Fußballerin Leah Williamson (ENG) in Aktion
Reuters/Dylan Martinez
Fußball-EM

England sehnt sich nach erstem Titel

Englisches Sommermärchen oder der neunte deutsche Triumph. Das Finale der Fußball-EM 2022 am Sonntag (18.00 Uhr, live in ORF1) hat mit England einen leichten Favoriten, die Gastgeberinnen sind überzeugt vom ersten großen Titel. Generell ist man sich auf der Insel einig: Selten war die Chance für ein englisches Fußballteam – Frauen wie Männer – so groß. Besonders wird der Rahmen: 90.000 Fans sollen in Wembley für einen EM-Rekord sorgen.

Die Engländerinnen stürmten nach dem 1:0-Auftaktsieg über die stark spielenden Österreicherinnen furios durch die Gruppenphase, die sie mit 14:0 Toren abschlossen. Nach dem Kraftakt gegen Spanien (2:1 n. V.) spielte sich das Team von Sarina Wiegman im Halbfinale gegen Schweden (4:0) fast schon in einen Rausch. Dreimal hintereinander war England im Halbfinale gescheitert (WM 2015, EM 2017, WM 2019).

Ähnlich wie bei den Herren schien man auf der Zielgeraden immer einzubrechen, die Männer verloren erst vor einem Jahr das EM-Finale an selber Stelle gegen Italien dramatisch nach Elfmeterschießen.

England wartet auf historischen EM-Erfolg

Am Sonntag findet das Finale der Europameisterschaft im Londoner Wembley-Stadion statt. Deutschland ist mit acht EM-Titeln Rekordsieger. England wartet noch auf den großen Coup, die Zeit für einen historischen Erfolg ist reif.

Nun sind die Frauen an der Reihe, die mit dem Selbstbewusstsein von 19 ungeschlagenen Spielen an jenem legendären Ort mehr als nur ihr Glück versuchen. Dass die „Lionesses“ schon vor dem Turnier als ernsthafte Titelanwärterinnen galten und dass Leistungsträgerinnen wie Beth Mead, Ellen White, Lucy Bronze und Bayerns Neuzugang Georgia Stanway eine überragende EM spielen, ist vor allem auch Wiegman zu verdanken, die das Traineramt 2021 übernommen hat.

Wiegman lässt Nation daran glauben

„Von Anfang an hat es geklickt“, sagte die Niederländerin, die mit ihrem Heimatland 2017 die EM gewann. „Man fühlt eine Energie – und dass die Leute Vertrauen darin haben, wie wir arbeiten und spielen wollen. Das nehme ich nicht für selbstverständlich, aber man muss daran glauben, was man tut.“ Den Glauben haben inzwischen nicht nur Wiegman und ihre Spielerinnen, sondern die ganze Fußballnation.

Fußball-EM, Finale

Beginn 18.00 Uhr (live in ORF1 und im Livestream)

England – Deutschland

London, Wembley-Stadion, SR Monsul (UKR)

Mögliche Aufstellungen:

England: Earps – Bronze, Bright, Williamson, Daly – Stanway, Walsh – Mead, Kirby, Hemp – White

Deutschland: Frohms – Gwinn, Hegering, Hendrich, Rauch – Oberdorf, Däbritz – Huth, Magull, Brand – Popp

Die 52-jährige, die bisher in jedes EM-Spiel mit derselben Aufstellung gegangen ist, hat das englische Team überall verbessert. Die Offensive ist kreativer, gedankenschneller und effizienter, das Mittelfeld stabiler und aggressiver, die Abwehr wirkt ruhiger und sicherer. Regelmäßig betont Wiegman, ihr Team sei auf alle Szenarien vorbereitet. Gegen Schweden sah man das. Die Engländerinnen taten sich anfangs schwer, fanden dann aber ihren Weg ins Spiel und dominierten den Gegner schließlich. Nun wartet aber die wohl höchste Hürde bei dieser Endrunde.

Deutschland erwartet „Hexenkessel“

„Es wird ein unglaubliches Finale. Wir werden vor bis zu 90.000 Menschen spielen, und die meisten werden gegen uns ein, aber wir nehmen diese Herausforderung an“, sagte die deutsche Teamchefin Martina Voss-Tecklenburg und freute sich auf dieses besonderes Endspiel. „England war bislang unglaublich, es wird ein großartiges Fußballfest.“ Ihre Kapitänin Alexandra Popp, die wie ihr englisches Pendant Mead sechs Tore zu Buche stehen hat, meinte: „Keiner hat mit uns gerechnet, aber wir sind hier. Finale, gegen England, im Wembley – es wird nicht besser.“

Das deutsche Team fühlt sich von der Kulisse angespornt „Ich denke, es wird ein Hexenkessel, und es werden viele Familienmitglieder und Freunde da sein, was es noch spezieller macht. Unsere harte Arbeit wurde belohnt. Wir wollen an unsere Leistungen anknüpfen, aber in erster Linie müssen wir es genießen. Ich denke, wir haben es verdient, im Finale zu stehen“, sagte Verteidigerin Kathy Hendrich.

Ob England vor der Kulisse Nerven zeigt, wird sich weisen. „Ich kann mir vorstellen, dass die Erwartungen an England enorm sind. Das ganze Land ist nervös, wir aber auch. Es ist etwas Besonderes für sie, ein Endspiel in ihrem Heimatland zu spielen, in diesem historischen Stadion, und die Spielerinnen sind davon sicherlich beeindruckt. Darauf dürfen wir uns nicht verlassen. Wir konzentrieren uns auf uns.“

Rechnung offen mit Deutschland

Eine weitere Motivation bringen die „Lionesses“ auch noch mit, haben sie doch mit Deutschland noch eine Rechnung offen. Denn als England 2009 zum zweiten Mal im Finale stand, verlor man mit 2:6 gegen die DFB-Auswahl. In diesem Turnier hat England bisher nur ein Tor kassiert, Deutschland allerdings auch erst eines – durch ein Eigentor.

Noch vor dem Endspiel sind sich aber Beobachter sicher, dass die mitreißenden Auftritte, die die Engländerinnen bei diesem Turnier bisher gezeigt haben, der Entwicklung des Frauen-Fußballs einen weiteren Schub geben. Doch ein Finalsieg im Klassiker gegen Deutschland und der erste große Titel für ein englisches Team seit der Männer-WM im eigenen Land 1966 wären der ultimative Kick.