Ein Wetterumschwung stellte das Ergebnis des 15. WM-Laufes kurz vor Schluss noch einmal auf den Kopf. Der von Platz vier gestartete Weltmeister Hamilton fing bei einsetzendem Regen im Finish den lange führenden McLaren-Piloten Norris ab und stellte so den historischen 100. Sieg seiner Karriere sicher. Mit seinem fünften Erfolg in diesem Jahr löste der 36-jährige Brite auch seinen niederländischen Konkurrenten Verstappen an der WM-Spitze ab.
„Es hat lange gedauert bis zu diesem Sieg“, freute sich Glückspilz Hamilton, der vor Sotschi in zehn Rennen nur einmal gewonnen hatte, nun aber die Mercedes-Siegesserie in Russland mit dem achten Triumph im achten Rennen fortsetzte. „Ich war mir nicht sicher, ob das jemals reichen wird“, so der Engländer. Mit dem „Hunderter“ baute er seine Führung aus, Zweiter ist Michael Schumacher mit 91 Erfolgen. „Das ist ein magischer Moment. Von so etwas konnte ich nur träumen“, sagte Hamilton.
Verstappen „heimlicher“ Sieger in Sotschi
Neben Lewis Hamilton, der in Sotschi seinen 100. Grand-Prix-Sieg einfuhr, durfte sich auch der Zweite, Max Verstappen, als „heimlicher“ Sieger fühlen, weil er mit nur zwei Punkten Rückstand die Rennstrecke verließ.
Hamilton rückte seinem großen Ziel, dem achten WM-Titel, der ihn zum alleinigen Rekordhalter machen würde, mit dem Sieg in Sotschi ein kleines Stück näher. „Wir sind hier Zeugen einer Karriere, die einfach unglaublich ist“, sagte Hamiltons Chef Toto Wolff, Motorsportchef bei Mercedes: „Ich bin mir sicher, dass wir in vielen Jahren erst realisieren werden, dass wir ein Teil von einer ganz besonderen Erfolgsstory sind.“ Mit seinem 100. Erfolg unterstrich Hamilton seine Ausnahmestellung im F1-Zirkus. „Der Mann ist eine lebende Legende!“, urteilte der Schweizer „Blick“ am Montag.
„Wetterfrosch“ verhilft zu Jubiläum
Der neue WM-Spitzenreiter profitierte dabei auch von der letztlich fehlgeschlagenen Taktik seines jungen Landsmannes, dem Regen mit falscher Reifenwahl zu trotzen. Denn Norris weigerte sich bis zuletzt, seine Slicks bei immer stärker werdendem Regen gegen Intermediates zu tauschen. Mit einem lautstarken „No“ beendete der 21-Jährige die Diskussion, doch an die Box zu kommen. Hamilton hatte zunächst zwar auch den „Revoluzzer“ gegeben („Ich habe die erste Anweisung ignoriert“), gab aber dann doch der Aufforderung seines Kommandostandes nach.
Eine Entscheidung, die sich als goldrichtig erwies und dem Titelverteidiger den Weg zum Jubiläum ebnete. „Der Call kam von den Strategen. Lewis hat sich zunächst gewehrt, aber wir haben gewusst, das große Wetter kommt noch“, erklärte Mercedes-Chef Wolff die Entscheidung. Der Wiener, der Hamilton schon während des Rennens ungewohnt oft mit Funksprüchen angefeuert hatte, war mit dem Ausgang klarerweise mehr als zufrieden: „Heute haben die Strategieabteilung und der Wetterfrosch gewonnen.“
Verstappen als lachender Zweiter
Die richtige Entscheidung traf man im Finish auch bei Red Bull, wo man Verstappen rechtzeitig vor dem großen Guss zum Reifenwechsel an die Box holte. Der nach dem vierten Motorenwechsel auf den 20. und damit letzten Startplatz strafversetzte Niederländer kam so noch als Zweiter vor Ferrari-Pilot Carlos Sainz ins Ziel und verlor nur sieben Punkte auf seinen WM-Rivalen Hamilton und sitzt dem Titelverteidiger mit lediglich zwei Zählern Rückstand im Nacken. Nicht umsonst bezeichnete sogar Toto Wolff Verstappen als „zweiten Sieger“ des Tages.
Kein Wunder, dass Verstappen mit einem Grinsen im Gesicht zur Siegerehrung schritt. „Als Letzter auf Platz zwei zu fahren, ist großartig. Das habe ich wirklich nicht erwartet“, sagte der 23-Jährige. Dabei hatte Mercedes vor dem Start noch alles versucht, um Verstappen an einer Aufholjagd zu hindern. Sogar der Motorentausch und die Strafversetzung von Hamiltons Stallkollege Valtteri Bottas auf Startplatz 16 und damit zwei Reihen vor dem Red-Bull-Star brachte nichts. Mercedes-Boss Wolff hatte jegliche Unterstellung, das Manöver sei Absicht gewesen, zwar als „Blödsinn“ abgetan, trotzdem wäre es dem Wiener wohl lieber gewesen, der Finne hätte Verstappen länger als nur sieben Runden hinter sich gehalten.
Norris bringt sich um Sieg
Sieger der Herzen war für viele aber Norris, der Hamilton lange Zeit hinter sich gehalten hatte. Der Versuch die Regengötter austricksen zu können, ging allerdings daneben. Norris konnte seinen Boliden nur mehr mit Mühe von den Begrenzungsmauern fernhalten und musste wie auf rohen Eiern im Schneckentempo doch noch an die Box, um wenigstens als Siebenter in die Wertung zu kommen.
„Ich bin unglücklich, eigentlich am Boden zerstört“, sagte der 21-Jährige, der am Samstag im Qualifying bei umgekehrten Verhältnissen die erste Poleposition seiner Karriere geholt hatte. Nach Starkregen vor dem Zeittraining trocknete die Ideallinie immer mehr auf. Bei McLaren riskierte man und wechselte früh auf Slicks. Eine Entscheidung, die Norris den ersten Startplatz vor dem Spanier Sainz und seinem englischen Landsmann George Russel im Williams brachte.
Im Rennen wurde ihm sein Hang zum Risiko und letztlich auch seine Sturheit zum Verhängnis. „Ich habe einen Fehler gemacht, nicht das Team“, sagte der McLaren-Pilot, der seinen Rennstall damit um den zweiten Sieg in Folge brachte. Vor zwei Wochen in Monza hatte Daniel Ricciardo das Traditionsteam zurück in die Siegerlisten gefahren. „Es ist schwer zu schlucken“, sagte Norris, „das Team hat mir geschildert, was los ist, und ich habe die Entscheidung getroffen. Am Ende des Tages und im Nachhinein betrachtet, weiß ich, dass sie falsch war.“