ÖFB-Damen-Teamchefin Irene Fuhrmann mit Spielerinnen
GEPA/Johannes Friedl
Interview

Österreich setzt sich bei EM keine Grenzen

Am Pfingstmontag ist Österreichs Fußballnationalteam in Bad Tatzmannsdorf mit der Vorbereitung ins Abenteuer Fußball-EM 2022 gestartet. In exakt einem Monat eröffnet das ÖFB-Team im legendären und ausverkauften Old Trafford zu Manchester gegen Gastgeber England die Endrunde. „Wir sind realistisch, trotzdem wollen wir nicht nur in der Gruppenphase dabei sein, sondern uns keine Grenzen setzen. In solchen Spielen auf der EM-Bühne ist alles möglich“, sagte ÖFB-Teamchefin Irene Fuhrmann im Interview mit ORF.at.

Die 41-jährige Wienerin leitet seit 2020 die Geschicke des Teams. Zum zweiten Mal nach 2017, als Österreich bei der Premiere in den Niederlanden sensationell bis ins Halbfinale gekommen war, ist das ÖFB-Team bei einer EM-Endrunde dabei. „Es ist absolut keine Selbstverständlichkeit, wieder unter den besten 16 Europas zu sein“, so Fuhrmann, die mit ihrem Team drei Testspiele gegen Dänemark (12.6.), gegen Montenegro (22.6.) und in Belgien (26.6.) bestreiten wird.

Nach vielen organisatorischen und repräsentativen Aufgaben freut sich Fuhrmann, dass sie nun mit ihren Spielerinnen auf dem Platz arbeiten kann. Neben England trifft Österreich in der Gruppe A auch noch auf Nordirland (11.7.) und Norwegen (15.7.). „Wenn die Gruppenphase beginnt, müssen wir fit sein und gute Pläne haben. Dann ist vieles möglich“, so die Teamchefin vor dem Auftakt in die Vorbereitung.

ORF.at: Einen Monat vor dem EM-Eröffnungsspiel starten Sie mit Ihrem Team in die Vorbereitung. Überwiegt schon die Vorfreude?

Irene Fuhrmann: Die Vorbereitungen waren in vielen Bereichen sehr fordernd. Aber die Vorfreude nimmt zu, und wir freuen uns, jetzt mit den Spielerinnen loslegen zu können. Wir haben ein ganz spezielles Jahr, weil wir keine normale Vorbereitung auf die EM haben. Im April mussten wir in der WM-Qualifikation performen. Die Ligen in Europa wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten beendet, da waren wir gefordert, die Spielerinnen bestmöglich individuell zu unterstützen. Die große Kunst wird es jetzt sein, alle auf ihrem Niveau abzuholen. 

ORF.at: Wie nehmen Sie die Stimmungslage wahr?

Fuhrmann: Mir war es wichtig, dass die Spielerinnen nach Saisonende mit dem Kopf wegkommen. Wir können auf viel positive Stimmung zurückgreifen, wir haben überhaupt ein besonderes Setting. Ich würde es als familiär bezeichnen. Manche spielen schon seit zehn Jahren zusammen, haben so viel gemeinsam erlebt und viele Höhen und Tiefen miteinander bewältigt.

ORF.at: Wie geht es Ihrer Kapitänin Viktoria Schnaderbeck?

Fuhrmann: Viki hatte schwierige eineinhalb Jahre, wenig Spielzeit und Spielpraxis. Aber es ist faszinierend, wie sie sich bei uns im Februar präsentiert hat. Egal, ob auf oder abseits des Platzes, ich habe sie noch nie so souverän gesehen, ein absolutes Vorbild. Viki ist athletisch fit, die Frage wird sein, ob sie verletzungsfrei bleibt. Wenn sie fit ist, wird sie uns sportlich helfen können.

ÖFB-Teamspielerin Viktoria Schnaderbeck
GEPA/Michael Meindl
Ob auf oder abseits des Platzes: Kapitänin Schnaderbeck wird eine wichtige Stütze sein

ORF.at: Was ist Ihnen in der Vorbereitung wichtig?

Fuhrmann: Am Anfang steht der athletische Bereich im Fokus. Wir müssen schauen, dass wir alle auf einen Level bekommen. Wenn wir nicht fit genug sind, werden wir nichts reißen. Die drei Testspiele sind wichtig für die Matchfitness und auch, um auf internationalem Niveau gefordert zu sein. Wir haben mit Dänemark und Belgien super Gradmesser. Es geht auch darum, im technisch-taktischen Bereich zu arbeiten. Wenn die Gruppenphase beginnt, müssen wir fit sein und gute Pläne haben, um agieren und reagieren zu können.

Wir können auf viel aufbauen, was wir in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Sei es Dreier-, Vierer- oder Fünferkette in der Defensive, eine oder zwei Spitzen in der Offensive. Statistiken der aktuell laufenden WM-Qualifikation zeigen, dass wir uns im Vergleich zu früher viele Torchancen herausspielen, mehr Präsenz in der Box haben. Der Unterschied zu den Spitzennationen: Wir brauchen zu viele Chancen für Tore, und das macht den Qualitätsunterschied aus. 

