Christoph Baumgartner jubelt mit Mitspielern
Reuters/Vadim Ghirda
Jahresrückblick

ÖFB-Team zeigt bei EM sein schönes Gesicht

Das Rekordländerspieljahr des österreichischen Nationalteams hat dem heimischen Fußballinteressierten in 16 Partien zwei Gesichter gezeigt: Während die Gruppenphase der WM-Qualifikation völlig in die Hose ging, zeigte das ÖFB-Team bei der EM-Endrunde im Sommer sein schönes Gesicht und verkaufte sich im Achtelfinale gegen den späteren Europameister aus Italien teuer. Die um ein Jahr verschobene Endrunde bot ein überraschend hohes Niveau und blieb aus vielschichtigen Gründen in Erinnerung.

Nach einer kräftezehrenden Saison holten die Spieler beim ersten (und wohl letzten) paneuropäischen Turnier noch einmal alles aus sich heraus und präsentierten sich mutig und offensiv. Der Torschnitt von 2,78 Treffern pro Partie war der höchste der EM-Geschichte seit 1980. Selbst das früher so defensivverliebte Italien zeigte attraktiven Fußball und kürte sich gegen England im Finale von London nach einem 3:2 im Elfmeterschießen zum zweiten Mal nach 1968 zum Europameister.

Auf dem Weg schaltete die „Squadra Azzurra“ ebenfalls im Wembley-Stadion Österreich aus, das bei der dritten Teilnahme die ersten Siege einfuhr (3:1 gegen Nordmazedonien und 1:0 gegen die Ukraine). Nach dem erstmaligen Aufstieg in die K.-o.-Phase bot man Italien einen heroischen Kampf, ehe mit 1:2 nach Verlängerung das Aus kam. In den Spielen gegen die Ukraine und auch Italien präsentierte sich die Elf des umstrittenen Teamchefs Franco Foda – wie lange erhofft – offensiver als zuvor und eroberte so zumindest kurzzeitig die Herzen der Fans.

Drama einen Tag vor ÖFB-Auftakt

Doch einen Tag vor Österreichs Auftaktspiel in Bukarest geriet der Fußball plötzlich in den Hintergrund. Denn am 12. Juni bangten nicht nur Fußballfans um das Überleben von Christian Eriksen. Der dänische Nationalspieler kollabierte im Gruppenspiel gegen Finnland (0:1), Helfer führten dabei erfolgreich lebensrettende Maßnahmen aus.

Christian Eriksen wird auf dem Feld verarztet
APA/AFP/Ritzau Scanpix/Mads Claus Rasmussen
Der dänische Teamspieler Christian Eriksen kämpfte am Feld um sein Leben – es war der wichtigste Sieg dieses Turniers

Die in der 43. Minute unterbrochene Partie wurde später fortgesetzt. Nicht nur in diesem Fall sorgte die UEFA-Politik für Kopfschütteln, sondern auch bezüglich Abwälzen der Verantwortung auf die lokalen Behörden in der Coronavirus-Frage und des Regenbogensymbol-Verbots. Eriksen erholte sich, und Dänemark scheiterte angetrieben von der Emotionalität des Ereignisses erst im Halbfinale an England.

Österreich müht sich zu Beginn des Turniers

Mit der Gewissheit, dass es Eriksen gut geht, konnte Österreich in der Arena Nationala in Bukarest eigentlich befreit aufspielen, mühte sich aber vielmehr zu einem 3:1-Pflichtsieg gegen den EM-Debütanten aus Nordmazedonien. Foda überraschte mit der Nominierung von ÖFB-Star David Alaba als Verteidiger, allerdings zunächst nicht auf der linken Seite, sondern als zentraler Bestandteil einer Dreierkette. Letztlich war es im Finish seine sehenswerte Hereingabe von der linken Seite, die „Joker“ Michael Gregoritsch zum vorentscheidenden 2:1 verwertete.

Alabas Kumpel Marko Arnautovic erhöhte zum Endstand, ließ sich aber in seiner Emotion zu einer Verbalattacke an Gegenspieler Ezgjan Alioski verleiten und wurde daraufhin von der UEFA für ein Spiel gesperrt. Auf der Tribüne in Amsterdam sah er ein verdientes 0:2 der Österreicher gegen den Gruppenfavoriten aus den Niederlanden. Die Hausherren warteten erfolgreich auf Fehler der Gäste und hielten deren Offensivbemühungen in Schach. Das reichte für dieses Spiel, aber für nicht viel mehr, denn auch die Niederlande sollten nicht weiter als in das Achtelfinale gelangen.

