Kinder beim Fußball spielen
GEPA/Manuel Binder
Fußball

Tabellen haben bei Kindern ausgedient

„Wir schauen nicht auf die Tabelle.“ So lautet eine bekannte Floskel der großen Stars, ab der nächsten Saison gilt das im österreichischen Fußball zumindest bis zur U12. Dann werden hierzulande im Bereich des Kinderfußballs keine Tabellen mehr geführt. Das und weitere Veränderungen im Nachwuchs sowie neue Strukturen gab der Österreichische Fußballbund (ÖFB) am Dienstag bei einem Hintergrundgespräch bekannt. Die Direktion Sport, angeführt von Peter Schöttel, setzt zudem künftig verstärkt auf die Wissenschaft.

„Der ÖFB ist mehr als das Männer-Nationalteam“, erklärte Schöttel und präsentierte als Sportdirektor selbst seine sechs (teilweise neuen) Fachabteilungen in der Direktion, der 45 hauptberufliche Mitarbeiter angehören. Dazu zählen neben den insgesamt elf Nationalteams auch jene des Breitenfußballs, der Talenteförderung, des Mädchen- und Frauenfußballs, der Trainerausbildung und der Wissenschaft.

„Wir wollen jeden Bereich im Fußball weiterentwickeln“, betonte Schöttel, der 2017 Willi Ruttensteiner als Sportdirektor gefolgt war und nach einer Evaluierung nun die neuen Strukturen präsentierte. Die Fachabteilung für Wissenschaft, Analyse und Entwicklung, der der bisherige Spielanalyst Stefan Oesen vorsteht, ist seit Herbst 2021 neu.

Stefan Oesen, Isabel Hochstoeger, Sportdirektor Peter Schoettel, Stefan Gogg, Martin Scherb und Thomas Eidler (OEFB)
GEPA/Edgar Eisner
Oesen (Wissenschaft), Hochstöger (Frauen), Schöttel, Gogg (Breitenfußball), Scherb (Talente) und Eidler (Trainer)

Eine Reform liefert zur nächsten Saison aber vorerst der Breitenfußball. Im Kampf gegen hohe Drop-out-Raten im Kinder- und Jugendbereich setzt der ÖFB auf neue Wettbewerbsformen. Ab der kommenden Saison werden eben bei Bewerben bis zur U12 keine Tabellen mehr geführt, die individuelle Entwicklung solle im Mittelpunkt stehen. Zudem werden kleinere Teams auf kleineren Spielfeldern antreten.

Reform im Kinderfußball

Laut ÖFB-Angaben würden derzeit rund 110.000 Kinder und Jugendliche in Österreich Fußball spielen. Doch mehr als jeder Zweite hat laut einer Studie des Europäischen Fußballverbandes (UEFA) noch vor dem 18. Geburtstag sein letztes Spiel schon bestritten. „Das ist eine Zahl, die wir als Verband verbessern wollen“, sagte Stefan Gogg, Leiter der Abteilung Breitenfußball im ÖFB. Jedes vierte Kind würde man innerhalb des ersten Jahres nach Eintritt wieder verlieren.

Als Maßnahme seien auf Basis aktueller sportwissenschaftlicher Erkenntnisse neue Wettbewerbsformen bzw. Spielregeln für den Nachwuchsbereich auf den Weg gebracht worden. Um Ballaktionen zu fördern, soll bis zur U10 auf mehreren Spielfeldern gleichzeitig gegeneinander gespielt werden – im Idealfall auf die jeweilige Leistungsstärke abgestimmt. Dazu ist Eindribbeln statt Einwurf bzw. Abstoß vorgesehen. Zur ausgewogeneren Involvierung aller Spielerinnen und Spieler gibt es Rotationsvorgaben. Details finden sich auf der vom ÖFB gestalteten Website Wirliebenleder.at – die Reform wird österreichweit von allen Vereinen zur neuen Saison umgesetzt.

ÖFB setzt verstärkt auf Wissenschaft

Der ÖFB setzt zukünftig auch auf die Komponente Wissenschaft. „Es war für mich vor zehn Jahren überhaupt nicht absehbar, welche Wertigkeit und welche Dimension das so rasch bekommt“, sagte Schöttel. Dem habe man Rechnung getragen. Oesen verarbeitet mit seinem Team auf einer Wissensplattform des Anbieters SAP enorme Datenmengen. Neben Video- und Trainingsanalysen sowie Diagnostik werde auch datenbasiertes Controlling der eigenen Arbeit auf wissenschaftlicher Ebene ermöglicht, erklärte der Abteilungsleiter.

Auch die Handlungsempfehlungen, die der ÖFB den Spielern über sein „Players First“-Konzept gibt, werden laut Oesen auf Datenbasis überprüft. „Players First“ sei keine Spielphilosophie betreffend Formationen und Prinzipien, betonte Thomas Eidler, Leiter der Traineraus- und -fortbildung, die neu ÖFB-Trainerakademie heißt. Eidler sprach von einem „Paradigmenwechsel“ – von Grundordnung und Positionen hin zu Verhaltensweisen und Funktionen, die die einzelnen Spieler erfüllen sollten.

Aufholbedarf in anderen Bereichen

In der Talenteförderung sieht deren Gesamtleiter Martin Scherb vor allem im Torhüterbereich „Aufholbedarf“. Dort seien mit Günter Kreissl als „Head of Goalkeeping“ erste Pflöcke eingeschlagen. Auch das Projekt 12, das viele prominente ÖFB-Kicker als individuelles Förderprogramm durchlaufen haben, habe sich „revolutionär verändert“, meinte Scherb. „Der größte Hebel war dort, dass wir das Gießkannensystem anders gestaltet haben.“

Isabel Hochstöger als Leiterin der Abteilung für Frauen- und Mädchenfußball hofft, die Europameisterschaft im Sommer in England als Katalysator nutzen zu können. Derzeit seien nur sieben Prozent der Aktiven in Österreichs Vereinen Frauen. „Es ist uns noch nicht gelungen, diese Zahl eklatant nach oben zu schrauben.“ Im Breitensport ist man vor allem darauf bedacht, Kinder länger beim Sport zu halten, erklärte der dafür im ÖFB zuständige Gogg.

Schöttel zeigte sich zufrieden, in jüngerer Vergangenheit die wichtigsten Spieler, die für mehrere Nationen spielberechtigt gewesen wären, beim Verband gehalten zu haben. Der Wiener nannte unter anderen Sasa Kalajdzic und Yusuf Demir, aber auch Dejan Ljubicic, Junior Adamu und Ercan Kara. Bei Adrian Grbic sei laut Schöttel sogar Superstar Luka Modric zu Hause vorstellig geworden, um ihn für Kroatien zu gewinnen – ohne Erfolg. Ins ÖFB-Team wurde der Stürmer von Rapids Conference-League-Bezwinger Vitesse Arnheim allerdings auch seit fast einem Jahr nicht mehr berufen.