Ivica Osim
GEPA/Markus Leodolter

Trainerlegende Ivica Osim ist tot

Der frühere Fußballtrainer Ivan „Ivica“ Osim ist am Sonntag überraschend verstorben. Das vermeldete Admiral-Bundesligist Puntigamer Sturm Graz unter Berufung auf Osims Familie während der traditionellen Jahresfeier anlässlich der Gründung des Vereins am 1. Mai. Osim wurde 80 Jahre alt, der „Strauß von Zeljo“ starb wenige Tage vor seinem 81er am 6. Mai. „Er hat weit über den Fußball hinaus gewirkt“, sagte Sturm-Präsident Christian Jauk.

In seiner Heimat Bosnien und in Graz genoss Osim schon zeitlebens Legendenstatus. Sturm Graz übernahm er als Mittelständler, gewann dank Offensivfußballs zweimal den Meistertitel (1998, 1999), dreimal den Cup (1996, 1997, 1999) und schaffte dreimal den Einzug in die Champions League (1999 bis 2001). Graz ist, wie Osim immer betonte, für ihn „zweite Heimat“ geworden.

Sein Tod am 1. Mai – gleichzeitig der 113. Geburtstag von Sturm – kam für viele trotz langjähriger Krankheitsgeschichte dennoch überraschend – auch für die schwarzweiße Entourage, die trotz Regens auf den Grazer Hausberg Stöckl gepilgert war, um Sturms Geburtstag und den Status als Vizemeister zu feiern. Dann vermeldete Clubpräsident Jauk den Tod der Sturm-Legende mit Tränen in den Augen. „Wenn wir gemeinsam trauern, macht es die Sache leichter.“

Trainerlegende Ivica Osim ist tot

Ivan „Ivica“ Osim, einer der erfolgreichsten Fußballtrainer, die je in Österreich gearbeitet haben, ist gestorben. Seine philosophische Herangehensweise an den Sport und das ständige Ringen um Frieden in seiner Heimat brachten ihm den Ruf eines Weisen ein. Am Sonntag hätte das Gründungsfest des SK Sturm stattfinden sollen. Es wurde abgesagt.

„Unser Jahrhunderttrainer ist just am Geburtstag unseres Klubs verstorben. Ivica Osim war nicht nur ein großartiger Trainer, sondern auch einer der großartigsten Menschen, die ich kennenlernen durfte. Er war die größte Ikone unseres Klubs, und ich werde die vielen gemeinsamen Stunden nie vergessen“, so Jauk. „Er hat weit über den Fußball hinaus gewirkt und seine Worte werden ewig in uns nachhallen. Die Sturm-Familie verliert einen der bedeutendsten Menschen, die jemals in unserer Mitte geweilt sind. Mein tiefes Mitgefühl gilt seiner Frau, seinen zwei Söhnen und seiner gesamten Familie. Ruhe in Frieden, Ivan!“

Trainer Ivica Osim (Sturm)
GEPA/Guenter Floeck
„Osim war nicht nur ein großartiger Trainer, sondern auch einer der großartigsten Menschen“

Kritischer Blick auf Fußball

Osim, der sich von einem Schlaganfall im Alter von 66 Jahren nie mehr ganz erholt und sein Haus im Grazer Stadtteil St. Peter schon länger kaum mehr verlassen hatte, war einer der erfolgreichsten Fußballtrainer, die jemals in Österreich gearbeitet haben. Seine philosophische Herangehensweise an den populärsten Sport der Welt und das ständige Ringen um Frieden in seiner Heimat haben ihm den Ruf eines Weisen eingebracht. Der Horizont des studierten Mathematikers und Philosophen war immer breit und doch auf ein im Schnitt 105 Meter langes und 68 Meter breites Rechteck konzentriert.

„Jeder Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag“, hat Osim einmal gesagt, und danach lebte er. Er verfolgte im TV „alles, was es im Fußball gibt“, obwohl er die fortschreitende Kommerzialisierung und Bestrebungen wie die Super League zutiefst bedauerte. „Der heutige Fußball ist FIFA und Real Madrid. Alles geht ums Geld. Schade.“ Anlässlich seines 80. Geburtstages inmitten der Coronavirus-Pandemie vor einem Jahr sehnte sich Osim nach dem Fußballplatz. „Ich möchte wieder Sturm-Spiele besuchen. Wenn sie dann verlieren, bin ich schuld“, bekundete er etwas abergläubisch.

Archivaufnahme aus 1999 zeigt Ivica Vastic und Trainer Ivica Osim mit Pokal
GEPA/Hans F. Punz
Der bescheidene Erfolgstrainer: Ivica Osim rechts neben seinem damaligen Sturm-Star Ivica Vastic

Spektakuläres Sturm der 1990er Jahre

Erfolg bedeutete für Osim stets mehr als die Anzahl der Trophäen im Schrank. „Erfolgreich ist eine Mannschaft, wenn sie etwas bewegt, nicht aufgrund ihrer Pokale.“ Angeleitet vom Offensivapostel glänzte Sturm mit mutigem Kombinationsfußball, Prunkstück der Mannschaft war das „magische Dreieck“ mit Ivica Vastic, Mario Haas und Hannes Reinmayr, das von Osim alle Freiheiten erhielt und ihm das in der Hochzeit Ende der 1990er Jahre spektakulär am laufenden Band dankte.

