Zum insgesamt 13. Mal wird eine Europameisterschaft im Frauen-Fußball ausgespielt, Deutschland ist mit acht Erfolgen Rekordsieger und die Niederlande nach ihrem Heimtriumph 2017 Titelverteidiger. Damals als Teamchefin verantwortlich zeichnete Sarina Wiegman, die nun die Engländerinnen ebenfalls im eigenen Land zum Coup führen soll. Vor 17 Jahren war man beim Heimturnier in der Gruppenphase gescheitert, vor fünf Jahren wie Österreich erst im Halbfinale, nun treffen die Gastgeberinnen auch auf Norwegen und Nordirland.
„Diese EM hat nichts mehr mit dem zu tun, was wir zuvor getan haben“, betonte vorab Nadine Kessler, Leiterin der Abteilung Frauen-Fußball beim europäischen Fußballverband. Die Gesamtdotation wurde gegenüber vor fünf Jahren auf 16 Millionen Euro verdoppelt, der Gesamtzuschauerrekord von 274.041 (2017) wird gebrochen werden. Alleine der Anfang und das Ende werden für neue Bestmarken sorgen, das Endspiel steigt wie bei den Herren vor einem Jahr in Wembley.
Über 500.000 Tickets wurden bereits verkauft, rund 74.000 alleine für das Eröffnungsspiel am Mittwoch im legendären Old Trafford in Manchester. Der EM-Rekord datiert aus dem Jahr 2013, als 41.301 Fans im Finale im schwedischen Solna dem 1:0-Sieg Deutschlands gegen Norwegen beiwohnten. „Es geht im Moment eine Welle durch Europa, das ist was Besonderes. Ich fühle ein super Engagement in allen Landesverbänden, in manchen besonders, deshalb wird es keinen Weg mehr an uns vorbei geben“, meinte die Deutsche vor zwei Wochen, als sie in Wien beim ÖFB-Summit über die anstehende Endrunde sprach.
„Investitionen fünfmal höher“
„Die Investitionen der UEFA sind fünfmal höher als bei der EM 2017. Fast 500 Leute arbeiten in der Organisation für dieses Event. 5.500 Volunteers werden mithelfen. Von 716.000 aufgelegten Tickets sind nun über 500.000 verkauft worden. Und wir rechnen mit über 250 Millionen Fernsehzuschauern weltweit“, zählte Kessler weiter auf.
Tatsächlich tut sich in jüngerer Vergangenheit einiges. Die Champions League hat seit vergangener Saison eine Gruppenphase, in selbiger wurde mit 91.553 Zuschauern beim Clasico in Barcelona ein neuer weltweiter Zuschauerrekord aufgestellt. Die Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland wird erstmals mit 32 Teams stattfinden. „Es passiert viel, es gibt eine Aufbruchstimmung. Man merkt, viele interessieren sich dafür, und es ist ein ehrliches Interesse“, meinte zuletzt ÖFB-Kapitänin Viktoria Schnaderbeck gegenüber ORF.at.
TV-Hinweis
ORF1 zeigt 27 der 31 Spiele live, die vier Parallelpartien zum Abschluss der Gruppenphase sind in ORF Sport + zu sehen
Kritik an kleineren Stadien
Zehn Stadien werden im Mutterland des Fußballs bespielt, von ganz groß (Wembley/89.000 Zuschauer Fassungsvermögen) bis ganz klein (Manchester City Academy Stadium/4.700) ist alles dabei. Letzteres sorgte aber auch für Kritik. Die Isländerin Sara Björk Gunnarsdottir hatte die Entscheidung für diese Spielstätte zuletzt als „peinlich“ und „respektlos“ bezeichnet. Auch das Leigh Sports Village, Heimstätte der Frauen von Manchester United, fasst lediglich 8.000 Fans.
Kessler verteidigte die Wahl der Stadien. „Wir haben das Gefühl, dass es immer noch die richtige Entscheidung ist“, sagte sie diesbezüglich der Nachrichtenagentur AFP in der vergangenen Woche. „Wenn man die Kapazität des Turniers von 430.000 auf 720.000 erhöht, dann kann man nicht sagen, dass die Organisatoren nicht ehrgeizig sind.“
Unterstützung erhält sie von den Protagonistinnen. „Die Endrunde 2017 in den Niederlanden war im Vergleich dazu ein Kindergeburtstag“, meinte ÖFB-Teamchefin Irene Fuhrmann bezüglich des Ausmaßes. „Ich glaube, dass dieses Turnier noch mal eine andere Dimension hat. England hat große Dinge auf die Beine gestellt“, merkte zuletzt auch die deutsche Nationalspielerin Linda Dallmann an.
