Formel 1

Herzschlagfinale schlägt hohe Wellen

Das spannende Finale um den Weltmeistertitel 2021 wird noch lange in Erinnerung bleiben und auch noch länger hohe Wellen schlagen. Denn während nach dem kontroversiellen Finish am Sonntag in Abu Dhabi vor allem aus Großbritannien kritische Stimmen kamen, gab es vonseiten Red Bulls Kritik an den Einsprüchen von Mercedes. Ob Mercedes gegen die abgelehnten Proteste vorgeht, entscheidet, wie lange das Nachspiel dauert.

Erst vier Stunden nach der Zieldurchfahrt stand zumindest an Ort und Stelle fest, dass es ein finales Rennergebnis mit Max Verstappen als Sieger und neuem Weltmeister gibt. Mercedes machte aber umgehend klar, dass man zumindest einen der von den Rennstewards abgelehnten Einsprüche weiter verfolgen werde. Die sonst üblichen Mediengespräche mit den Fahrern und Teamchef Toto Wolff fielen jedenfalls ins Wasser. Man werde vorerst nichts Weiteres kommunizieren, hieß es.

Mercedes hat bis Donnerstag Zeit, um in die Berufung gegen die abgewiesenen Proteste nach dem umstrittenen Formel-1-Finale zu gehen. 96 Stunden würden dem Team bleiben, bestätigte ein Sprecher am Montag. In der Disziplinar- und Rechtsordnung des Internationalen Automobilverbandes (FIA) ist die Frist unter Artikel 10.3.1 a geregelt.

Viel Druck auf Rennleiter Michael Masi

Nach dem kontroversen Finale beim Formel-1-Rennen in Abu Dhabi hat Experte Ralf Schumacher die Rolle von Rennleiter Michael Masi und der FIA insgesamt kritisiert und dabei auch Bezug auf Entscheidungen und Situationen in den Rennen zuvor genommen.

Bei Red Bull hielt man sich mit Kommentaren hingegen nicht zurück – vor allem mit Kritik Richtung Mercedes. „Es ist eines WM-Finales unwürdig, dass die Entscheidung so hinausgezögert wird. Das spricht aber für die Gesinnung eines, ich würde sagen, unwürdigen Verlierers, wenn man solche Einsprüche und Proteste einlegt“, sagte Motorsportberater Helmut Marko in Abu Dhabi.

Unterschiedliche Auslegung

Dass es überhaupt ein Nachspiel geben kann, liegt an den komplexen Regularien der Formel 1. Dass sie immer wieder zu Diskussionen führen, zeigte auch die Begründung der vier Rennkommissare Garry Connelly, Felix Holter, Derek Warwick und Mohammed al-Haschmi, mit der sie den Protest abschmetterten. Dazu wiederum bedienten sie sich bemerkenswerterweise auch der Argumente von Red Bull, das Team war als betroffene dritte Partie mit bei der Anhörung.

Vor allem die Auslegungen der Begriffe „any“ und „all“ im englischsprachigen Regelwerk sorgte für Diskussionen, weil nur fünf statt der acht Wagen sich vor dem Ende der Safety-Car-Phase hatten zurückrunden dürfen. Die große Frage war auch, ob der Artikel 48.13 den Artikel 48.12 überstimmen könne und dass auch noch Artikel 15.3 dem Renndirektor „übergeordnete Autorität“ beim Einsatz des Safety-Cars verleihe. Dieses war nicht wie in der Regel festgeschrieben erst am Ende der darauffolgenden Runde in die Box gekommen, sondern in jener letzten Runde, in der das Rennen wieder freigegeben wurde.

Lewis Hamilton zusammen mit Max Verstappen und Carlos Sainz Jr.
APA/AFP/Giuseppe Cacace
Verstappen (M.) ließ sich trotz laufenden Protests feiern, selbst Hamilton (l.) applaudierte höflich

Der australische Renndirektor Michael Masi, wegen des öffentlich übertragenen basarartigen Handelns via Funk schon eine Woche zuvor in der Kritik, argumentierte zudem, dass es schon lange Einigkeit auch mit den Teams gebe, Rennen eben nicht hinter dem Safety-Car zu beenden. Das wäre der Fall gewesen, wenn Bernd Mayländer das Safety-Car erst wie reglementiert eine Runde nach der Order zur Wiederaufnahme des Rennens in die Box gesteuert hätte. Es war die Begründung dafür, warum Masi das Rennen letztlich doch noch einmal freigegeben hatte.

