Tennisspieler Novak Djokovic (SRB) am Flughafen in Melbourne
Reuters/Loren Elliot
Tennis

Djokovic als großer Verlierer

Nach dem für ihn folgenschweren Gerichtsurteil in Melbourne ist Novak Djokovic am Sonntag aus Australien abgereist. Als großer Verlierer in einem juristischen und moralischen Tauziehen stieg der ungeimpfte serbische Tennisstar mit verweigertem Visum am Tag vor den Australian Open in ein Flugzeug. Gute Figur machte in diesem Sportdrama keiner der Beteiligten. Neben Djokovic werden auch die australische Regierung und Verbandschef Craig Tiley für ihr Vorgehen kritisiert.

„Ich bin extrem enttäuscht über die Entscheidung“, teilte der 34-jährige Weltranglistenerste Djokovic mit, bevor er Richtung Dubai abflog, und nachdem sich drei Richter einstimmig gegen seinen Einspruch der Visumsaberkennung gestellt hatten. Australiens Einwanderungsminister Alex Hawke hatte Djokovic die Einreise verweigert. Als Vorbild könne er für eine „Anti-Impf-Stimmung“ sorgen, begründete die Regierung, das Gericht stimmte ein.

Djokovic ist nicht gegen das Coronavirus geimpft und deswegen eine umstrittene Person in Australien, das seit Beginn der Pandemie harte Regeln aufgestellt hat. Die Anhörung vor dem Bundesgericht hatte am Sonntag Ortszeit um 9.30 Uhr begonnen. Mehr als 85.000 Menschen schauten zwischenzeitlich die entscheidende Sitzung auf dem YouTube-Kanal des Bundesgerichts.

Australien entzieht Djokovic Visum

Novak Djokovic darf nicht an den Australian Open teilnehmen und musste ausreisen. Wie das Bundesgericht in Australien am Sonntag entschied, wurde der Einspruch des serbischen Tennisstars gegen seine verweigerte Einreise und die Annullierung des Visums abgelehnt.

Rund fünf Stunden dauerte die Anhörung der Verteidiger und Ankläger, dann zogen sich die drei Richter für die Urteilsfindung zurück, ehe sie die Entscheidung am frühen australischen Abend verkündeten. Die Begründung der drei Richter James Allsop, Anthony Besanko und David O’Callaghan solle frühestens am Montag erfolgen, hatte es geheißen. Djokovic müsse die Kosten des Verfahrens zahlen.

Australien zufrieden, Serbien empört

Die Entscheidung sei aus Gründen der „Gesundheit, Sicherheit und der Ordnung“ gefallen, schrieb Australiens Premierminister Scott Morrison bei Facebook. Es sei „im öffentlichen Interesse“ geschehen. Das Urteil soll auch seine Landsleute beruhigen, die sich in Umfragen mit großer Mehrheit gegen Djokovic gestellt hatten. Die Kontroverse wurde für ihn auch zur politischen Nagelprobe, stehen doch im Mai Wahlen an.

Die Reaktionen aus Djokovics Heimat Serbien auf die Entscheidung fielen empört aus. „In Melbourne geschah die größte Schande in der Geschichte des Sports! Schäm dich, Australien!“, schrieb das Portal Kurir.rs. „Das Recht hat verloren, die Politik hat gesiegt.“ Das Portal Informer.rs titelte: „Erschüttert wie noch nie!“ Seit der Ankunft in Australien habe er „nichts als Willkür und Schikanen“ erfahren, so Serbiens Präsident Alexander Vucic. Man habe den Tennisstar „wie einen Massenmörder“ behandelt, meinte er gegenüber der BBC. Die Schikanen hätten „beispiellose Ausmaße“ angenommen. Eine „Hexenjagd“ sei gestartet worden, die Medien hätten eine „Lynchstimmung“ erzeugt.

