Menschenmassen vor dem Centre Court in Wimbledon
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Wimbledon

„Tennis-Mekka“ erstrahlt in altem Glanz

Als wäre nie etwas gewesen. Vor zwei Jahren fiel das älteste und prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt der Coronavirus-Pandemie zum Opfer, 2021 fand es eingeschränkt wieder statt und heuer ist es in altem, weil vollem Glanz wieder erstrahlt. Die Menschen bei den All England Championships in Wimbledon freuen sich: „Es ist wieder alles wie früher.“ Das macht auch für Österreichs ehemaliges Tennis-Ass Jürgen Melzer das Turnier aus, wie er ORF.at bei einem Lokalaugenschein in London erklärt: „Hier wird die Tradition gelebt.“

Melzer und Wimbledon, das hat von Beginn seiner Karriere an gepasst – und darüber hinaus. Der Junioren-Sieger von 1999 spielte in dieser Woche beim mittlerweile auch schon zum 31. Mal abgehaltenen Einladungsturnier an der Seite des Luxemburgers Gilles Müller zur Unterhaltung der Fans gegen andere Pensionisten. „Es war super, hier dabei sein zu dürfen, es hat eine Menge Spaß gemacht. Es geht weniger ums Gewinnen, als um eine gute Zeit zu haben“, sagte der 41-jährige Niederösterreicher, der seine Karriere 2021 beendet hat und als Sportdirektor im Österreichischen Tennisverband (ÖTV) arbeitet.

Dass Melzer nur allzu gerne hierher zurückkehrte, liegt auf der Hand, hat er doch nicht weniger als dreimal einen Bewerb in Wimbledon gewonnen. Nach dem Einzel-Bewerb bei den Junioren („Da bin ich erstmals in Östereich in die Schlagzeilen gekommen“) 2010 auch jenen im Doppel mit dem Deutschen Philipp Petzschner sowie 2011 mit der Tschechin Iveta Benesova das Mixed. Für ihn ist es „das Turnier. Für mich ist es die Tradition, die hier einfach gelebt und gepflegt wird.“

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Szene aus Wimbledon
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Mit der Londoner Tube in den Stadtteil Wimbledon, ab dann geht es nur noch um den „heiligen Rasen“
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Der Blick vom No. 1 Court auf den Centre-Court, eine Stunde später begann dort das Finale der Damen im Einzel
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Insgesamt wird beim dritten Grand-Slam-Turnier des Jahres auf 18 Rasenplätzen gespielt
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Auf dem No. 1 Court spielt sich zur Mittagszeit das Juniorinnen-Finale ab, das an die US-Amerikanerin Liv Hovde geht
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Auf „The Hill“ verfolgen zahlreiche Menschen das Damen-Finale, ein großes Picknick hinter dem No. 1 Court
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Und kein Wimbledon ohne Erdbeeren: Zehn davon in einem Karton samt Schlagobers gibt es ab drei Euro

Das liegt vor allem auch an den Zuschauern, die hier zwei Wochen lang ihrem geliebten Sport fröhnen können. In diesem Jahr waren es rund eine halbe Million Menschen, und es wurde in diesem Jahr sogar auch am „Middle Sunday“, dem Sonntag der ersten Turnierwoche, an der legendären Church Road gespielt. Dass heuer keine Weltranglistenpunkte vergeben werden, weil sich die Organisatoren entschlossen, in Folge des Angriffskrieges auf die Ukraine keine Teilnehmerinnen aus Russland und Belarus antreten zu lassen, ist dabei vielen egal. Das Spiel an sich, das Turnier, sein einzigartiger Flair, die Stars – das alles steht darüber und macht Wimbledon auch greifbar.

Gepflegte Tradition von Anfang an

Beginnend bei der U-Bahn-Station Southfields im Londoner Stadtteil Wimbledon wird der 1877 aus der Taufe gehobene Klassiker sicht- und spürbar gelebt. Der Bahnsteig ist bereits in die Farben des Turniers gehüllt und darüber hinaus mit einem Kunstrasen ausgestattet, auch auf dem rund 15-minütigen Fußweg Richtung Anlage dreht sich bereits alles ums ganz große Tennis. Ab dann hat alles seine Ordnung, und das betrifft nicht nur die Graslänge von exakt acht Millimetern. Es ist Samstag und damit Finalwochenende. Während am Vormittag die Wolken noch dicht über London hängen, reißt es zu Mittags nach und nach auf. Das Wetter meinte es in diesem Jahr besonders gut, die Sonne dominierte die zwei Wochen den sonst so typischen Regen.

Wer vorab keine Tickets erhalten hat, kann sich in ebenso alter Tradition in „The Queue“ anstellen. Die Schlange ist an diesem Tag aber recht kurz. Nach einem recht idyllischen Fußmarsch, bei dem sich auf einem eigens angelegten Weg nicht nur die Werbepartner artig vorstellen und auch gratis Kaffee spendieren, erreicht man letztlich ein Zelt, in dem zumindest 15 Pfund, also rund 18 Euro, hingeblättert werden müssen. Dann darf man auf die Anlage und kann sich Spiele abseits der großen Stadien ansehen, also auf den „Grounds“. Und da gibt es am vorletzten Turniertag einige Partien, ingesamt stehen nicht weniger als 29 auf dem Programm, darunter vier im Rollstuhltennis.

