FIFA WM 2022

Marokko lässt Belgien alt aussehen

Der Weltranglistenzweite Belgien hat am Sonntag am zweiten Spieltag der WM-Gruppe F eine überraschende 0:2-Niederlage gegen Marokko einstecken müssen. Ohne selbst zu Torchancen zu kommen, sahen die „Roten Teufel“ gegen die Nordafrikaner im Al Thumama Stadium von Doha vor 43.738 Fans alt aus und sind in dieser Verfassung nicht länger als Anwärter auf den Titel zu sehen.

Abdelhamid Sabiri (73. Minute) aus einem Freistoß und Zakaria Abuchlal (92.) sorgten für die entscheidenden Treffer und unbeschreibliche Freude bei den Marokkanern, die auch aggressiver und spielfreudiger als ihre Gegner agierten. Belgien hingegen konnte auch in der zweiten Partie nach dem glücklichen 1:0-Auftaktsieg über Kanada nicht überzeugen.

Im Gegenteil: Die „Goldene Generation“ rund um Kevin de Bruyne und Eden Hazard scheint tatsächlich die Aussage De Bruynes zu erfüllen, wonach die Mannschaft mittlerweile „zu alt“ für große Titel sei. Mit drei Punkten ist der Aufstiegszug aber noch nicht abgefahren. Am Donnerstag (16.00 Uhr) trifft Belgien im Showdown auf Vizeweltmeister Kroatien, während Marokko (vier Punkte) in der Parallelpartie gegen Kanada auf den zweiten Sieg hofft.

2:0 ins Kreuzeck (90.+2)

Zakaria Abuchlal bringt mit seinem Tor ins Kreuzeck den Sieg für Marokko.

Belgien stellt um

Belgien ging mit drei Veränderungen in der Startelf ins Spiel. Teamtrainer Roberto Martinez hatte Thorgan Hazard, Thomas Meunier und Amadou Onana neu für die Anfangsformation nominiert. Für das Trio saßen Yannick Carrasco, Leander Dendoncker und Youri Tielemans zunächst nur auf der Bank.

Dort nahm auch wieder Inter Mailands Romelu Lukaku Platz. Der 29-jährige Stürmer, der einen Großteil der bisherigen Saison wegen einer hartnäckigen Muskelverletzung verpasst hatte, stand zumindest erstmals bei dieser Weltmeisterschaft im Kader der „Red Devils“. Lukaku ist die Hoffnung Belgiens, der Mannschaft jenes Feuer und die Dynamik zu geben, die bis jetzt sichtlich gefehlt haben.

Fehlende Durchschlagskraft

Der erste schnelle Angriff lief aber über Chelsea-Star Hakim Ziyech, und Marokko deutete an, dass es gewillt war, gegen Belgien nicht nur mitzuspielen, sondern auch den Favoriten zu beschäftigen. Doch das Blatt wendete sich bald, und nach rund 15 Minuten Spielzeit hatte Belgien 70 Prozent Ballbesitz.

Die Teams neutralisierten einander jedoch auf dem Feld. Eine mögliche Gefahr für die Torleute Thibaut Courtois und Munir El Kajoui entstand daher nur nach Standardsituationen, doch auch hier agierten beide Mannschaften zu wenig zwingend. Sowohl Belgien als auch Marokko fehlte die notwendige Durchschlagskraft.

Marokko jubelt zu früh

Als sich an der Seitenlinie bereits der angeschlagene Romelu Lukaku aufwärmte, um diesen Mangel in Belgiens Spiel zu beheben, überschlugen sich in der letzten Minute der Nachspielzeit der ersten Hälfte noch die Ereignisse. Ein Freistoß von Ziyech fand seinen Weg von rechts an allen und auch am verdutzten Courtois vorbei ins Tor.

1:0 wird aberkannt (45.+1)

Das Freistoßtor von Marokko wird durch den VAR aberkannt.

Doch Romain Saiss stand im Moment der Ballabgabe im Abseits. Er hatte seine Schulter zu weit vorne. Obwohl der Besiktas-Legionär den Ball später nicht mehr berührte, irritierte er dennoch Courtois. Ungläubiges Kopfschütteln bei Ziyech und Co. war die Folge. „Es wäre an der Zeit, dass Belgien ein Zeichen setzt“, meinte ORF-Experte Helge Payer im Studio.

Belgien lässt sich überrumpeln

Der Wunsch des 20-fachen österreichischen Teamtorhüters ging aber nicht in Erfüllung. Österreichs Gegner in der im März beginnenden EM-Qualifikation fand in seinem Spiel keine Linie, stellte Marokko vor keinerlei Probleme, die die Nordafrikaner nicht lösen konnten. Belgien wirkte wie das europäische Pendant zu Argentinien.