Archivbild zeigt Trainer Ivica Osim (Sturm Graz) mit Meisterteller und Cup-Pokal
GEPA/Daniel Raunig
Mit Sturm holte Osim zweimal die Meisterschaft, dreimal den Cup

Wenn damals das Stadion in Liebenau vor Enthusiasmus bebte, hielt sich Osim lockerlässig, beinahe desinteressiert an seiner Straßenbahnhalteschlaufe fest, die über der Trainerbank montiert war. Mit nobler, fast an Verleugnung grenzender Zurückhaltung relativierte er Erfolg um Erfolg – und sorgte dafür, dass seine Stars nach Höhenflügen verlässlich wieder auf dem Boden der Tatsachen landeten. Dem Meister des Understatements kam selbst in vermeintlich großen Glücksmomenten bestenfalls ein verschmitztes Grinsen aus.

Hassliebe mit Kartnig

Auch damit war es zumeist vorbei, sobald sich Hannes Kartnig näherte, um seinen Trainer kameragerecht abzubusseln. Mit dem damaligen Clubpräsidenten verband Osim eine Art Hassliebe, eine stürmische Beziehung mit vielen Höhen und Tiefen, die 2002 endgültig zerbrach: Immer harscher ausfallende öffentliche Kritik von Kartnig veranlasste Osim, das Traineramt nach acht Jahren aufzugeben – es folgte eine Klage wegen Mobbings, Osim bekam 173.822 Euro zugesprochen. Das Geld spendete er.

Seine Trainerkarriere setzte Osim von 2002 bis 2006 beim japanischen Club JEF United fort. Auch dort traf er auf eine erfolglose Truppe, die er zum Cupsieger machte. Die Asiaten vertrauten dem Gelehrten nur allzu gern 2006 den Teamchefposten an, doch kurz darauf ereilte ihn ein Schlaganfall – beim Fußballschauen vor dem Fernseher. Osim sollte seiner Heimat trotz allem noch einmal einen wertvollen Dienst erweisen. Als Chef eines „Normalisierungs-Komitees“ gelang Osim 2011 die Aufhebung der internationalen Sperre des bosnischen Verbandes, drei Jahre später nahm das Land an der WM teil.

„Strauß von Zeljo“ tauschte Trikot von Pele

Dank seiner fußballerischen Fähigkeiten hatte sich Osim früh einen Namen gemacht. Er brillierte als technisch beschlagener Kicker bei Zeljeznicar Sarajevo, dem Eisenbahnerclub, und wurde jugoslawischer Teamspieler, ehe der Wechsel nach Frankreich erfolgte.

Aufgrund seiner virtuosen Spielweise, seines tänzelnden Stils, bekam er den Spitznamen „Strauß von Zeljo“ verpasst. Dazu sagte er: „Mit 1,90 Meter kann man nicht elegant sein. Ich habe viel gedribbelt, mich mit dem Ball amüsiert.“ Er konnte Bälle behaupten. „Wenn es keine Lösung gab, hat es geheißen: Gebt den Ball zu Strauß!“

Wie gut Osim war, zeigt folgende Anekdote: Als 1969 der FC Santos mit Pele in Sarajevo gastierte, um gegen eine dortige Stadtauswahl zu spielen, war Osim verletzt. Als Pele davon Wind bekam, soll er gesagt haben: „Wenn Osim nicht spielt, spiele auch ich nicht.“ Osim wurde fit gespritzt und bekam nach dem 1:1 Peles Trikot. Nicht er, sondern Brasiliens Fußballkönig soll Osim nach dem Tausch gefragt haben.

Krieg nahm Osim das Lächeln

Osim wuchs in einer atheistischen Arbeiterfamilie in Sarajevo auf und heiratete eine Muslima, mit der er drei Kinder bekam. Aber die multikulturelle Idylle in der Olympiastadt von 1984 wurde immer brüchiger. Als das ehemalige Jugoslawien im Bürgerkrieg versank, war Osim Teamchef der Nationalmannschaft, die mit herausragenden Kickern gespickt war. Das Land wäre 1992 als Mitfavorit zur EM gefahren, wurde aufgrund der Kriegswirren aber ausgeschlossen.

Am 23. Mai 1992, als während der Einkesselung Bomben auf seine geliebte Geburtsstadt fielen, unternahm Osim einen tieftraurigen Protest. Unter Tränen trat er auf einer Pressekonferenz in Belgrad als Teamchef zurück. „Das ist das Einzige, das ich für die Stadt tun kann, damit ihr euch auch daran erinnert, dass ich in Sarajevo geboren wurde. Und ihr wisst, was dort geschieht.“ Das Trauma des Krieges sollte Osim sein ganzes Leben lang verfolgen, den Nationalismus verstand er nie. „Ich habe damals mein Lächeln verloren“, gestand er Jahre später. Die Liebe für den Fußball blieb.