Finnische Eishockeyzuschauer in Tampere
GEPA/Daniel Goetzhaber
Eishockey-WM

Finnisches Fest nähert sich Siedepunkt

Mit dem Beginn der K.-o.-Runde am Donnerstag beginnt nicht nur die entscheidende Phase der 85. Eishockey-WM der Männer, auch die Stimmung im Gastgeberland Finnland nähert sich ihrem Siedepunkt. Speziell im Hauptspielort Tampere wird der Ausnahmezustand wohl eine neue Eskalation erleben. In der drittgrößten Stadt Finnlands liebt man den schnellen Kufensport nicht nur, er gehört zum Alltagsleben.

Wenn die Finnen am Donnerstag (19.20 Uhr, live in ORF Sport +) gegen die Slowakei um den Einzug ins Halbfinale kämpfen, wird das öffentliche Leben an den Ufern der Tammerkoski-Stromschnellen zwischen den Seen Näsijärvi und Pyhäjärvi wieder stillstehen. Schon in der Gruppenphase pilgerten die Massen in die Nokia Arena, drängten sich in den Fanzonen in der Nähe der Halle und vor den Leinwänden in den Lokalen, um ihren „Lejonat“ beim Siegen zuzuschauen. „Man sieht, was das für ein Eishockeyland ist“, zeigte sich auch der österreichische Teamchef Roger Bader von der WM in Finnland begeistert.

Banner und Plakate über und an den Straßenrändern erinnern Besucher und Besucherinnen, was in der Stadt derzeit Thema Nummer eins ist. Geschäfte locken mit im WM-Look dekorierten Schaufenstern und speziellen Rabatten. In Sachen Public Viewing ist man in Tampere kreativ. Am Hafen kann man nicht nur von der Lokalterrasse im Freien, sondern – klassisch finnisch – auch nach dem Saunagang die WM-Action verfolgen. Neben der Abkühlung im See bietet eine überdimensionale Leinwand am Beckenrand den perfekten Überblick darüber, was 400 Meter Luftlinie entfernt in der Arena passiert.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Impressionen aus Tampere (Finnland)
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In Tampere sind sogar die Figuren auf der Brücke ins Zentrum ganz auf die WM abgestimmt
Impressionen aus Tampere (Finnland)
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Die Sitzgärten wie hier vor dem Stadttheater (r.) und der Alten Kirche sind während der WM bereits am Vormittag gut besucht
Impressionen aus Tampere (Finnland)
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Ein Abstecher auf den Fernsehturm Näsinneula hilft, dem WM-Trubel etwas zu entfliehen
Impressionen aus Tampere (Finnland)
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Neben den weißen Zwillingstürmen lässt sich die Nokia Arena, das neue Wahrzeichen Tamperes, zumindest erahnen

Dank Kaiserwetters – in Tampere kam rechtzeitig zur WM auch der Frühsommer an – geht es bereits tagsüber in der Stadt rund. Die Stimmung ist entspannt fröhlich, trotz überproportionalen Alkoholkonsums. Egal ob österreichisches, schwedisches oder britisches Trikot, in Tampere sind zu WM-Zeiten Jeder und Jede gleich. Ein Video eines einsamen, jubelnden schwedischen Fans inmitten eines blau-weißen Meers wurde zum Symbol für das weigehend friedliche Miteinanderumgehen.

Zentrum des finnischen Eishockeys

An Eishockey kommt man im „Land der tausend Seen“, die bis weit ins Frühjahr zugefroren sind, generell nicht herum – in Tampere wird aber noch eines draufgesetzt. Denn der Sport gehört zur Stadt wie die alten Industrieanlagen im Stadtzentrum, die Tampere den Spitznamen „Manchester des Nordens“ einbrachten. Auf dem südlich der Stadt gelegenen Pyhäjärvi-See fand 1928 das erste offizielle Eishockeyspiel in Finnland statt. Mit der 1965 eröffneten Arena im Stadtteil Hakametsä verfügt Tampere über die älteste Halle des Landes, mit der 2021 fertiggestellten Nokia Arena gleichzeitig über die aktuell modernste der Welt.

