi Räikkönen hatte das geahnt. Während die anderen Piloten noch in der Box auf einen Neustart warteten, holte sich der damalige Ferrari-Star aus Finnland im Fahrerlager bereits ein Eis.