Riis hatte die Tour 1996 als Kapitän des deutschen Teams Telekom gewonnen. Die 115,6 Kilometer lange Schlussetappe gewann Jasper Philipsen. Der Belgier setzte sich auf den Champs-Elysees im Massensprint vor dem Niederländer Dylan Groenewegen durch. Dritter wurde der Norweger Alexander Kristoff.
Neben dem Gelben Trikot gewann Vingegaard auch den rot gepunkteten Dress für den besten Bergfahrer. Das Grüne Trikot des Punktebesten gewann der Belgier Wout van Aert überlegen. Pogacar war Bester in der Nachwuchswertung der Profis unter 25 Jahren und erhielt das Weiße Trikot. Vingegaard genehmigte sich auf seiner Tour d’Honneur das obligatorische Gläschen Champagner, ehe er auf dem Prachtboulevard Champs-Elysees von Tausenden Landsleuten in rot und weiß frenetisch gefeiert wurde.

„Will noch mehr gewinnen“
So erlebte die Tour die Wandlung eines einstmals von Selbstzweifeln und Nervosität geplagten Mannes zum souveränen Siegesfahrer. In den Alpen und Pyrenäen offenbarte er keine Schwächen – und verspürte längst Lust auf mehr. „Ich will noch mehr gewinnen“, sagte der 25-Jährige, der sich auch als großer Sportsmann zeigte, als er nach Pogacars Sturz in den Bergen auf ihn wartete. „Wir haben eine gute Beziehung. Wir sind keine Freunde, aber wir respektieren uns.“
So darf sich die Tour auf weitere große Duelle freuen. Denn auch Pogacar – dieses Mal mit knapp drei Minuten Rückstand Zweiter – ist heiß auf eine Revanche. „Viele Leute wollen einen anderen Sieger sehen. Es ist nicht so schlimm, die Plätze einmal zu tauschen. Ich habe einen stärkeren Gegner gefunden. Das gibt mir Motivation, im nächsten Jahr besser zu sein“, sagte der zwei Jahre jüngere Slowene, dessen Team durch mehrere Coronavirus-Fälle dezimiert worden war.

Hype in Dänemark
Der Tour-Start in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen beflügelte „Danish Dynamite“, denn mit dem Rückenwind aus der Heimat lieferten die dänischen Fahrer ein Spektakel ab. Vingegaard schnappte sich auf dem Col du Granon das Gelbe Trikot von Tour-Champion Pogacar und gab es nicht mehr her. Zur Krönung gewann er auch die Bergankunft in Hautacam. Doch damit nicht genug: Magnus Cort Nielsen trug erst das Bergtrikot und gewann dann die Etappe nach Megeve. Dazu holte sich Ex-Weltmeister Mads Pedersen den Tagessieg in Saint-Etienne.
Kleine Rückschläge
Vor den Pyrenäen hatte Vingegaard einige Rückschläge erlitten. Mit Primoz Roglic und Steven Kruijswijk mussten seine beiden besten Berghelfer das Rennen aufgeben. Dann stürzte auch noch Vingegaard selbst, gab aber umgehend Entwarnung: „Ich bin okay. Nur ein paar Abschürfungen.“
Vingegaard und sein Jumbo-Visma-Team mit dem dreifachen Etappensieger und Alleskönner Wout van Aert zerdrückten quasi die Konkurrenz. Doch gerade wegen Riis tauchten auch Fragen nach Doping auf. Vingegaard war noch nicht geboren, als Riis als erster Däne die „Große Schleife“ gewann und in dem Land jenen Boom lostrat, den Deutschland ein Jahr später mit Jan Ullrich erlebte. 2007 brach Riis seinen Landsleuten schließlich das Herz, als er mit einer fast schon unverschämten Gleichgültigkeit Doping gestand.
„Wir sind total sauber“
Auf die fast obligate Frage, die manchmal von Profis auch sehr unwirsch abgetan wird, reagierte Vingegaard professionell. Ob man denn seinen Leistungen bei der Tour de France trauen könne, wollte eine US-Journalistin wissen. „Wir sind total sauber. Jeder von uns. Ich kann für das ganze Team sprechen. Niemand von uns nimmt etwas Verbotenes“, sagte der klare Sieger der 109. Frankreich-Rundfahrt.
Er erklärte zugleich, was sein Team Jumbo-Visma denn besser mache als andere. „Wir sind aufgrund unserer Vorbereitung so gut. Wir haben Höhentrainingslager weiterentwickelt. Wir schauen auf das Material, die Ernährung, das Training. Das Team gehört in diesen Punkten zu den besten. Deshalb muss man uns glauben.“
Der Triumph in Paris dürfte im hohen Norden wieder alle Dämme brechen. Einen Vorgeschmack darauf bekam der im Gegensatz zu Riis sehr nahbare Vingegaard bereits beim Start in diesem Jahr in Kopenhagen. Die TV-Übertragungen hatten einen Marktanteil von bis zu 78 Prozent. Und als mehr als 10.000 Zuschauer bei der Teampräsentation im Tivoli seinen Namen riefen, trieb es ihm die Tränen in die Augen. Tränen der Freude waren wohl auch am Ende gewiss.