Spanien und England sind Favoriten
Sportlich erwartet sich Kessler, die 2014 als FIFA-Weltfußballerin ausgezeichnet worden war, ein attraktives Turnier. „Die Spitze der Pyramide ist etwas breiter geworden. Das ist genau das, was wir brauchen, um mehr Interesse zu wecken“, betonte die 34-jährige Deutsche. Landsfrau und DFB-Teamchefin Martina Voss-Tecklenburg gibt ihr recht. „Ohne die Leistungen früherer Jahre schmälern zu wollen: Das Niveau ist taktisch, technisch, athletisch viel höher.“
Favorit bei den Buchmachern ist Spanien, das neun Akteurinnen von Champions-League-Finalist FC Barcelona in den eigenen Reihen hat. Gastgeber England hofft ebenso auf den ersten Titel, das gilt auch für Frankreich. Überhaupt gibt es erst vier Titelträger, neben Deutschland (acht Titel) und den Niederlanden (einer) auch Österreichs finaler Gruppengegner Norwegen (zwei) und Schweden (einer). Letzterer ist für ÖFB-Teamchefin Fuhrmann ein „Geheimtipp“.
Die 41-jährige Wienerin hat neben England und Spanien („Sind effektiver geworden“) auch Deutschland und Frankreich auf dem Schirm. „Die Deutschen sind im Umbruch, haben aber viel Potenzial. Und wenn es Frankreich einmal schafft, die individuelle Qualität als Kollektiv auf den Platz zu bringen, ist mit ihnen zu rechnen.“
Enges Rennen um die Krone erwartet
Die von der Papierform her interessanteste Gruppe ist jene mit Spanien mit Topstar Alexia Putellas, Deutschland, Dänemark und Finnland. In Pool C trifft Europameister Niederlande auf Schweden, die Schweiz und die für Russland nachgerückten Portugiesinnen. In der Gruppe D sind Frankreich mit fünf Champions-League-Siegerinnen von Olympique Lyon, Italien, Belgien und Island vertreten.
Fuhrmann erwartet ein enges Rennen um die Krone. „Ich habe es gefühlt noch nie so vielen Teams zugetraut, dass sie den Titel holen, wie bei dieser EM. Es wird insgesamt alles offener sein.“ Das vermutete auch Dänemarks Teamchef Lars Söndergaard, der früher lange im heimischen Männer-Fußball gearbeitet hatte: „Spanien, Frankreich und England sind sehr stark einzuschätzen. Es ist nicht so leicht, einen Topfavoriten zu nennen. Ich rechne mit einer engen EM.“
Österreicherinnen wieder auf der großen Bühne
Österreich macht sich vor der zweiten EM-Teilnahme keinen Druck. 2017 schaffte man es bei der Premiere sensationell ins Halbfinale, das soll, muss aber nicht noch einmal gelingen. „Die Erwartungshaltung ist sicher von außen eine andere, aber wir können es sehr realistisch einschätzen. Es war 2017 keine leichte Gruppe mit der Schweiz, Island und Frankreich, die ist aber deutlich schwieriger“, so Fuhrmann.
Nach Nordirland (11. Juli) geht es zum Abschluss der Gruppe A gegen Norwegen (15. Juli). „Hoffentlich sind wir im letzten Gruppenspiel so weit, dass wir um den Einzug ins Viertelfinale spielen. Das ist das Ziel“, gab Schnaderbeck den „Gameplan“ für das Turnier vor.
Während es für die meisten Österreicherinnen die zweite EM ist, mischt Sara Telek erstmals hier mit. Und das bedeutet auch: Erstmals seit der Heim-EM der Herren 2008 ist unter den Schiedsrichterinnen auch wieder jemand aus Österreich zu finden. Die 33-Jährige wird als Assistentin zum Einsatz kommen. Erstmals bei einer EM-Endrunde zum Einsatz kommen wird auch der Video Assistant Referee (VAR).