Impressionen aus Tampere (Finnland)
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Ilves hat – wie schwer zu übersehen – seine Büroräumlichkeiten im Haarlan-Palais im Zentrum Tamperes

Die beiden Großclubs Tappara und Ilves sind das finnische Eishockeypendant etwa zu Real Madrid und dem FC Barcelona im spanischen Fußball. Gemeinsam errangen die beiden Mannschaften 32 Meistertitel. Die überall plakatierte Bezeichnung „Home of Hockey“ ist daher nicht übertrieben. Tappara ist mit 18 gegenüber 16 vorerst der erfolgreichere und auch aktuelle Champion. Dafür dürfen Fans der grün-gelben „Luchse“ stolz darauf sein, mit dem Meister von 1936 den ersten aus Tampere zu stellen. Dazu darf man den aktuellen Zweitligisten Kovee Tampere, Titelträger von 1968, nicht vergessen. Wenn doch, wird man von Einheimischen im Gespräch schnell daran erinnert.

Kein Wunder, dass auch Spieler aus Tampere viel zum Aufschwung des finnischen Eishockeys beigetragen haben. Aktuelle Stars der National Hockey League (NHL) wie Aleksander Barkov von den Florida Panthers und Patrik Laine (Columbus Blue Jackets) sowie ehemalige Aushängeschilder wie Teppo Numminen, langjähriger Teamkollege von Thomas Vanek in Buffalo, und Ville Nieminen, 2001 Stanley-Cup-Sieger mit Colorado, lernten in Tampere das Eislaufen. Mit Raimu Helminen stand eine Ilves-Legende vergangene Saison beim HC Pustertal in der ICE Hockey League hinter der Bande. Als der 58-Jährige beim Spiel der Finnen gegen Österreich auf dem Videowürfel zu sehen war, gab es von den 11.500 Fans Standing Ovations.

Schmuckkästchen, das neidisch macht

Es verwundert daher nicht, dass auch die modernste Eishockeyhalle der Welt aktuell in Tampere steht. Um insgesamt 700 Millionen Euro wurde rund um die neue Arena in der Nähe des Bahnhofs auch gleich ein neues Stadtviertel bestehend aus Hotels-, Büro- und Wohngebäuden aus dem Boden gestampft. Die Halle selbst wurde auf einer Plattenkonstruktion über den Gleisen, auf denen täglich die Schnellzüge aus der Hauptstadt Helsinki eintreffen, um 120 Mio. Euro errichtet. Stararchitekt Daniel Libeskind, dem New York das One World Trade Center zu verdanken hat, zeichnete für den Bau verantwortlich.

Außenansicht der Nokia Arena in Tampere (Finnland)
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Das neue Wahrzeichen Tamperes begrüßt und verabschiedet die Zugsreisenden von und nach Helsinki

Die Mehrzweckhalle, die erst im Dezember 2021 mit dem Derby zwischen Ilves und Tappara eröffnet wurde und bis zu 15.000 Plätze fasst, ist bereits jetzt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Neben der aktuellen Weltmeisterschaft finden heuer insgesamt 155 Events in der Arena, die über Nacht von einer Eishockeyhalle in einen Konzertsaal umgebaut werden kann, statt. Auch wenn Geschäftsführer Marko Hurme im Vorfeld betonte, es handle sich um „eine Mehrzweckhalle, in der auch Eishockey gespielt werden kann“, macht Eishockey 20 Prozent des Umsatzes aus.

Bei WM-Spielen in der alle technischen Stückerl spielenden Nokia Arena fühlt man sich in einer anderen Welt. Ein Spiel wird dank Videowürfel und Lichtershow zum multimedialen Genuss. Wer die richtigen Beziehungen hat, kommt vielleicht auch in den Genuss eines Platzes in einer der 63 luxuriösen VIP-Boxen. In Österreich muss man darauf wohl bis zum Ende des Jahrzehnts warten, bis die geplante, 20.000 Plätze fassende Halle in Wien-St. Marx eventuell steht. Im Gedanken daran ist man wie vom Platzsprecher in Tampere bei Österreich-Spielen gefordert, „bereit zu schreien“ – nicht aus Freude, sondern vor Neid.