Distanzierte Beobachter urteilten in dem Fall neutraler: „Die Einreise des Serben, um seinen zehnten Titel ‚Down Under‘ zu gewinnen, wurde zum Drama, das Australien, aber mindestens genauso dem Spitzensportler schadete. Das einzig Richtige wäre gewesen, den 34-Jährigen – und alle anderen Ungeimpften – gar nicht erst über die Grenze zu lassen“, meinte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Kritik am australischen Verband

In der Causa Djokovic gab auch der australische Tennisverband ein schlechtes Bild ab. Tennis Australia wird vorgeworfen, Spieler mit der Information in die Irre geführt zu haben, dass eine kürzliche Coronavirus-Erkrankung für eine medizinische Ausnahme und damit auch die Einreise reiche. Turnierboss Craig Tiley wird von Rücktrittsforderungen begleitet, seit der Fall seinen Lauf nahm. In den vergangenen Tagen war der Turnierdirektor abgetaucht.

Veranstalter der Australian Open, Craig Tiley
APA/AFP/Mark Baker
Australiens Verbandschef Craig Tiley wird sich in der Causa Djokovic auch noch einige Fragen anhören müssen

Die „Herald Sun“ aus Melbourne schrieb: „Craig Tiley dachte, er habe eine Lücke in Australiens strengen Impfvorschriften gefunden, um Novak Djokovic ins Land zu holen. Es wurde zu einer internationalen Blamage.“

„Novak wäre nie nach Australien gereist, wenn er nicht von der Regierung eine Ausnahmegenehmigung für die Einreise in das Land erhalten hätte“, fand auch der kanadische ATP-Profi Vasek Pospisil auf Twitter. „Er hätte auf die Australian Open verzichtet, wäre zu Hause bei seiner Familie geblieben, und niemand hätte sich darüber aufgeregt.“ Es gebe politische Fragen, da in Australien Wahlen bevorstünden. „Es ist nicht seine Schuld.“

„Fühle mich unwohl“

„Ich fühle mich unwohl, dass ich der Fokus der vergangenen Wochen gewesen bin, und ich hoffe, dass wir uns nun alle auf das Spiel und das Turnier, das ich liebe, konzentrieren können“, schrieb Djokovic. Er werde sich nun ein bisschen Zeit nehmen, sich zu erholen, bevor er weitere Kommentare abgebe.

Zwei Wochen verdrängte der Serbe alle sportlichen Themen und beherrschte die Schlagzeilen: mit seiner umstrittenen medizinischen Ausnahmegenehmigung, mit Ungereimtheiten seiner Coronavirus-Infektion im Dezember, mit den Auftritten mit Kindern und einem Journalisten der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ trotz positiven Coronavirus-Tests.

Impffrage für Djokovic karriereentscheidend

Wie er inmitten der Pandemie ohne eine Kehrtwende in der Impffrage an den wichtigsten Turnieren teilnehmen will, erscheint fraglich. Bei den Masters-Events in Indian Wells und Miami im März sind ebenso nur geimpfte Spielerinnen und Spieler zugelassen wie nun bei den Australian Open und den US Open. Über die Regeln in Wimbledon ist noch nichts bekannt. Nur bei den French Open in Paris dürfte Djokovic als Ungeimpfter nach aktuellem Stand wieder angreifen.

Tennisspieler Novak Djokovic (SRB) beim Training.
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Der ungeimpfte Novak Djokovic steht nach der Abschiebung an einem entscheidenden Punkt in seiner Karriere

„Wenn er sich weiter auf Tennis konzentrieren will, muss er Veränderungen unternehmen. Deswegen wäre meine Meinung: ‚Novak, versuche einzusehen, dass es geimpft leichter für dich sein wird.‘ Ob er das macht, weiß ich nicht“, sagte Tennisikone Boris Becker, einst für drei Jahre Coach von Djokovic, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Die Karriere von Djokovic sei in Gefahr, meinte auch der siebenfache schwedische Major-Gewinner Mats Wilander. „Er kannte die Regeln, dass man geimpft sein muss. Er muss nun etwas machen, das er nicht wirklich will.“ Man müsse jetzt sehen, wie viele Turniere Djokovic spielen dürfe. „Letztlich muss er sich impfen lassen“, sagte Wilander.

ATP empfiehlt Impfung

In diese Richtung ging auch eine Stellungnahme der Spielervereinigung ATP. Man bedauere die Entscheidung, auch wenn diese zu akzeptieren sei.

