Der serbische Tennisprofi Novak Djokovic
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Tennis

Wimbledon erhitzt die Gemüter

Der Ausschluss russischer Tennisspieler von Wimbledon und die Nichtvergabe von Weltranglistenpunkten beim diesjährigen Rasenklassiker spaltet die Tennisszene. Bei den derzeit laufenden French Open in Paris dreht sich in den ersten Tagen vieles um das nächste Grand-Slam-Turnier Ende Juni. Vor allem die Entscheidung von ATP und WTA, in Wimbledon keine Punkte für das Ranking zu vergeben, stößt bei vielen auf Unverständnis. Auch der Weltranglistenerste Novak Djokovic ist ein Gegner dieses Beschlusses.

Djokovic kritisierte den Verzicht auf Weltranglistenpunkte beim diesjährigen Rasen-Grand-Slam-Turnier. „Ich denke, es war eine falsche Entscheidung“, sagte der Serbe am Montag in Paris nach seinem Erstrundensieg bei den French Open. Sein Widersacher Rafael Nadal hat ein ambivalentes Verhältnis zur Causa. „Am Ende verstehe ich beide Seiten“, sagte der 13-fache French-Open-Sieger.

Die ATP und auch die WTA für die Frauen hatten am Freitag entschieden, dass es beim Rasenklassiker heuer keine Punkte für ihre Rankings geben wird. Grund dafür ist der Ausschluss der Profis aus Russland und Belarus durch die Wimbledon-Veranstalter wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. ATP und WTA hatten diese Entscheidung kritisiert und nun die Konsequenzen gezogen.

Der russische Tennisprofi Daniil Medwedew
Reuters/USA Today Sports/Susan Mullane
Der Russe Medwedew könnte von der Situation skurrilerweise sogar profitieren

Djokovic verliert am meisten Punkte

Djokovic ist von der Regelung ganz besonders betroffen, weil er als Titelverteidiger nun 2.000 Punkte und sehr wahrscheinlich auch seinen ersten Platz in der Weltrangliste verliert. Er sei aber froh, dass die ATP und die Spieler den Machern von Wimbledon deutlich gemacht hätten, dass ihre Entscheidung zum Ausschluss besagter Spielerinnen und Spieler falsch gewesen sei.

Gleichwohl hätte sich der seit Sonntag 35-jährige Serbe eine andere Regelung gewünscht. „Ich denke, die ATP hätte auch einen Mittelweg finden können. Sie hätten die Punkte für dieses Jahr streichen, vom letzten Jahr aber einfrieren können“, sagte Djokovic. Allerdings sei die gesamte Konstellation für alle Seiten sehr komplex. „Es ist eine Lose-lose-Situation“, sagte die Nummer eins der Welt.

Nadal versteht beide Seiten. „Ich habe keine klare Meinung. Bei uns hat jeder Spieler eine eigene Meinung, und darum werden wir nie Dinge erreichen, die möglich wären, wenn wir an einem Strang ziehen. Am Ende ist es nötig, dass es jemanden gibt, der die Entscheidungen trifft“, sagte der ab 3. Juni 36-Jährige. Man müsse die Entscheidung des ATP-Boards akzeptieren. „Am Ende verstehe ich beide Seiten. Ich respektiere ohne Zweifel den Standpunkt von Wimbledon, aber auf der anderen Seite verstehe ich die ATP, die ihre Mitglieder beschützt.“

Der spanische Tennisprofi Rafael Nadal
Reuters/USA Today Sports/Susan Mullane
Rafael Nadal hat für beide Seiten Verständnis

Medwedew könnte profitieren

Bleiben ATP und WTA bei ihrer Entscheidung, keine Punkte zu vergeben, könnte es zu der kuriosen Situation kommen, dass mit Daniil Medwedew ausgerechnet ein russischer Spieler am meisten davon profitiert, indem er Djokovic als Nummer eins der Welt ablöst. „Das wäre in der Tat komisch“, sagte Medwedew am Dienstag nach seinem Sieg in der ersten Paris-Runde. „Wenn es keine Punkte gibt und ich werde die Nummer eins, gut für mich. Wenn es Punkte gibt und ich kann nicht Nummer eins werden, wäre ich angepisst“, sagte der Russe. „Ich habe aber keinen Einfluss auf die jeweiligen Entscheidungen.“

Osaka erwägt Startverzicht

Hinter den Kulissen laufen bei den Beteiligten heiße Diskussionen – das letzte Wort scheint noch lange nicht gesprochen. Die ehemalige Weltranglistenerste Naomi Osaka hat für den Fall, dass es beim Verzicht auf Punkte bleibt, bereits angedeutet, nicht in Wimbledon spielen zu wollen. „Ich spiele schon, um die Aussicht zu haben, mich im Ranking zu verbessern“, sagte die Japanerin. Auch weitere Spieler und Spielerinnen scheinen über einen Startverzicht nachzudenken, der Wimbledon 2022 endgültig zu einer Art Showevent machen würde.

Die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka
AP/Christophe Ena
Osaka überdenkt ein Antreten in Wimbledon, sollte es keine Punkte geben

„99 Prozent der Spieler wollen, dass Punkte vergeben werden und das Turnier so ist wie zuvor“, sagte der Franzose Benoit Paire. „Also möchte ich wissen, ob die ATP die Spieler oder Russland verteidigen möchte.“ Der Russe Andrej Rublew geht davon aus, dass die Stars der Branche dennoch in Wimbledon dabei sind. „Sie spielen nicht für Geld oder Punkte, sondern für die Historie“, sagte Rublew.

Wimbledon für Murray weiterhin wertvoll

Für den britischen Tennisstar Andy Murray bleibt der Rasenklassiker auch ohne die Vergabe von Punkten für die Weltrangliste wertvoll. Er sei großer Golf- und Fußballfan, habe aber keine Ahnung, wie viele Punkte es für einen Masters-Sieg im Golf oder den WM-Sieg im Fußball gebe. „Aber ich kann dir genau sagen, wer die WM oder das Masters gewonnen hat“, schrieb Murray am Mittwoch auf Twitter.

Auch die Zuschauer in Wimbledon würden sicher keine Ahnung haben und sich auch nicht dafür interessieren, wie viele Punkte ein Spieler für einen Sieg in der dritten Runde bekomme. „Aber ich garantiere, dass sie sich daran erinnern werden, wer gewinnt. Wimbledon wird nie ein Showkampf sein und sich nie wie ein Showkampf anfühlen. Ende“, schrieb Murray.