Viktoria Schnaderbeck
APA/Hans Punz
Interview

„Wir haben nun eine andere Strahlkraft“

Sie ist eines der Gesichter und vor allem die Stimme des österreichischen Nationalteams. Viktoria Schnaderbeck führt seit fast zehn Jahren als Kapitänin die ÖFB-Auswahl an und hofft, das trotz ihrer traditionellen Knieprobleme auch bei der EM in ihrer Wahlheimat England zu tun. Im Interview mit ORF.at sprach die 31-jährige Steirerin auch über Themen abseits des grünen Rasens und stellte fest: „Wir haben nun eine andere Strahlkraft.“

Seit bereits 15 Jahren ist Schnaderbeck Teil des ÖFB-Teams und hat den Aufstieg von „widrigen Bedingungen“ über den „Wendepunkt“ EM 2017 bis zur heutigen erfreulichen Entwicklung hautnah miterlebt. „Es ist schön, bei dieser Aufwärtsspirale dabei zu sein, denn wir kennen es auch anders“, betonte die frühere Legionärin von Bayern München, die zuletzt für Arsenal und Tottenham auf der britischen Insel gespielt hat.

Das Selbstvertrauen ist mit den Erfolgen in jüngerer Vergangenheit merklich gestiegen, das spürte der Österreichische Fußballbund (ÖFB) bei den Prämienverhandlungen mit Schnaderbeck und Co. Mit ihrem Team will die Abwehrchefin die Bühne auch anderweitig nützen. „Der Frauen-Fußball strebt zwar nach oben, aber es gibt noch genügend Mädchen, die nicht diese Möglichkeiten haben“, sagte Schnaderbeck, die auch über ihre offene Zukunft auf und abseits des Feldes spricht. Am Donnerstag hob die Kapitänin zunächst mit dem ÖFB-Tross, der 55 Personen umfasst, zu ihrer zweiten EM-Teilnahme nach England ab.

ORF.at: Ab wann wäre die EM für Sie ein Erfolg?

Viktoria Schnaderbeck: Unser Ziel muss sein, dass wir 100 Prozent oder besser mehr auf den Platz bringen, um bestehen zu können. Daran messe ich mich und uns. Die Arbeit als Kollektiv hat uns schon vor fünf Jahren ausgezeichnet. Wenn wir das wieder auf den Platz bringen, dann ist im Fußball vieles möglich.

ORF.at: Die Champions League hat mittlerweile eine Gruppenphase, in Barcelona wurde ein Zuschauerrekord aufgestellt, die WM 2023 wird aufgestockt und die EM weckt Rekordinteresse. Ist das ein Aufbruch in eine neue Dimension?

Schnaderbeck: Ich habe letztens das Lied „Talkin’ about a revolution“ („Über eine Revolution reden“, Anm.) von Tracy Chapman gehört, da ist mir auch die aktuelle Situation im Frauen-Fußball in den Sinn gekommen. Es passiert viel, es gibt eine Aufbruchstimmung. Man merkt, viele interessieren sich dafür, und es ist ein ehrliches Interesse. Man hat nicht mehr das Gefühl, die Leute schauen es, weil sie es vielleicht müssen, sondern weil sie auch überzeugt sind.

Viktoria Schnaderbeck (Tottenham) gegen Sam Kerr (Chelsea)
Reuters/Matthew Childs
Zuletzt spielte Schnaderbeck für Tottenham, nun wartet auf der Insel das nächste Highlight mit dem ÖFB-Team

ORF.at: Geht es bei dieser EM mehr als nur um Fußball?

Schnaderbeck: Der Fokus ist und bleibt auf Fußball. Ein Turnier lebt von seiner sportlichen Attraktivität, aber man muss schon auch den Gesamtkontext sehen. Der Frauen-Fußball strebt zwar nach oben, aber es gibt noch genügend Mädchen, die nicht diese Möglichkeiten haben. Wir haben eine Bühne, die wir vor Jahren gar nicht hatten und die wir nun schon auch nützen können, um auf gesellschaftliche Dinge hinzuweisen, etwa die Rolle der Frau. Jeder von uns kann Beispiele nennen, wie wir mit Vorurteilen oder Hindernissen zu kämpfen hatten. Mittlerweile sind wir in einem Jahrhundert, in dem das nicht mehr akzeptabel ist, und in dem die Meinung frei geäußert werden darf. Diese wird gehört und darin sehe ich eine Chance.

ORF.at: Welche beispielsweise?

Schnaderbeck: Es geht dabei auch stark um andere Sportarten. Wir genießen es, dass unsere Spiele live in ORF1 zu sehen sind. Aber es gibt viele andere Sportarten, in denen Athletinnen Topleistungen bringen und nicht diese Bühne haben. Auch für die sollten wir es machen, denn wir wissen, woher wir kommen. Ich erinnere mich noch heute an die Prämienverhandlungen mit dem ÖFB vor der EM 2017. Damals hatten wir vielleicht noch nicht diese sportlichen Argumente, aber heute würde ich auch aus diesem Gespräch rausgehen. Diesen Mut hätte ich jetzt, wir haben nun eine andere Strahlkraft, wir sind gewachsen.