ORF.at: Gibt es spezielle Herausforderungen?

Fuhrmann: Wir sind oft zu sehr defizitorientiert im Trainergeschäft. Speziell Frauen hadern mit ihren Fehlern, und haben dann gar nicht am Schirm, was sie alles gut gemacht haben. Das ist dann auch unsere Aufgabe, ihr Selbstvertrauen vor dem Turnier zu stärken.

ORF.at: Was ist das Ziel in England?

Fuhrmann: Wir sind realistisch, trotzdem wollen wir uns keine Grenzen setzen. In solchen Spielen auf der EM-Bühne ist alles möglich. Mein Wunsch wäre, dass wir im dritten Gruppenspiel gegen Norwegen ein Entscheidungsspiel haben, dann denke ich, geht es auch darum, wer die besseren Nerven hat, auch wenn wir noch nie gegen sie gewinnen konnten. Auch dieses Mal erwartet uns eine Mammutaufgabe, denn Norwegen hat absolute Topspielerinnen in ihren Reihen, wie eine Ada Hegerberg bei Lyon oder Caroline Graham Hansen und auch Ingrid Engen bei Barcelona.

ORF.at: Wo sehen Sie die Stärken Ihres Teams?

Fuhrmann: Wir haben uns immer über unser Kollektiv ausgezeichnet. Das Wichtigste ist, dass wir auf alle Spielerinnen zurückgreifen können. Dann ist viel möglich. Mit der Einstellung gehen wir ins Turnier, wissen die Kräfteverhältnisse realistisch einzuschätzen und werden aber versuchen, das Unmögliche wieder möglich zu machen.

ÖFB-Teamspielerin Sarah Zadrazil im Spiel gegen Nordirland
GEPA/Michael Meindl
Österreich trifft bei der EM neben England und Norwegen auch auf Nordirland

Wir haben eine wirklich gute Mischung aus erfahrenen und jungen Spielerinnen, die mit viel Spielwitz und frech aufspielen können. Wir müssen es schaffen, mit dem Selbstvertrauen zu agieren, wie wir es schon an den Tag gelegt haben, und dürfen dabei unsere Basics nicht vernachlässigen. Ich möchte, dass wir uns am Ende nichts vorwerfen können, sei es in der Vorbereitung oder dann auch beim Turnier. Mir ist wichtig, dass wir Haltung zeigen, nie aufgeben, alles versuchen.

ORF.at: 2017 ist Österreich bei seiner EM-Premiere sensationell ins Halbfinale gekommen. Hat das einen Einfluss auf dieses Turnier?

Fuhrmann: Bei den Männern wurde Griechenland 2004 Europameister, 2008 hätte den Titel niemand von ihnen eingefordert. So ein Fußballmärchen wie 2017 ist nicht beliebig reproduzierbar, eine einmalige Sache. Aber es soll uns Mut geben und zeigen, was alles möglich ist auf der großen Fußballbühne.

ORF.at: Apropos Fußballbühne: EM-Eröffnungsspiel im Old Trafford in Manchester gegen England, was löst das in Ihnen aus?

Fuhrmann: Das ist etwas, das wir nicht so schnell oder vielleicht nie wieder erleben werden. Ein absolutes Highlight, und am Ende müssen wir einfach geil drauf sein, dort spielen zu dürfen. Es ist ein Privileg, zumindest der gesamte Frauen-Fußball aus Europa wird auf dieses Spiel schauen. Wir wollen das genießen, dafür muss die Leistung stimmen. Für uns gilt es, auf alles so gut wie möglich eingestellt zu sein, wir sollten uns nicht zu sehr vom Ambiente ablenken lassen.

ORF.at: Alle erwarten einen Sieg der Gastgeberinnen, aber könnte der Druck einer Heim-EM Österreich in die Karten spielen?

Fuhrmann: Es gibt eine Chance, wenn wir überperformen und die Engländerinnen vielleicht nicht den besten Tag haben. Sie haben mit Sarina Wiegman jemanden als Teamchefin geholt, die das mit den Niederlanden schon 2017 selbst erlebt hat. Aber jeder spricht vom England-Spiel, wir haben danach noch zwei Entscheidungspartien. Das darf man nicht aus den Augen verlieren. Es ist wichtig, dass wir ab der Vorbereitung alles investieren, um als Team performen zu können.

ORF.at: Wird diese Europameisterschaft im Mutterland den Stellenwert des Frauen-Fußballs auf ein neues Niveau heben?

Fuhrmann: Die deutsche Teamchefin Martina Voss-Tecklenburg, die schon deutlich mehr erlebt hat als ich auf diesem Niveau, hat gesagt, das ist so groß, was uns da erwartet. Dem kann ich mich anschließen. Und man sieht es jetzt schon in der Vorbereitung, die Endrunde 2017 in den Niederlanden war im Vergleich dazu ein Kindergeburtstag.