Jonas Vingegaard
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Tour de France

Däne Vingegaard verzückt Radwelt

Paris war nur ein Vorgeschmack auf Kopenhagen. Nach seinem Tour-Triumph wurde Jonas Vingegaard bereits auf den Champs-Elysees von zahlreichen Däninnen und Dänen mit Sprechchören gefeiert, am Mittwoch dürfte die Party eskalieren. Dann zeigt sich der schüchterne 25-Jährige, der erst seit drei Jahren Profi ist und einst vor dem Training in einer Fischfabrik gearbeitet hat, auf dem Rathausbalkon von Kopenhagen.

Der schmächtige Kerl aus Jütland – um die 60 Kilogramm bringt der 25-Jährige gerade einmal auf die Waage – hat sein Land in eine Ekstase versetzt. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Tour in der radverliebten dänischen Hauptstadt Kopenhagen ihren Anfang genommen hatte, triumphiert der vielbeschriebene Mann aus der Fischfabrik über den als unschlagbar geltenden Tadej Pogacar.

„Es waren unglaubliche drei Wochen, ein Traum“, sagte Vingegaard, nachdem er den Titelverteidiger in einem packenden Zweikampf entthront hatte. So erlebte die Tour die Wandlung eines einstmals von Selbstzweifeln und Nervosität geplagten Mannes zum souveränen Siegesfahrer.

Vingegaard als neuer Stern am Radhimmel

Durch seinen Triumph bei der Tour de France hat die Radwelt mit Jonas Vingegaard einen neuen Superstar.

Ganz Dänemark euphorisch

Am Montag strahlten die Titelseiten vieler dänischer Medien im kräftigen Gelb des Maillot Jaune. „Das war die schönste Tour de France aller Zeiten“, resümierte die Boulevardzeitung „B.T.“, auch Ministerpräsidentin Mette Frederiksen stimmte in die Euphorie mit ein. „Das war eine herausragende Tour für den dänischen Radsport – den ganzen Weg von Kopenhagen bis Paris.“

Jonas Vingegaard
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Vingegaard hat sich mit dem Toursieg einen Traum erfüllt

Die führende Zeitung „Politiken“ stellte Vingegaards Triumph bereits auf eine Stufe mit dem dänischen Sieg bei der Fußball-EM 1992 und den Erfolgen von Tennisqueen Caroline Wozniacki. „Jyllands-Posten“ schrieb: „Die Tour de France war genau das, was wir in einer Zeit von Krieg und Krisen gebraucht haben. Ein Traum in Gelb und Rot-Weiß, und ein fantastischer Jonas Vingegaard als Tourminator.“

Dänemark 2022 fühlt sich an wie Dänemark 1996: Schon damals hatte mit Bjarne Riis ein Däne die glorreiche Tour de France gewonnen, doch wie er Jahre später zugab, war er bei seinem Erfolg umfassend gedopt gewesen. All das scheint vergessen, jetzt wo Vingegaard als Triumphator nach Hause kommt. „Es war eine unglaubliche Reise. Das ist sehr groß für mich“, sagte Vingegaard, der selbstredend betonte, dass man an seine Leistungen glauben könne.

Glaubt man Vingegaard, haben sich die Zeiten geändert. „Wir sind total sauber. Jeder von uns. Ich kann für das ganze Team sprechen. Niemand von uns nimmt etwas Verbotenes“, wischte der neue Tour-Patron aufkommende Verdächtigungen vom Tisch.

Von der Fischfabrik zum Training

Dabei verlief Vingegaards Karrierestart eher holprig: Mit 19 Jahren bekam Vingegaard ein Angebot des kleinen Teams ColoQuick, das so etwas wie der Goldstandard der dänischen Talentschmieden ist. Doch Vingegaard kam mit dem Leben als Profi zunächst nicht zurecht. „Er war nicht gut organisiert, hatte keine Routine und stand spät auf“, berichtet sein damaliger Teamchef Christian Andersen. Man riet Vingegaard, sich doch bitte einen Job zu suchen.

Und so kam es, dass das Naturtalent auf dem Rad zwei Jahre lang in einer Fischfabrik in Hanstholm arbeitete. Jeden Tag packte Vingegaard von sechs bis zwölf Uhr im Hafen den Dorsch ein und überwachte dann die Auktion. Am Nachmittag ging es mit seinem Chef, einem guten Amateurrennfahrer, zum Training. Das zahlte sich aus. 2019 nahm ihn Jumbo-Visma unter Vertrag und baute ihn langsam auf – mit dem Tour-Sieg als Krönung.

Was ab jetzt auf ihn zukommt, kann Vingegaard noch gar nicht einschätzen. Im letzten Jahr gab er erst seine beachtliche Tour-Premiere mit dem zweiten Platz und vor dem Start in Kopenhagen stand er noch im Schatten von Kapitän Primoz Roglic. Einen großen Karriereplan hat er noch nicht erstellt. „Es ist nicht so, dass ich das Ziel habe, die Tour fünfmal zu gewinnen. Ich will zurückkommen und versuchen, sie noch einmal zu gewinnen“, sagte der 25-Jährige.

Die nächsten Jahre werden spannend

Dann wird er auf einen „sehr motivierten“ Tadej Pogacar und weitere namhafte Konkurrenz treffen. Denn eine neue, junge Generation hat im Radsport längst das Kommando übernommen. Der im Winter so schwer gestürzte Ex-Tour-Champion Egan Bernal dürfte wieder Ansprüche anmelden.

Und dann wäre da noch das belgische Jahrhunderttalent Remco Evenepoel (22), das noch auf sein Tour-Debüt wartet. „Es wird interessant in den nächsten Jahren“, sagte Pogacar und Manager Ralph Denk vom Bora-hansgrohe-Team ergänzte: „Es schaut so aus, dass es eine neue Entwicklung ist. Die Spitzenmannschaften haben viel gelernt, wie man mit jungen Leuten umgeht.“