ORF.at: Wie liefen denn die Verhandlungen heuer?

Schnaderbeck: Man kann nicht immer nur fordern, muss auch wieder liefern. Das ist für mich ein ganz wichtiges Prinzip. Die Verhandlungen waren zufriedenstellend, aber es geht immer besser und wir sind lange nicht bei Equal Pay (gleicher Bezahlung, Anm.). Die Verhandlungen waren sehr hart, es hat drei oder vier Runden gedauert. Wir sind teils ergebnislos auseinandergegangen. Aber auch das war ein wichtiges Zeichen. Man kann und muss sich als Frau in harten Verhandlungen auch durchsetzen. Wir haben die Pflicht, uns da nicht einschüchtern zu lassen, zumal das in der Wirtschaft oder im Sport immer wieder noch vorkommt. Das ist sicherlich auch ein Grund für den (Gender) Pay Gap (Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen, Anm.).

ORF.at: In den USA haben die Fußballerinnen Equal Pay erreicht, in Spanien und anderen Ländern wurden ähnliche Erfolge zuletzt erzielt. Wie sehen Sie die Situation in Österreich?

Schnaderbeck: Man muss immer realistisch bleiben, wir sind wieder einen Schritt näher gekommen. Wenn man kritisch sein darf, müssen wir uns die Voraussetzungen ansehen. Wie kann man erwarten, dass man dieselben Ticketverkäufe oder Sponsoreneinnahmen haben soll, wenn der Frauen-Fußball nicht gleich groß aufgestellt ist? Das ist jedem klar, dass man da weniger mobilisieren kann. Da sind wir beim ÖFB weit weg. Ich weiß, wie die Männer aufgestellt sind. Alleine in der Medienabteilung sind sie doppelt oder dreifach besetzt. Vergleiche sind schwierig, wenn man nicht dieselben Voraussetzungen hat.

Viktoria Schnaderbeck mit Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen
Reuters/Gepa pictures/ Matic Klansek
Schnaderbeck in ihrem zweiten Element: Als Vortragende hat sie sich ein zweites Standbein aufgebaut

ORF.at: Nach Ihrem leihweisen Wechsel zu Tottenham ist Ihr Vertrag bei Arsenal ausgelaufen. Wie sehen Ihre Pläne aus?

Schnaderbeck: Ich werde mich nach der EM entscheiden. Ich habe schon Gespräche mit meinem Berater und auch mit Vertretern von Arsenal und Tottenham geführt. Insofern wurde da schon etwas eingeleitet, den Rest entscheide ich aber nach der Endrunde. Denn ich bin immer gut damit gefahren, mich auf eine Sache zu fokussieren.

ORF.at: Sie hatten zuletzt aber auch viel Verletzungspech. Spielen Sie mit dem Gedanken, Ihre Karriere nach der EM zu beenden?

Schnaderbeck: Mein Credo lautet: Wenn mein Herz und mein Körper „Ja“ sagen, mache ich weiter. Sich diese Frage nach der EM zu stellen, ist aber wichtig. Heute kann ich schon sagen, dass trotz des aktuellen, eher kleinen Knieleidens Körper und Herz absolut mitmachen. Ich habe eine riesige Vorfreude auf die EM, und danach schauen wir weiter.

ORF.at: Als Vortragende beziehungsweise Beraterin haben Sie sich schon parallel eine Karriere aufgebaut. Wollen Sie das weiter vertiefen?

Schnaderbeck: Mir war es wichtig, neben dem Fußball etwas aufzubauen. Da hat mich in den vergangenen Jahren schon ein wenig der Ehrgeiz gepackt. Auch da sind meine Ansprüche hoch, und ich strebe nach Höherem. Ich wurde zwar schon öfters kontaktiert, sei es von Medien oder anderen Bereichen, noch möchte ich aber unabhängig bleiben. Mit den Vorträgen passt das aktuell gut, vielleicht forciere ich noch das persönliche Coaching. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Aber ich bin motiviert, das ist eine gute Grundvoraussetzung.

ORF.at: Unabhängig vom Ausgang der EM: Was würden Sie sich für den heimischen Frauen-Fußball in naher Zukunft wünschen?

Schnaderbeck: Wenn ich mir unseren Kader ansehe, sehe ich viele Spielerinnen, die in ihrer Karriere die Extrameile gegangen sind. Ich würde mir auch wünschen, dass das allgemein in Österreich passiert. Dass etwa Verbände, Vereine oder andere entsprechende Stakeholder den einen Prozentpunkt mehr geben, wie wir es alle gemacht haben.