Englische Fans jubeln ihrer Mannschaft zu
Reuters/Matthew Childs
Fußball-EM

Endrunde als Schritt in richtige Richtung

Die Fußballeuropameisterschaft 2022 in England ist etwas über eine Woche alt und hält bisher das, was sie versprochen hat. Gut besuchte Arenen, positive Atmosphäre, ansprechendes Niveau. Zwar hat das Turnier auch nach wie vor mit Vorurteilen und Ignoranz zu kämpfen, doch in Summe stellt die Endrunde in England einen Schritt in die richtige Richtung dar. Zumal auch einstige Tabuthemen vermehrt aufgegriffen werden.

In erster Linie steht aber der Sport im Vordergrund und der betreibt durchaus Werbung in eigener Sache. Das Interesse daran ist zudem so groß wie nie. „So ein Turnier wie dieses gab es noch nicht, das sieht man auch an den Zuschauerzahlen“, betonte Österreichs 31-jährige Teamspielerin Carina Wenninger. Die 13. Fußball-Europameisterschaft der Frauen wird noch in der Gruppenphase den Zuschauerrekord von vor fünf Jahren brechen. Eine Endrunde im Mutterland des Fußballs ist nie ein Fehler, das beweisen aber nicht nur gut besuchte Stadien.

„Das Niveau ist sehr hoch“, urteilte Rekordnationalspielerin Sarah Puntigam, wenngleich einige Ergebnisse naturgemäß überraschen. Allen voran das 8:0 Englands gegen Norwegen, mit dem wie einst bei Deutschlands 7:1 gegen Brasilien nicht zu rechnen war. England will diesen Titel holen, hat dafür auch einiges in Bewegung gesetzt in den vergangenen Jahren. Auf der Insel entsteht der Eindruck, dass Frauen-Fußball weiter an Fahrt aufnimmt. Diese Endrunde ist ein Schritt in die richtige Richtung in einer Entwicklung, die auch ihre Zeit benötigt.

Atmosphäre und Sichtbarkeit

Mit 68.871 Zuschauern in Old Trafford im Eröffnungsspiel zwischen England und Österreich (1:0) stellte sich die Endrunde gleich mit einem Zuschauerrekord ein, doch nicht nur England-Spiele locken Fans an. Zu Niederlande gegen Schweden kamen 21.342 Menschen nach Sheffield, die Deutschland-Spiele in Brentford waren mit rund 15.000 jeweils ausgelastet. Zur Halbzeit der Gruppenphase kamen mit 215.908 schon fast mehr Zuschauer in die Stadien als bei der gesamten EM 2017. In den Niederlanden kamen damals 243.041 zu den 31 EM-Partien.

Die Sichtbarkeit der Endrunde ist auf der Insel unterschiedlich groß. In der Weltmetropole London, in der die Konkurrenz für die Freizeit größer nicht sein könnte („ABBA Voyage“ als Beispiel), gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass dieses Turnier derzeit stattfindet, in Manchester wiesen im Zentrum schon deutlich mehr Banner auf die Endrunde hin, und in einer halb so großen Stadt wie in Southampton, wo drei Gruppenspiele stattfinden, müsste man in der Stadtmitte schon die Augen schließen, um nichts mitzubekommen. Ähnliches gilt für die allseits beliebte Urlauberdestination Brighton, in der Österreich am Freitag (21.00 Uhr, live in ORF1) spielt. Über die Sommermonate kann man hier eine Ausstellung zum Thema Frauen-Fußball besuchen.

Banner zur Fußball-Frauen-EM in einer Fußgängerzone
ORF.at/Bernhard Kastler
Auch in der Küstenstadt Brighton wird die Europameisterschaft in der Stadtmitte beworben

In den Pubs werden die Spiele durchaus übertragen, wenngleich parallel das Angebot groß sein kann – Stichworte Wimbledon, Cricket, Rugby – und sich nicht die Massen vor den Schirmen drängeln. Aber Pubs werben auch damit wie große Firmen mit den Starspielerinnen Englands. Offizielle Fanshops gibt es dafür keine, online kann man sich auch das ÖFB-Trikot bestellen, allerdings nicht das neue EM-Dress. Die Zeitungen räumen der Berichterstattung mal mehr und mal weniger Platz ein. Wenn England Norwegen mit 8:0 schlägt, dann schon mehr.

