Neymar jubelt mit Teamkollegen
IMAGO/Nogueirafoto
FIFA WM 2022

Für Brasilien zählt nur die „Hexa“

Seit 2002 rennen Brasiliens Kicker der ersehnten „Hexa“, dem sechsten WM-Titel, hinterher. Trotz 20 Jahren Wartens und zahlreicher Enttäuschungen sieht sich die „Selecao“ auch in Katar als erster Titelanwärter. Die Vorzeichen stehen jedenfalls gut: Die Qualifikation verlief exzellent, zudem sind Schlüsselspieler wie Neymar im besten Alter, um die Erwartungen zu erfüllen. Zum Auftakt in Katar wartet am Donnerstag (20.00 Uhr, live in ORF1) gegen Serbien aber bereits Stolpergefahr. Die Ergebnisse von Argentinien und Deutschland dienen als Warnung.

„Wir sind bereit, eine große WM zu spielen“, sagte jedenfalls ein selbstbewusster Kapitän Thiago Silva vor dem ersten Auftritt von Brasilien im Lusail Iconic Stadium, wo am 18. Dezember auch das Finale über die Bühne geht: „Klar, der Titel ist weit weg. Aber träumen kostet nichts.“ Die Enttäuschungen bei der Heim-WM 2014, als es im Halbfinale ein 1:7 gegen Deutschland setzte, sowie dem Viertelfinal-Aus vier Jahre später in Russland, als man gegen Belgien mit 1:2 verlor und mit leeren Händen nach Hause fliegen musste, sollen in Vergessenheit geraten.

Die Pleite gegen die Belgier vor vier Jahren war auch die die erste Niederlage in einem Pflichtspiel unter Teamchef Adenor Leonardo Bachi, genannt Tite. Das Aus in Russland war aber kein Entlassungsgrund, der „Professor“ gerufene Tite durfte bleiben – und führt das Land nun ein letztes Mal zu einer Endrunde. Der Rücktritt des 60-Jährigen nach der WM steht bereits fest.

Trainer Tite und Spieler
APA/AFP/Jung Yeon-Je
Unter Tite hat die „Selecao“ nur dreimal verloren, sein Punkteschnitt liegt bei beeindruckenden 2,46 Zählern

In 50 Länderspielen (inkl. Testspielen), die Brasilien seit dem letzten WM-Spiel absolviert hat, kamen nur zwei weitere Niederlagen dazu. Zweimal war Argentinien (Superclasico 2019, Copa America 2021) besser. Die 18 Spiele umfassende WM-Qualifikation beendete Brasilien ungeschlagen als Erster, also vor dem genannten Erzrivalen. Der Punkteschnitt unter Tite liegt bei 2,46. Kein Wunder also, dass 215 Millionen Brasilianer vom WM-Titel ausgehen.

Lampenfieber auf großer WM-Bühne

Allerdings gerät der Motor des Starensembles ausgerechnet auf der WM-Bühne regelmäßig ins Stottern. 2006: 0:1 gegen Frankreich im Viertelfinale; 2010: 1:2 gegen die Niederlande; Heimturnier 2014: das Trauma, Mineiraco, 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland; 2018: 26:8 Torschüsse gegen Belgien reichen nicht. Seit Rivaldo und Ronaldo 2002 in Yokohama Oliver Kahn und Deutschland düpierten und damit der Nation den fünften Titel nach 1958/Schweden, 1962/Chile, 1970/Mexiko und 1994/USA schenkten, schlugen die Europäer vierfach zurück.

Die diesjährige Gruppe mit den Gegnern Serbien, Schweiz und Kamerun ist tückisch, darf aber für Brasilien kein Stolperstein sein. Nach über sechs Jahren unter Tite sollten die speziellen, aber sensiblen Ballkünstler wissen, was von ihnen verlangt wird. Der Trainer selbst kann auf eine erfahrene Defensive und überbordendes Offensivtalent zurückgreifen.

fassungslose Brasilianer
Reuters/Andrew Couldridge
Eine Schmach – wie beim 1:7 bei der Heim-WM gegen Deutschland – darf sich nicht mehr wiederholen

Besonders Neymar, der teuerste Fußballer der Welt, will seine Karriere krönen. Der 30-jährige Angreifer von Paris Saint-Germain konzentrierte sich in dieser Saison wieder auf seine Stärken und kam bei den Franzosen in 20 Pflichtspielen auf 15 Tore und zwölf Assists. „Er ist hier auf einem sehr guten Niveau angekommen, 2018 war das noch anders“, sagte Silva. Mit dem Druck können die Brasilianer umgehen, bekräftigte Teamchef Tite: „Wir haben eine schöne Fußballhistorie und natürlich geht damit auch Druck einher“, sagte der 61-Jährige. „Aber es ist gut zu träumen, und wir träumen davon, die WM zu gewinnen.“

Donnerstag, 20.00 Uhr, live in ORF1

Brasilien – Serbien

Lusail, Lusail Iconic Stadium, SR Faghani (IRN)

Mögliche Aufstellungen:

Brasilien: Alisson – Danilo, Silva, Marquinhos, Sandro – Casemiro, Fred – Raphinha, Paqueta, Neymar – Richarlison

Serbien: V. Milinkovic-Savic – Milenkovic, S. Mitrovic, Pavlovic – Zivkovic, S. Milinkovic-Savic, Ilic, Kostic – Tadic – A. Mitrovic, Vlahovic

Furchtlose Serben

Mit guten Erinnerungen werden die Brasilianer jedenfalls an das letzte Duell gegen Serbien bei der WM 2018 in Moskau zurückdenken. Damals setzten sich die Südamerikaner im letzten Gruppenspiel mit 2:0 durch und sicherten sich damit den Gruppensieg. Dennoch könnten sich die robusten Serben als früher Spielverderber für die filigranen Ballkünstler aus Brasilien entpuppen. In der WM-Quali übertrumpfte die Mannschaft von Teamchef Dragan Stojkovic sogar Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo und holte auch dank eines 2:1-Sieges vor fast genau einem Jahr in Lissabon ungeschlagen den Gruppensieg.

Ein ähnliches Bild gab Serbien in der vergangenen Nations League ab, mit 13 Punkten aus sechs Partien gegen Norwegen, Schweden und Slowenien gelang als Gruppensieger der Aufstieg in die Division A. Dementsprechend positiv ist die Stimmung in Serbien. „Die Euphorie wächst von Tag zu Tag. Die ganze Nation hofft auf den historischen Erfolg der Adler in Katar“, schrieb die serbische Tageszeitung „Alo!“ zuletzt. Stojkovic versprach den Fans in der Heimat jedenfalls einiges: „Es gibt kein Limit für unsere Ambitionen.“

Der Aufstieg aus der Gruppe G mit Kamerun, der Schweiz und Brasilien soll gelingen, auch wenn die Gruppe „die schwerste der ganzen WM“ ist, wie Stojkovic betonte. „Wir Serben sind nicht glücklich mit dieser Auslosung.“ Der 57-Jährige, der bei der Weltmeisterschaft 1990 noch der Star des früheren Jugoslawien war und mit Strahinja Pavlovic auch einen Verteidiger von Österreichs Meister Salzburg als Kandidaten für die Startelf im Kader hat, betonte mit Blick auf das Duell gegen Brasilien aber: „Das wird ein extrem schweres Spiel. Aber das Spiel startet mit 0:0. Und wir haben vor niemandem in der Welt Angst. Nicht einmal vor Brasilien.“