Kritik von Neo-Mercedes-Piloten Russell

Kritik am Wie des WM-Ausganges kam natürlich vor allem aus Hamiltons Heimat. „Das ist inakzeptabel“, twitterte etwa Williams-Pilot George Russell, der 2022 bei Mercedes neuer Teamkollege von Hamilton wird. Kurios, dass ausgerechnet Russells Teamkollege Nicholas Latifi mit seinem Unfall sechs Runden vor Schluss das finale Durcheinander und letztlich den kontroversiellen Rennausgang zu Ungunsten von Hamilton ausgelöst hatte.

„Max ist ein fantastischer Fahrer, ich habe nichts als Respekt für ihn“, sagte Russell. „Aber das, was passiert ist, ist absolut inakzeptabel“, alterierte sich der 22-Jährige. „Ich kann nicht glauben, was wir da gerade erlebt haben.“ Auch Ex-Weltmeister Damon Hill gab sich kritisch. „Das ist eine neue Weise, den Sport zu dirigieren mit diesen Ad-hoc-Entscheidungen der Rennleitung“, meinte der Brite.

Unterschiedliches Medienecho

In England, wo man das letzte Saisonrennen wegen Hamilton ins öffentliche Fernsehen verfrachtet hatte, zog die Entscheidung weite Kreise. Selbst Fußballstar Harry Kane brachte sich mit der Überzeugung ein, dass man Hamilton den Titel gestohlen habe. „Ich bin kein Experte. Aber es fühlt sich an, als ob einige seltsamen Regeln eine unfairen Vorteil gebracht hätten. Warum sollte Hamilton für den Crash eines anderen Fahrers bestraft werden?“, fragte sich der Tottenham-Star. „Lewis hat unter Hochdruck ein perfektes Rennen abgeliefert, und dann nimmt man ihm die Weltmeisterschaft weg. Es ist eine Schande, dass es so enden musste.“

Grafik zu den MW-Titeln von RedBull.
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Dazu passten die Kommentare in den englischen Zeitungen – vor allem im Boulevardsegment. „Die Formel 1 gab der Welt, was sie wollte. Aber indem sie das tat, schien der Sport das Konzept von Fairness, Gerechtigkeit und Chancengleichheit umzukehren. Er drehte ein bisschen am Regelbuch und entschied den Titel im Sinne des versprochenen Dramas und des Spektakels“, hieß es etwa in der „Daily Mail“. Die „Sun“ sah die „größte Kontroverse der Formel-1-Geschichte“: „Das Safety-Car scheint den Teppich unter Hamiltons Füßen weggezogen zu haben.“ Für den gemäßigten „Guardian“ war Verstappens Titel immerhin noch „etwas zweifelhaft“.

Außerhalb Großbritanniens sah man die Entscheidung weniger kontrovers. „Weltmeister Verstappen stürzt den Mythos Hamilton. In einem einmalig grandiosen Finale lässt Max Lewis in den Staub beißen, der ohne den Rekord über Schumacher bleibt“, analysierte die spanische „Marca“. Die franzöische „L’Equipe“ sah „Hamiltons Flügel gestutzt. Nach 2016 gegen Nico Rosberg hat Lewis Hamilton wieder ein Finale verloren, diesmal gegen Max Verstappen. Der Beweis, dass Britannien weder unschlagbar noch unfehlbar ist.“

Sieg im „typischen Max-Stil“

Die Umstände von Verstappens zehntem und entscheidendem Saisonsieg fielen auch objektiv in die Kategborie „glücklich“. Der 24-Jährige hatte unter normalen Rennumständen nach seinem verpatzten Start, als Hamilton direkt vorbeigezogen war, wohl keine Chance mehr auf den Sieg gehabt. Red Bull versuchte zwar alles und zog den Teamkollegen-„Joker“, als Sergio Perez länger vor einem Reifenwechsel draußen blieb, um Hamilton einzubremsen. Das gelang. Verstappen kam heran, konnte aber nichts ausrichten, als Hamilton den Kampf mit Perez gewonnen hatte.

Die Attacke aber in der letzten Runde passte zum Titelträger 2021. „Er hat es im typischen Max-Stil gemacht“, kommentierte Teamchef Christian Horner. Verstappen bewies in der entscheidenden Situation Nerven aus Stahl, nutzte die unerwartete Gelegenheit und fuhr auf den deutlich schnelleren Reifen, die er während der Safety-Car-Phase aufgezogen hatte, doch noch zum Sieg vor Hamilton. Dieser hatte bis zu Masis Last-Minute-Entscheidung das Rennen überlegen kontrolliert.