Tor gegen Belgien Abdelhamid Sabiri (Marokko)
AP/Frank Augstein
Belgiens Torhüter Courtois (l.) kugelt im Tor, und mit ihm der Ball zum 1:0 (73. Minute) für Marokko

Nur dass nicht Kevin de Bruyne oder Eden Hazard den erlösenden Treffer für Belgien erzielten, sondern im Gegenteil Marokko mit quasi einer Wiederholung des Freistoßabseitstors zum frenetisch bejubelten 1:0 (73. Minute) zuschlug. Sabiri schoß diesmal von der linken Angriffsseite, Saiss stürmte wieder Richtung Tor, diesmal jedoch nicht aus dem Abseits, berührte den Ball aber wieder nicht, und Courtois wirkte genauso überrascht wie zuvor. Kein Spieler Belgiens hatte das kurze Eck abgedeckt.

Marokko wie Belgien

Der mexikanische Spielleiter Cesar Ramos hatte nichts gegen den Treffer einzuwenden, und damit war das erste Tor aus einem direkten Freistoß bei dieser WM gefallen. In der 81. Minute war es dann so weit: Lukaku wurde für Thomas Meunier eingewechselt. Ein letzter Hoffnungsschimmer des Weltranglistenzweiten, der sich nicht erfüllte.

Tor des Marokkaners Zakaria Aboukhlal gegen Belgien
IMAGO/Martin Rickett
Zakaria Abuchlal (l.) zögerte nicht und jagte den Ball zum 2:0 für Marokko in die Maschen (92. Minute)

Denn Marokko setzte im Stil, der von Belgien erwartet worden war, den Schlusspunkt. Nach einem weiten Abschlag in Belgiens Hälfte und Kopfballverlängerung konnte Aksel Witsel nicht klären, Ziyech schnappte sich den Ball, zog in den Strafraum und bediente Toulouse-Legionär Abuchlal mustergültig, der wuchtig zum 2:0 (92.) aus kurzer Distanz einnetzte. Die verdiente Niederlage Belgiens war besiegelt.

Stimmen zum Spiel:

Roberto Martinez (Belgien-Teamchef): „Es ist ein schwieriges Ergebnis. Wir haben unser Spiel nicht in Gang gebracht. Wir müssen zusammenhalten und im nächsten Spiel eine Reaktion zeigen. So etwas passiert bei einer WM. Wir haben gute Momente gehabt, aber wir haben keine klaren Torchancen herausgespielt. Wir haben einige Halbchancen gehabt. In dem Moment, als wir das Tor bekommen haben, ist uns das Spiel entglitten.“

Eden Hazard (Belgien-Kapitän): „Mit unseren großartigen Spielern müssen wir es besser machen.“

Walid Regragui (Marokko-Teamchef): „Ich bin zufrieden, aber wir wissen, wohin wir gehen. In dieser Art von Wettbewerb muss man sich entscheiden, ob man eine Show abliefern will, oder ob man seine Ziele verfolgt und gewinnen will. Ich sage nicht, dass wir ein großartiges Team sind, aber wir sind schwer zu besiegen. Das Problem ist, dass wir jetzt viele Verletzungen haben.“

Noussair Mazraoui (Marokko-Verteidiger): „Das Spiel war unglaublich. Wir haben als Team gewonnen, als Team verteidigt, als Team gekämpft. Das ist ein guter Tag für alle Marokkaner überall auf der Welt.“

FIFA WM 2022, Gruppe F, zweiter Spieltag

Sonntag:

Belgien – Marokko 0:2 (0:0)

Doha, Al Thumama Stadium, 43.738 Zuschauer, SR Ramos (MEX)

Torfolge:
0:1 Sabiri (73.)
0:2 Aboukhlal (92.)

Belgien: Courtois – Meunier (81./Lukaku), Alderweireld, Vertonghen, Castagne – Onana (60./Tielemans), Witsel, T. Hazard (75./Trossard) – De Bruyne, Batshuayi (75./De Ketelaere), E. Hazard (60./Mertens)

Marokko: Munir – Hakimi (68./Attiat-Allah), Aguerd, Saiss, Mazraoui – Ounahi (78./El Yamiq), Amrabat, Amallah (68./Sabiri) – Ziyech, En-Nesyri (73./Hamdallah), Boufal (73./Abuchlal)

Gelbe Karten: Onana bzw. Sabiri

Die Besten: keine bzw. Ziyech, Boufal, Saiss