Hakim Ziyech und Trainer Walid Regragui
APA/AFP/Karim Jaafar
FIFA WM 2022

Marokko träumt vom großen Coup

Ganz Afrika und auch der arabische Raum scheinen sich einig – alle für die Löwen vom Atlas. Vor dem WM-Viertelfinale zwischen Marokko und Portugal am Samstag (16.00 Uhr) fiebern viele Millionen Menschen mit dem Außenseiter, der von allen Seiten vereinnahmt wird. Als erstes afrikanisches Team überhaupt bei einer WM kann die Auswahl von Trainer Walid Regragui ins Halbfinale einziehen. Ein früherer WM-Held des Landes traut Marokko noch mehr zu.

„Was wir heute erleben, ist historisch – eine der besten acht Mannschaften hier zu sein. Ich glaube, die können es bis ins Finale schaffen. Unsere Spieler kämpfen für unsere Heimat“, sagte Abderrazak Chairi in Doha. Der heute 60-Jährige erzielte beim 3:1 gegen Portugal im Gruppenspiel 1986 in Mexiko zwei Tore. Im Achtelfinale schied Marokko dann durch ein spätes Tor von Lothar Matthäus mit 0:1 gegen Deutschland aus.

„Ich war damals ein Kind. Die Spieler von 1986 waren unsere Helden, wir wollten alle so sein wie sie. Vielleicht lassen wir jetzt die Kinder von Marokko träumen, und sie werden eines Tages für unser Land spielen“, sagte der so gefeierte Coach Regragui, der als erster afrikanischer Trainer ein WM-Viertelfinale erreicht hat. „Marokko hat die Unterstützung vieler Menschen im Rücken, um Historisches zu schaffen.“

Marokko träumt vom großen Coup

Vor dem WM-Viertelfinale zwischen Marokko und Portugal am Samstag (16.00 Uhr) fiebern viele Millionen Menschen mit dem Außenseiter, der von allen Seiten vereinnahmt wird, mit. Für Marokko wäre es der erste Halbfinal-Einzug.

„Die Geschichte geht weiter …“

Der Begriff „historisch“ fällt dieser Tage im Zusammenhang mit Marokko ziemlich oft. Roger Milla feierte einst seine Tore als Stürmeroldie bei der WM 1990 mit Hüftschwüngen an der Eckfahne, er stand mit Kamerun im Viertelfinale. „Die Geschichte geht weiter…“, twitterte Milla dieser Tage und zeigte eine Fotomontage mit seiner Person, mit Papa Bouba Diob, der 2002 mit Senegal im WM-Viertelfinale stand, mit Asamoah Gyan (Ghana 2010) – und mit Marokkos Hakim Ziyech im Vordergrund.

Chelsea-Spieler Ziyech, Achraf Hakimi von Paris Saint-Germain, Noussair Mazraoui von Bayern München und Torwart Bono vom FC Sevilla, der Elfmeterheld vom Achtelfinal-Sieg gegen Spanien – das sind die bekannten Spieler des Viertelfinalisten.

Stark in der Defensive

Nur ein Gegentor, beim 2:1 gegen Kanada, hat Marokko bei diesem Turnier kassiert – und das war auch noch ein Eigentor. Ob es die Mannschaft ins Halbfinale schafft? „Es wird Zeit, dass das passiert“, sagte Abdelhamid Sabiri im Interview mit „La Repubblica“. 14 Spieler, die nicht in Marokko geboren sind, hat die Mannschaft in ihren Reihen. „Das ändert nichts. Deine Kultur ist die, die dir deine Eltern vermitteln. Meine ist Marokko, deshalb bin ich hier“, erklärte der 26-Jährige, der mit drei nach Deutschland kam und nun bei Sampdoria Genua kickt.

WM-Viertelfinale

Beginn 16.00 Uhr:

Marokko – Portugal

Doha, Al Thumama Stadion, SR Tello (ARG)

Mögliche Aufstellungen:

Marokko: Bounou – Hakimi, Aguerd, Saiss, Mazraoui – Amrabat, Ounahi, Amallah – Ziyech, En-Nesyri, Boufal

Portugal: Costa – Dalot, Dias, Pepe, Guerreiro – Neves, Otavio – B. Silva, Fernandes, J. Felix – Ramos

„Unser Inneres ist marokkanisch, das haben wir alle gelernt“, sagte sein in Frankreich geborener Trainer Regragui. Gefeiert wurde sein Team nach dem Coup gegen Spanien nicht nur bei Autokorsos in Doha und vielen Städten der Welt, sondern vor allem in der Heimat. Dort zog sich auch König Mohammed VI. von Marokko ein Trikot über und ließ sich durch die Menschenmassen in der Hauptstadt Rabat fahren. In Casablanca steigen am Freitag und Samstag noch einige Sondermaschinen mit Fans nach Doha auf – die Nachfrage soll riesig gewesen, die Plätze knapp geworden sein.

