Anna Kiesenhofer
Cookina-Graz
Radsport

Kiesenhofer wagt neues Abenteuer

Mehr als ein Jahr nach dem Sensationssieg beim olympischen Straßenrennen in Tokio wagt sich Anna Kiesenhofer wieder auf die große Radsportbühne. Ab 7. September wird die Niederösterreicherin für das spanische Profiteam Soltec die Vuelta a Espana bestreiten. Es soll allerdings bei einem Gastspiel bleiben.

Nach der Spanien-Rundfahrt streift Kiesenhofer wieder das Trikot der Cookina-Graz-Mannschaft über. Großes Ziel der 31-Jährigen bleibt das olympische Einzelzeitfahren in Paris 2024. Dafür legte die studierte Mathematikerin auch ihren Job an der technischen Hochschule in Lausanne auf Eis, ihre Uniprojekte sind abgeschlossen. Kiesenhofer lebt und trainiert aber weiterhin in der Schweiz.

Sie gibt weiter die Einzelkämpferin, organisiert und plant alles selbst und fährt am liebsten allein. Bei Cookina ist sie nur unter Vertrag, um eine Lizenz zu erhalten und also Rennen bestreiten zu dürfen – auf kleinerer Bühne. Beim Giro d’Italia der Frauen und zuletzt bei der Tour de France Femmes war Österreichs Sportlerin des Jahres deshalb nur Zuschauerin.

Kiesenhofer gibt Proficomeback

Radolympiasiegerin Anna Kiesenhofer hat bei einem spanischen Profirennstall einen Kurzzeitvertrag unterschrieben. Sie wird damit für das Continental-Team die Vuelta in Spanien bestreiten.

Angriff in den Bergen

Mit dem Leihtransfer zu Soltec wurde der Start bei der Vuelta möglich. Dafür muss sie über ihren Schatten springen. „In Gruppen ein Rennen zu bestreiten kann ich überhaupt nicht leiden, und auch im Training fahre ich oft alleine oder nur mit wenigen guten Freunden“, hatte sie vor Kurzem in einem Ö1-Radiointerview gesagt – wie bei Olympia, als sie sich aus dem Peloton abgesetzt und einen erstaunlichen, unerwarteten Solo-Sieg gefeiert hatte.

Für Soltec soll Kiesenhofer bei der fünftägigen Vuelta vor allem in den Bergen angreifen. Teammanager Marcelino Oliver sagte: „Ihre Ankunft bedeutet einen Wendepunkt in der Ära unserer Mannschaft. Wir hatten bis jetzt drei Jahre harte Arbeit, um ein solides und ambitioniertes Projekt zu entwickeln, das es uns ermöglicht, die Ziele nun höher zu stecken. Und Annas Verpflichtung gibt uns den letzten Impuls.“

Anna Kiesenhofer im Cookina-Trikot
GEPA/Wolfgang Grebien
Kiesenhofer (m.) mit ihren Teamkolleginnen von Cookina-Graz

Motivationsloch nach Tokio

Zuletzt war Kiesenhofer 2017 bei Lotto Soudal für eine Profiequipe gefahren, beendete das Engagement aber vorzeitig, um sich ihrer Arbeit als Mathematikerin zu widmen. Diesmal ist es umgekehrt – Job aufgegeben, Vollprofi. Sponsorenverträge in Folge ihres Olympiasiegs machten das erst möglich. Bis zu den Sommerspielen in Paris 2024 wird Kiesenhofer dieses Projekt mit der nötigen Akribie verfolgen und danach das Fahrrad in die Ecke stellen.

Dabei war sie nach Tokio in ein Motivationsloch gerutscht. Es sei ihr schwergefallen, sich für das Training zu motivieren. „Aber Zeit heilt Wunden – und Zeit bringt anscheinend auch die Motivation zurück. Ich war nach Tokio körperlich irrsinnig müde, das war alles extrem stressig für mich. Mit der Ruhe kam dann aber auch die Freude am Radfahren wieder“, sagte Kiesenhofer in einem Interview mit der „Kronen Zeitung“.

Anna Kiesenhofer mit olympischer Goldmedaille
GEPA/Michael Meindl
Motivationsloch nach Tokio: Kiesenhofer flankiert von der zweitplatzierten Annemiek van Vleuten (l.) und Elisa Longo Borghini

Podestplatz im Visier

Jetzt ist sie wieder bereit für Rennen und „gute Ergebnisse“. „Wenn ich etwa bei einer Etappe der Vuelta a Espana am Podium stehen kann. Auch wenn das vielleicht als nicht so toll gilt wie ein Olympiasieg“, so Kiesenhofer über ihre nächsten Ziele. Im Ö1-Interview hatte sie gesagt: „Ich habe immer versucht, die beste Version von mir selbst zu sein.“ Mit dem Erfolg in Tokio belohnte sie sich für das kräfteraubende Training davor und den enormen Aufwand.

Gleichzeitig relativierte Kiesenhofer ihre und allgemeine Erwartungen. Das war vor Tokio so und gilt genauso für Rennen wie die Vuelta. Sprichwörtlich streckt sie sich nach der Decke. Oder wie Kiesenhofer formulierte: „Die Anforderungen müssen im Einklang stehen mit den Fähigkeiten. Wenn die Anforderungen zu hoch sind, kann das lähmen und unglücklich machen.“

Auf den Spuren der Besten

Trotzdem will Kiesenhofer immer die Beste sein. „Eigentlich ein absurdes Ziel. Weil wenn jeder der Beste sein will, kann nur einer glücklich werden“, sagte die Niederösterreicherin, deren Formaufbau für die Vuelta nach Plan verläuft.

Anna Kiesenhofer mit der Auszeichnung als Sportlerin des Jahres
GEPA/Michael Meindl
Für ihren Olympiasieg wurde Kiesenhofer als Österreichs Sportlerin des Jahres ausgezeichnet

Das Liga-Einzel-Zeitfahren auf dem Salzburg-Ring am vergangenen Sonntag gewann sie ebenso wie die österreichischen Bergmeisterschaften nach davor zwei zweiten Plätzen in Straßenrennen und Einzelzeitfahren. Zusätzliche Motivation: Die Vuelta 2021 gewann die frisch gebackene Tour-de-France-Siegerin Annemiek van Vleuten (NED), die in Tokio Olympiazweite im Straßenrennen hinter Kiesenhofer geworden war.