„Unabhängig davon, wie dieser Punkt erreicht worden ist, ist Novak einer der größten Champions unseres Sports, und sein Fehlen bei den Australian Open ist ein Verlust für das Spiel“, hieß es in einer am Sonntag veröffentlichten Mitteilung, die um Glättung der zuletzt aufgekommenen Empörungswellen bemüht war. Man empfehle allen Spielern vehement, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen.

Chronologie der Causa Djokovic

10. Dezember: Die Frist für den Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zur Teilnahme an den Australian Open endet – für Spieler, die nicht gegen das Coronavirus geimpft wurden. Nur vollständig Geimpfte dürfen an den Start gehen.

16. Dezember: Der ungeimpfte Djokovic nimmt an einer Veranstaltung der serbischen Post in seinem Heimatland teil. Am Abend erfährt er von seiner Infektion. Das positive PCR-Ergebnis steht in Unterlagen, die seine Anwälte später den australischen Behörden vorlegen. Nach den Regeln in Serbien müssen CoV-Positive, die keine schweren Symptome haben, für 14 Tage in häusliche Isolation.

17. Dezember: Djokovic, der eigentlich in Monaco lebt, ist ohne Maske und Abstand Gast auf einer Preisverleihung für junge Tennisspieler in Serbiens Hauptstadt Belgrad.

18. Dezember: Er hat ein Interview mit Fotoshooting für die französische Sportzeitung „L’Equipe“.

22. Dezember: Djokovic hat einen weiteren Test gemacht. Ergebnis nach eigenen Angaben: negativ.

30. Dezember: Djokovic erhält seinen Anwälten zufolge eine Ausnahmegenehmigung für die Australian Open vom Medizinchef des Australischen Tennisverbands.

Jahreswechsel 2021/2022: Aufnahmen in sozialen Netzwerken zeigen Djokovic in einem Tennisclub im spanischen Marbella.

5. Jänner: Djokovic reist nach Australien. Weil er aus Sicht der Behörden nicht die nötigen Dokumente für eine Ausnahmegenehmigung vorlegt, wird ihm die Einreise verweigert. Er kommt in ein Abschiebehotel.

6. Jänner: Auf einer Pressekonferenz in Belgrad vergleicht Djokovics Vater seinen Sohn mit Jesus Christus: „Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan, und er ertrug es und lebt immer noch unter uns“, so Srdjan Djokovic. „Jetzt versuchen sie Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun.“

10. Jänner: Ein Gericht in Melbourne gibt Djokovics Einspruch statt und lässt ihn einreisen. Er darf sich frei bewegen. Wenige Stunden später steht er auf dem Trainingsplatz.

11. Jänner: Es wird bekannt, dass Djokovic in seinem Einreiseformular angegeben hat, er sei in den 14 Tagen vor dem Flug nach Australien nicht gereist.

12. Jänner: Djokovic äußert sich erstmals öffentlich zu dem Thema und räumt Fehler ein. Trotz positiven PCR-Tests habe er am 18. Dezember einen Interviewtermin mit der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ wahrgenommen, die falschen Angaben im Einreiseformular seien jedoch ein „menschlicher Fehler“ seines Agenten gewesen.

14. Jänner: Djokovic wird zum zweiten Mal das Visum aberkannt. „Heute habe ich von meinem Recht, das Visa von Herrn Novak Djokovic für ungültig zu erklären, Gebrauch gemacht“, so Australiens Einwanderungsminister Alex Hawke in einer Erklärung, „und zwar auf der Basis, dass es im öffentlichen Interesse ist, so zu handeln.“ Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht und sorgfältig alle Unterlagen geprüft, die ihm die Immigrationsbehörden, der australische Grenzschutz und Djokovic vorlegten.

15. Jänner: Djokovic wird erneut in Gewahrsam genommen. Für Sonntagfrüh ist eine Anhörung vor Gericht geplant. Drei Richter sollen in Melbourne endgültig über den Verbleib oder die Abschiebung des Tennis-Superstars entscheiden.

16. Jänner: Djokovic verliert endgültig seinen Kampf gegen eine Abschiebung: Einen Tag vor Beginn der Australian Open weist ein Bundesgericht in Melbourne seinen Einspruch gegen den Entzug seines Visums zurück. Djokovic reagiert „enttäuscht“, fügte sich aber der Entscheidung. Bereits wenige Stunden später wird er abgeschoben und fliegt von Melbourne aus nach Dubai.