Schulterschluss der arabischen Welt

Zu Beginn des Turniers verstand Regragui sein Team noch als rein afrikanisches Team. Nigeria 1994, Ghana 2010 – das waren seine Bezugsgrößen. Mittlerweile nimmt er die Unterstützung der gesamten arabischen Welt dankend auf, zu der Marokko allein sprachlich auch gehört. Regragui war „sehr glücklich, dass wir den Menschen in Marokko, den Arabern und Afrikanern Freude bereiten können“. Auch in Tunesien gab es Hupkonzerte, in Ägypten wurden Marokkos Fußballer gefeiert, im weiter entfernten Libanon sangen Menschen: „Gott segne Marokko und unser einziges arabisches Team.“

Selbst aus dem Nachbarland Algerien, zu dem Marokkos Beziehungen angespannt sind, gab es nach dem Sieg gegen Spanien Gratulationen. „Glückwunsch Brüder, der Maghreb ist stolz auf euch“, schrieb Algeriens Fußballstar Ismael Bennacer vom AC Milan. Die Medien hielten sich mit ihrer Berichterstattung aber auffällig zurück. Beide Länder streiten sich über den Status der benachbarten Westsahara.

Diskussionen über Ronaldo

Während sich Außenseiter Marokko an seiner historischen Chance berauscht, ist Portugals Auswahl damit beschäftigt, die Wogen in der Causa Ronaldo zu glätten. „Es ist höchste Zeit, Ronaldo in Ruhe zu lassen“, betonte Teamchef Fernando Santos, der seinen Star allerdings wieder nur auf der Ersatzbank beginnen lassen wird. An der Favoritenrolle der Portugiesen ändert das alles freilich nichts, auch wenn Santos klarstellte: „Es wird kein einfaches Spiel für Portugal.“

Santos vertraut wieder Goncalo Ramos, dem dreifachen Achtelfinal-Torschützen beim 6:1 gegen die Schweiz. Der 37-jährige Ronaldo war gegen die Schweiz erstmals seit 2008 bei einem großen Turnier nicht in der Startelf gestanden. „Ich habe ihm meinen Standpunkt erklärt, er hat es akzeptiert“, sagte Santos, der Berichte über eine Abreisedrohung Ronaldos erneut zurückwies. „Er hat niemals gesagt, dass er das Team verlassen will. Es ist höchste Zeit, dass wir diese Polemik beenden.“

Cristiano Ronaldo
Reuters/John Sibley
Ronaldo sitzt auch gegen Marokko zunächst nur auf der Bank

Es sei höchste Zeit, Ronaldo in Ruhe zu lassen und anzuerkennen, was er „für Portugals Fußball getan“ hat, forderte Santos. Er sehe es als absolut selbstverständlich an, einen Spieler in einem persönlichen Gespräch über dessen Reservistenrolle zu informieren, erklärte der Nationalcoach. „Er ist der Kapitän unserer Mannschaft, er hat dem portugiesischen Fußball, den Menschen, der Nationalmannschaft so viel gegeben.“ Auch als Ersatzspieler habe sich Ronaldo mustergültig verhalten: „Er hat sich mit den Teamkollegen aufgewärmt, er hat alle Tore gefeiert, er hat die Mannschaft animiert, sich bei den Fans zu bedanken.“

Santos bekundet Respekt

Santos erwarte am Samstag einen „komplett anderen Gegner“ als die Schweiz, sagte der 68-Jährige auf die Frage, ob er seine Startelf ändern werde. „Jeder Trainer stellt seine Mannschaft so auf, wie er es für richtig hält, und passt die Strategie an den Gegner an. Genau das werde ich tun.“ Vor Marokko äußerte Portugals Europameistertrainer 2016 großen Respekt. „Sie sind ein sehr gut organisiertes Team mit großem Potenzial“, meinte er.

Marokko-Coach Regragui wollte sich an den Diskussionen über Ronaldo nicht beteiligen. Sein Statement aber war klar: „Ich weiß nicht, ob Ronaldo gegen uns spielt, aber ich hoffe nicht. Er ist einer der Besten aller Zeiten, und ich wäre glücklich, wenn er gegen uns nicht spielt.“ So oder so sei es eine „Herausforderung gegen eines der besten Teams der Welt. Sie könnten bei diesem Turnier zwei oder drei Mannschaften von hoher Qualität stellen.“