Historischer Aufstieg und heroischer Kampf

Foda stellte für das „Finale“ um den Aufstieg in die K.-o.-Phase um und beorderte Alaba, der gegenüber der verpatzten Endrunde 2016 nicht nur in seiner Rolle als Kapitän gereift wirkte, auf die linke Seite. Das Team bot gegen die Ukraine ihre beste Leistung in der Gruppenphase, setzte den Gegner im gegnerischen Drittel unter Druck und erzwang das Goldtor durch die „Sohle von Bukarest“ – mit dieser hatte Christoph Baumgartner nach einer Alaba-Ecke das Goldtor erzielt und damit den historischen Aufstieg ins Achtelfinale besiegelt.

Im ersten K.-o.-Spiel bei einer Endrunde seit der WM 1954 hatte das ÖFB-Team in der ersten Hälfte Glück gegen zunächst bessere Italiener, aber in der zweiten auch Pech, als Arnautovic bei seinem Kopfballtor Zentimeter im Abseits stand – der Video Assistant Referee lag wie zumeist bei seiner EM-Premiere richtig. Letztlich setzte sich der Favorit in der Verlängerung durch, doch Österreichs Niederlage wurde wie ein Sieg gefeiert. Auch weil der Auftritt das Potenzial sichtbar werden ließ.

Sasa Kalajdzic und Francesco Acerbi im Zweikampf
Reuters/Andy Rain
Österreich forderte den späteren Europameister Italien mit einem erfrischend selbstbewussten Auftritt im Wembley-Stadion

In Bestformation zeigte Österreich, was alles möglich ist. „Er (Foda, Anm.) hat die Zügel locker gelassen, die Spieler aus ihren Zwängen rausgelassen. Hohes Pressing, Gegenpressing, das liegt diesem Team. Der Wechsel der Spielanlage war entscheidend, dass wir in den letzten beiden Spiele so gut ausgesehen haben“, analysierte ORF-TV-Experte Roman Mählich danach. Bleibt aus Sicht des heimischen Fußballfans zu hoffen, dass Österreich im WM-Play-off auch sein schönes Gesicht zeigt.

Spannende K.-o.-Phase

Selbst Italien muss noch um sein WM-Ticket zittern, war aber bei der EM-Endrunde im Sommer nicht zu biegen. Nicht nur vorne war man hui, auch hinten. Erst Sasa Kalajzdic bezwang Gianliuigi Donnarumma, den späteren „Spieler des Turniers“, erstmals bei dieser EM.

Für andere Favoriten kam das Aus schon im Achtelfinale. Weltmeister Frankreich scheiterte im Elfmeterschießen an der Schweiz, Portugal (0:1 gegen Belgien) und Deutschland (0:2 gegen England) aus der „Horrorguppe F“ kamen auch nicht weiter.

Es blieb bis zum Schluss spannend: Acht der 15 K.-o.-Spiele gingen in die Verlängerung. Vor allem jener Montag, der 28. Juni 2021, blieb besonders in Erinnerung, als zunächst Kroatien gegen Spanien im Finish ausglich, aber dann mit 3:5 nach Verlängerung den Kürzeren zog und Ähnliches sich bei Schweiz gegen Frankreich zutrug. Torhüter Yann Sommer sorgte am Ende für das „Sommermärchen“ der Eidgenossen.

„It’s coming Rome“

Das große Happy End blieb aber den Italienern vorbehalten, die den Engländern („It’s coming home“) einen Strich durch die Rechnung machten („It’s coming Rome“). Die früheste Finalführung aller EM-Zeiten durch Luke Shaw (2.) glich Leonardo Bonucci nach der Pause aus (67.). Am Ende kam es zur Entscheidung vom Punkt, und wieder einmal hatte England letztlich ein Elfmeterdrama zu verarbeiten, nachdem Teamchef Gareth Southgate jungen Spielern Verantwortung übertragen hatte. Torhüter Donnarumma avancierte zum finalen Helden, und Italien feierte einen Sommer lang seine triumphale Wiederaufstehung, nachdem man die WM 2018 verpasst hatte.