Szene aus Wimbledon
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Alles auf einen Blick: In Wimbledon wird händisch eingetragen, wann jemand wo spielt, dafür gibt es dann auch eine Leiter

Neben Melzer spielen an diesem Tag noch zwei weitere Österreicher, darunter die frühere heimische Nummer eins Barbara Schett. Auch die heutige TV-Expertin ist einer Einladung gefolgt, später spult sie auf der Terrasse des Medienzentrums dann ganz souverän ihr Programm ab. Im Nachwuchsbewerb muss sich Maximilian Heidlmair geschlagen geben. Wie immer wird das auf einer Anzeigentafel händisch eingetragen, das macht den Charme im All England Lawn Tennis and Croquet Club aus.

Volles Haus auch bei Juniorinnen-Finale

Tickets für den 15.000 Zuschauer fassenden Centre-Court gibt es in „The Queue“ an diesem Tag von Haus aus nicht mehr, aber für 42 Pfund, also rund 50 Euro, wird einem der Zutritt auf den No. 1 Court gewährt. Dort passen circa 12.000 Zuschauer hinein, zudem gibt es seit 2019 wie auf dem Centre-Court ebenfalls ein „Schiebedach“. Das braucht bei strahlendem Sonnenschein niemand, es wird geschwitzt.

Das Stadion ist fast ganz gefüllt, als es beim Juniorinnen-Finale zwischen der US-Amerikanerin Liv Hovde und der Ungarin Luca Udvardy ans Eingemachte geht. Ehrenamtliche Mitarbeiter schauen, dass alles seine Ordnung hat. Mittendrin sitzt auch Mama Hovde, die von der 16-jährigen Teenagerin nach jedem verpatzten Ballwechsel verdutzt angeschaut wird. „Sei mutig“, „Das war gut“, „Weiter!“, lauten die verbalen Returns. Am Ende gewinnt die als Nummer eins gesetzte Hove in zwei Sätzen, als zweite US-Amerikanerin in 30 Jahren. „Ich hoffe, als Pro zurückzukommen“, flüstert sie danach ins Mikrofon.

Pensionist Melzer und Co. unterhalten Tennisfans

Parallel ist das Damen-Finale zwischen der Tunesierin Ons Jabeur und der Kasachin Jelena Rybakina bereits im Gange. Zeitgleich duellieren sich auf Court 18 – dort, wo einst John Isner und Nicolas Mahut über elf Stunden lange spielten und den Rekord für das längste Wimbledon-Match aufstellten, aber auch die Gebrüder Bryan und Melzer/Müller.

Der Spaß steht dabei offenkundig im Vordergrund, auf dem nahezu butterweichen Rasen wird gehechtet, geturnt, und mal mit mehr oder wenigen subtilen Tricks gearbeitet. „War irgendwas davon legal?“, fragt Mike Bryan den Stuhlschiedsrichter, nachdem er mit seinem Schläger am und über das Netz hinaus fuchtelt. „Nein“, antwortet dieser trocken. Dem Publikum gefällt es, den siegreichen Bryans auch.

Szene aus Wimbledon
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Parallel zum Damen-Finale duellierten sich im Jux die Bryans und Jürgen Melzer mit Gilles Müller

Die US-Amerikaner waren in ihrer Karriere das Gewinnen gewohnt, Rybakina gelingt das am Samstag zum ersten Mal auf Grand-Slam-Niveau. Ihren Dreisatzsieg gegen Jabeur verfolgen viele auf „The Hill“, der berühmten Anhöhe hinter dem No. 1 Court. Bei mittlerweile über 25 Grad werden aus Regen- Sonnenschirme, es wird gepicknickt und gejubelt. Jubel brandet auch auf, als Prominente auf der großen Videowall eingeblendet sind, wie etwa Herzogin Kate und US-Schauspieler Tom Cruise. Später präsentiert sich Rybakina mit dem Pokal auf dem Balkon des Centre-Courts, die Massen haben sich versammelt – ihre ursprüngliche russische Herkunft spielt keine Rolle.

Rybakina erhält übrigens wie ihr männliches Pendant 2,33 Millionen Euro Preisgeld. Dafür könnte sie sich hier viele Erdbeeren kaufen. Die gehören zur großen Chose an der Church Road – übrigens seit genau 100 Jahren Schauplatz – dazu. Zehn davon in einem Karton mit Schlagobers sind um rund drei Euro zu haben. Auch ansonsten gibt es alles, was das kulinarische sowie sportliche Herz begehrt. Neue Tennisbälle ab neun Pfund, gebrauchte ab drei. Nur eines kann man sich am Ende eines heißen Samstags aufzeichnen: Alle Kappen sind mit Ende des Spieltags auf der ganzen Anlage restlos ausverkauft.