Zeitungsausschnitt
ORF.at/Bernhard Kastler
Die Berichterstattung ist mal größer, mal kleiner – nach dem 8:0 war sie größer

Wer mit Leuten über die EM in England spricht, bekommt so ziemlich alles zu hören. Nur ganz wenige wissen davon gar nichts, die meisten haben es zumindest vernommen. Und von „Das interessiert mich nicht“ bis „Sie tun hier mittlerweile einiges dafür“ ist auch vieles dabei. Ignoranz und Aufgeschlossenheit gibt es also auch hier.

Positivität statt Gewalt

In der Hafenstadt Southampton, die Industrie und Historie vereint, zeigt man sich sehr bemüht. Im Stadtkern stehen Informationstafeln zum Thema Frauen-Fußball, im unweit liegenden Park finden die mal mehr und mal weniger gut besuchten Fanpartys statt. Der Höhepunkt folgt noch, wenn England hier spielt. „Die Stimmung ist einfach nur positiv“, sagt eine Security-Mitarbeiterin an einem Infostand und atmet durch. „Wenn die Männer spielen, ist das anders. Southampton gegen Portsmouth ist etwa eine der schärfsten Rivalitäten“, erklärt sie und spricht über Gewalt zwischen den Fans. „Das gibt es hier nicht.“

Fußball-Fans
ORF.at/Bernhard Kastler
Gute Laune vor dem Eröffnungsspiel in Manchester, vor dem Stadion feierten die Fans ein friedliches Fest

In den Stadien herrscht ebenfalls eine positive Grundstimmung unter den Fans. Davon konnte sich speziell Österreich im Eröffnungsspiel überzeugen, in dem das ÖFB-Team vor rund 66.000 gegnerischen Fans aufspielte. Teamchefin Irene Fuhrmann lobte die „fantastische und faire Atmosphäre“ nach dem Spiel. Mit Musik davor und danach sowie in den Trinkpausen, wenn es sie denn braucht, wird nachgeholfen. Das mag den Traditionalisten stören, hier hebt es die Stimmung, wenn Harry Styles’ „As It Was“ aus den Lautsprechern dröhnt. „Du weißt, dass es nicht mehr so ist, wie es war“ – passt irgendwie auch zur EM.

TV-Hinweis

ORF1 überträgt das Duell Österreich – Norwegen um den Aufstieg (Freitag, 21.00 Uhr) live, die Vorberichterstattung beginnt bereits um 18.45 Uhr mit der Sendung „Heimspiel“.

Breite Spitze und reines Spiel

Nicht nur das Zuschauerinteresse stimmt zuversichtlich, die Österreich-Spiele sahen im ORF zu Spitzenzeiten jeweils bis zu 740.000 bzw. 640.000 Zuschauer, sondern auch das sportliche Niveau. „Es ist sehr hoch“, konstatierte eine, die es wissen muss: Rekordspielerin Puntigam. Wie andere war freilich auch die Steirerin über die teils hohen Ergebnisse überrascht, aber „das zeigt auch, wie sich die Teams vorbereiten. Sie wollen ein Feuerwerk zünden.“ Das gelang vor allem England, das Norwegen am völlig falschen Fuß erwischte und mit 8:0 düpierte. „Deutschland hat auch klar aufgezeigt“, fügte Fuhrmann hinzu.

Der Schlager zwischen Deutschland und Spanien bot technisch-taktisch ein sehr ansprechendes Niveau, wie auch in der BBC vermerkt wurde. Stellvertretend sei dieser Spielzug von Anfang bis Ende ans Herz gelegt: Einem schönen Angriff folgt eine noch schönere Parade.

Dass nicht jede Partie in Erinnerung bleibt, ist wie bei jedem Fußballturnier so. Und dass auch teilweise haarsträubende Fehler passieren – siehe 1:0 – gehört nicht nur zu diesem Sport dazu. Was vielerorts positiv angeführt wird, ist die Reinheit des Spiels. Der Fußball steht im Vordergrund, es wird nicht Zeit geschunden, nicht geschauspielert, einfach gespielt. Ein Beleg dafür: In den beiden bisherigen Österreich-Spielen gab es keine einzige Gelbe Karte.

Österreichs Team lebt den Moment

Dass das ÖFB-Team bei dieser Endrunde wieder um einen Viertelfinalplatz mitmischt, ist angesichts der überschaubaren Zahl an Frauen, die in Österreich Fußball spielen, überraschend positiv. Ein Beispiel: England kann aus einem Pool von 187.604 weiblichen Aktiven wählen, Österreich aus 11.251. „Sie haben eine der besten Ausbildungen in Europa“, lobte Nordirlands Teamchef Kenny Shiels und verwies auf die Nachwuchsarbeit in der ÖFB-Akademie in St. Pölten.

