FIFA WM 2022

Marokko wirft Spanien in Elferdrama raus

Marokko hat am Dienstag überraschend, aber nicht unverdient den Einzug ins Viertelfinale der WM in Katar geschafft. Die Nordafrikaner setzten sich im Education City Stadium von Doha nach torlosen 120 Minuten im Elfmeterschießen mit 3:0 durch. Tormann Yassine Bounou avancierte beim spanischen Drama zum großen Helden für die Marokkaner, die in der nächsten Runde auf Portugal treffen.

Marokko spielte sein erstes Achtelfinale nach 36 Jahren. Damals hatte es eine 0:1-Niederlage gegen Deutschland gegeben. Diesmal gelang dem Team von Coach Walid Regragui, das vor allem defensiv eine äußerst disziplinierte Leistung ablieferte, die große Sensation. Marokko ist damit erst das vierte afrikanische Land, das es bei einer Weltmeisterschaft unter die besten acht Teams geschafft hat: Das gelang vorher nur Ghana 2010, Senegal 2002 und Kamerun 1990.

Die Spanier scheiterten ihrerseits wie schon bei der WM 2018 in Russland erneut im Achtelfinale und erneut im Elfmeterschießen. Die Spanier spielten zwar über 1.000 Pässe, von denen allerdings eine Vielzahl nutzlos und nicht zielführend waren. Im Elfmeterschießen nahm dann das Drama für die Spanier, die mit einem 7:0-Kantersieg gegen Costa Rica ins Turnier gestartet waren, seinen Lauf. Kein einziger Schütze konnte seinen Versuch verwerten. Die Zukunft von Luis Enrique als spanischer Coach ist damit mehr als ungewiss.

Marokkos Tormann Yassine Bounou hält einen Elfmeter
APA/AFP/Jack Guez
Tormann Yassine Bounou hatte mit den schwachen Elfmetern leichtes Spiel und wurde zum marokkanischen Helden

Marokko mit Unterstützung der Fans

In der Defensive der Spanier gab es Umstellungen. Links kehrte Routinier Jordi Alba zurück, rechts wurde von Coach Enrique überraschend Marcos Llorente aufgeboten. Der Spieler von Atletico Madrid gab damit sein Startelfdebüt bei dieser WM. Im Angriff spielten wieder Dani Olmo, Marco Asensio und Ferran Torres. Marokko spielte bis auf eine Änderung wie zuletzt beim Sieg gegen Kanada: Selim Amallah begann im Mittelfeld statt Abdelhamid Sabiri.

Die Fans standen klar im marokkanische Lager und begleiteten die spanischen Pässe mit einem gellenden Pfeifkonzert. Eine Belastung für die Lunge, denn wie zu erwarten war, hatten die Spanier die meiste Zeit den Ball – 70 Prozent waren es in der ersten Hälfte. Marokkos Taktik war voll auf die größte Qualität des Teams ausgelegt – das Umschaltspiel. Die beste Chancen in der Anfangsphase war ein Freistoß von Achraf Hakimi, der knapp über das Tor ging (12.).

Spanien mit zu wenig Tempo und ohne Ideen

Die Spanier mühten sich zu umständlich gegen das von den Marokkanern verdichtete Zentrum und kamen nicht einmal annähernd zu einer Torchance. Die Nordafrikaner gingen überdies aggressiv an den Mann und kauften dem Gegner die Schneid ab. Die Spanier mussten Geduld beweisen und verzeichneten in der 26. Minute ihren ersten Schuss Richtung Tor. Nach einem hohen Pass von Jordi Alba über die marokkanische Verteidigung traf Asensio nur das Außennetz.

Für Marokko probierte es Noussair Mazraoui mit einem Weitschuss, den Spanien-Goalie Unai Simon im Nachfassen entschärfte (33.). Die Afrikaner waren danach aber gleich wieder mit zehn Mann hinter dem Ball und rührten Abwehrbeton an. Den Spaniern fehlte es an Tempowechsel und Lösungen, um dagegen etwas auszurichten. Marokko aggierte offensiv wesentlich zielgerichteter und hatte vor der Pause die beste Chance der Partie. Der Kopfball des aufgerückten Innenverteidigers Nayef Aguerd ging aber knapp drüber (43.).

Der Kopfball von Aguerd

In einer chancenarmen ersten Hälfte hat Nayef Aguerd per Kopf die beste Gelegenheit. Sein Versuch geht aber knapp drüber (43.).

Marokko lässt sich nicht locken

Personell unverändert ging es in die zweite Hälfte, auch am Charakter der Partie sowie an den Pfiffen für die Spanier änderte sich nichts. Erneut verging Minute um Minute ohne nennenswerte Offensivaktion. In der 55. Minute hatten die Spanier ihren ersten Schuss auf das Tor von Marokko-Goalie Yassine Bounou. Olmos Versuch nach einem kurz abgespielten Freistoß aus spitzem Winkel war aber zu zentral. Die ständigen Attacken der Marokkaner zehrten jedenfalls an den Nerven der Spanier, die sichtlich ungeduldiger wurden.