Hilfreich wäre freilich, wenn sich Zugpferde wie Red Bull Salzburg auch dem Frauen-Fußball öffnen würden. Rapid gab zuletzt immerhin bekannt, bis 2024 ein Frauen-Team stellen zu wollen. Die Topclubs in England machen es allesamt vor, sie alle sind ganz oben vertreten.

ÖFB-Team crasht Pressekonferenz

Das ÖFB-Team feiert seinen ersten Sieg bei der EM ausgelassen. Nach dem 2:0 gegen Nordirland wird auch die Pressekonferenz von Irene Fuhrmann gecrasht. Ähnlich feierten die Österreicherinnen schon ihre Siege vor fünf Jahren in den Niederlanden, am Freitag gegen Norwegen könnte der neuerliche Aufstieg gelingen.

Österreichs Frauen, die übrigens 88 Jahre nach den Herren ihr erstes Länderspiel bestritten haben (1990), betreiben jedenfalls auch bei ihrer zweiten EM-Teilnahme wieder Werbung in eigener Sache. Angeführt von einer akribischen und umsichtigen Teamchefin lebt die ÖFB-Auswahl in England alles vor, was es ausmacht. Das begeistert vor allem Familie und Freunde, die mitgekommen sind, aber auch Fußballfans, die etwa das Eröffnungsspiel live verfolgt haben.

Österreichische Fußball-Fans mit Fahnen
ORF.at/Bernhard Kastler
Familien und Freunde sind dabei, wenn ihre Heldinnen in England an der EM teilnehmen

Vor allem der Teamgeist sorgt für Schlagzeilen, auch wenn das Crashen einer Pressekonferenz nach einem Sieg gegen Nordirland für den einen oder anderen übertrieben erscheint. „#wirübertreibennichtwirsindso“ wurde daraufhin als Hashtag kreiert. Es sei es nicht selbstverständlich, bei einer EM zu sein und Siege zu feiern. Fuhrmann nennt die Spiele in England Privileg, die allgemeine Authentizität kommt an. Als Kollektiv hat man das Mindestziel erreicht und spielt gegen Norwegen um den Aufstieg ins Viertelfinale. Das Weiterkommen hat einen weiteren Reiz erhalten, würde es doch zu einem Duell mit Deutschland kommen.

Tabuthemen werden aufgebrochen

Auch abseits des Platzes tut sich einiges rund um diese Endrunde. Es wird debattiert, kritisiert, um den Frauen-Fußball weiter in die richtige Richtung zu bringen. Die Debatte um Equal Pay ist bekannt und Dauerthema, doch es gibt auch andere Themen, die durch so ein Turnier an Relevanz gewinnen. Die „Lionesses“ wollen etwa nicht mehr in weißen Hosen spielen. „Während einer bestimmten Phase des Monats ist es für uns Frauen unpraktisch“, erklärte die vierfache EM-Torschützin Beth Mead und spielt auf die Periode an. Diesbezüglich sei man auch an den Ausrüster herangetreten. Das Thema kam heuer auch schon im „Tennis-Mekka“ Wimbledon auf, wo alle Weiß tragen müssen.

Feministische Wende im Fußball

Der „kulturMontag“ hat sich die feministische Wende im Fußball genauer angesehen.

Ebenso ist Mutterschutz ein zentrales Thema geworden. Die Deutsche Melanie Leupolz fehlt aus diesem Grund, sie ist schwanger. „Das Feld ist absolutes Neuland. Als ich von meiner Schwangerschaft erfuhr, habe ich erst einmal gegoogelt, welche Rechte Leistungssportlerinnen in solchen Fällen haben – aber man findet fast gar nichts“, gab die 28-Jährige in einem Interview mit t-online preis. „Bei Chelsea bin ich die erste werdende Mutter. Die FIFA hat vor einem Jahr neue Regelungen publiziert, die einen Mutter- und Kündigungsschutz beinhalten. Davor konnten Vereine schwangeren Spielerinnen einfach kündigen.“

Aber es bleibt wie immer Raum für Verbesserung in allen Bereichen. Dass die UEFA etwa nur Kadergrößen von 23 Frauen zuließ, obwohl die Coronavirus-Pandemie nicht überstanden ist und bei den Herren sowohl 2021 als auch 2022 bei den Großereignissen 26 Mann im Kader erlaubt sind, ärgert die Teamchefinnen wie Fuhrmann oder Deutschlands Martina Voss-Tecklenburg. Auch wenn die EM ein Schritt in die richtige Richtung ist, bleibt also noch genügend zu tun.