Enrique hatte genug gesehen und brachte mit Alvaro Morata, der bei dieser WM schon drei „Joker“-Tore erzielt hat, und Carlos Soler neue Impulse für die Offensive. Gavi und Asensio verließen das Spielfeld (63.). Die Spanier blieben mit ihrem Passspiel – zumeist in der ungefährlichen Zone – für die Marokkaner aber leicht ausrechenbar. Für die Spanier war es eine brandgefährliche Situation, jeder Ballverlust hätte zu einem entscheidenden Konter führen können. So geschehen in der 86. Minute, die Flanke von Hakimi fand aber keinen Abnehmer. Auf der Gegenseite rettete Bounou mit einer Parade (90.+5).

Spaniens Dani Olmo umzingelt von vier marokkanischen Spielern
APA/AFP/Manan Vatsyayana
Einmal am Ball waren die Spanier – hier Dani Olmo – gleich einmal von mehreren Marokkanern umzingelt

Verlängerung mit 1.000. spanischem Pass

Bereits davor war Aguerd wegen einer Verletzung ausgewechselt worden (84.). Für die marokkanische Verteidigung war das eine unangenehme Schwächung für die Verlängerung – in die es nach einer umkämpften, aber unspektakulären regulären Spielzeit ging. Dort ging es weiter mit Spaniens Ballbesitzfußball, an dem sich ab Minute 98 auch die eingewechselten Ansu Fati und Alejandro Balde beteiligten. Das Geschehen hatte sich längst in Marokkos Hälfte verlagert, bis auf zwei gute Flanken konnten die Spanier aber nichts verbuchen.

Marokko war dann mit einem der seltenen Angriff ganz nah am Führungstor dran. Nach Vorarbeit von Azzedine Ounahi scheiterte Walid Cheddira an Goalie Unai Simon, der mit einer Fußabwehr rettete (105.). In der 115. Minute verzettelte sich erneut Cheddira bei einem Gegenstoß im spanischen Strafraum. Während die Spanier die Marke von 1.000 Pässen in der Partie überschritten, tickte die Uhr in Richtung Elfmeterschießen. Und zu dem kam es dann auch, da ein Volleyschuss des eingewechselten Pablo Sarabia die Stange streifte (123.)

Simon rettet gegen Cheddira

Nach einem seltenen Konter taucht Walid Cheddira alleine vor Unai Simon. Der Schlussmann fährt den rechten Fuß aus und bewahrt die Spanier kurz vor Halbzeit der Verlängerung vor einem Rückstand (105.).

Spanisches Drama im Elfmeterschießen

Die Entscheidung in diesem Spiel musste vom Punkt fallen. Und dort nahm das spanische Drama seinen Lauf. Bei den Spaniern scheiterten alle drei Schützen. Sarabia traf die Stange, Soler und Kapitän Busquets scheiterten mit ganz schwach geschossenen Versuchen an Goalie Bounou. Die Marokkaner agierten abgebrühter. Sabiri, Ziyech und Hakimi versenkten ihre Elfmeter. Da zwischendurch Badr Benoun gescheitert war, ging das Penaltyschießen mit dem ungewöhnlichen Ergebnis von 3:0 zu Ende. Den Marokkanern war es egal, sie feierten überschwänglich ihren ersten Einzug ins Viertelfinale.

Stimmen zum Spiel:

Walid Regragui (Teamchef Marokko): „Wir haben ein unglaubliches Match gespielt, auch taktisch. Sie wollten uns müde machen. Wir haben nicht auf Elfmeterschießen gespielt und hatten auch unsere Möglichkeiten. Wir haben unglaublich viel Energie und Herz. Wir werden uns erholen und weitermachen.“

Sergio Busquets (Kapitän Spanien): „Es war unglaublich schwierig, Marokko hat super verteidigt. Wir hätten es aber schon verdient gehabt zu gewinnen. Es war ganz hart, ein Tor zu erzielen. Wir hatten am Schluss die Riesenchance mit dem Stangenschuss. Die Elfmeter waren das Brutalste. Wir haben es immer wieder versucht, Räume zu finden. Es hat uns aber auch das Glück gefehlt, den letzten Pass durchzubringen.“

FIFA WM 2022, Achtelfinale

Dienstag:

Marokko – Spanien 0:0 n. V., 3:0 i. E.

Doha, Education City Stadium, 44.667 Zuschauer, SR Rapallini (ARG)

Elfmeterschießen:
1:0 Sabiri trifft
1:0 Sarabia scheitert an der Stange
2:0 Ziyech trifft
2:0 Soler scheitert an Bounou
2:0 Benoun scheitert an Simon
2:0 Busquets scheitert an Bounou
3:0 Hakimi trifft

Marokko: Bounou – Hakimi, Aguerd (84./El Yamiq), Saiss, Mazraoui (82./Attiat-Allah) – Ounahi (120./Benoun), Amrabat, Amallah (82./Cheddira) – Ziyech, En-Nesyri (82./Sabiri), Boufal (66./Abde)

Spanien: Simon – Llorente, Rodrigo, Laporte, Alba (98./Balde) – Gavi (63./Soler), Busquets, Pedri – F. Torres (75./Williams/118./Sarabia), Asensio (63./Morata), Olmo (98./Fati)

Gelbe Karten: Saiss bzw. Laporte

Die Besten: Bounou, Hakimi, Ziyech bzw. Olmo, Alba