FIFA WM 2022

Argentinien nach Drama im Halbfinale

Das zweite Viertelfinale am Freitag bei der WM in Katar ist nichts für schwache Nerven gewesen und wird als Klassiker in die WM-Geschichte eingehen. Die Jubelschlagzeilen auf Lionel Messi und Argentinien waren getippt, als die Niederlande in der 101. Minute der regulären Spielzeit das 2:2 erzielten. Packend verlief auch das notwendige Elferschießen, das schließlich mit 4:3 doch noch das Semifinale für die „Albiceleste“ brachte.

Bis es zu diesem Happy End für Messi und Co. kam, galt es für die Fans der Südamerikaner einiges zu ertragen. Auch die Anhänger der „Oranje“ gingen durch eine Wellenbad der Gefühle. Am Ende gab es in der emotional aufgeladenen Partie auch die WM-Bestmarke von 13 Gelben Karten. Messi leitete mit einem genialen Pass das 1:0 für Argentinien durch Nahuel Molina (35. Minute) ein. Er selbst erhöhte mit einem Foulelfmeter auf 2:0 (73.).

Als die bis dahin enttäuschenden Niederländer vor 88.000 Fans im Losail Stadium von Doha durch den eingewechselten Wout Weghorst in der 83. Minute das 1:2 erzielten, begannen die „Albiceleste“ zu wanken. In der elften Minute der Nachspielzeit schlug Weghorst nach einem Freistoßtrick sogar zum 2:2 zu und schockierte alle Argentinier. In der Verlängerung drängte Argentinien wieder, traf die Stange.

1:0 für Argentinien (34. Minute)

Nach einem herrlichen Pass von Messi macht Nahuel Molina das 1:0.

Im Elferschießen dann wieder Drama: Argentinien führte klar, Tormann Emiliano Martinez hielt großartig, die Niederlande holten dennoch wieder auf, und am Ende reichte es um ein Tor nicht. Messis WM-Traum lebt damit weiter. Im Semifinale am Dienstag (20.00 Uhr MEZ, im ORF-Liveblog) wartet auf die Südamerikaner Kroatien, das sich im ersten Viertelfinale am Freitag nach 0:1-Rückstand in der Verlängerung noch 4:2 im Elfmeterschießen durchgesetzt hatte.

Duell mit WM-Tradition

Das Aufeinandertreffen zwischen den Niederlanden und Argentinien ist ein Duell mit viel Geschichte. Bereits zum sechsten Mal trafen die Niederlande und Argentinien bei einer WM aufeinander. 1978 und 2014 setzte sich Argentinien durch, 1998 im Viertelfinale (2:1) und 1974 (4:0) gewannen die Niederlande, das Gruppenspiel 2006 endete torlos. Es war damals Messis erster WM-Einsatz von Beginn an, 17 Jahre war er alt. Diesmal musste Argentinien ohne Teamstütze Angel di María beginnen.

WM-Finale 1978 mit „Wödmasta“ Ernst Happel

Argentinien durfte bereits zweimal über den WM-Titel jubeln. Jener aus dem Jahr 1978 ist wieder in aller Munde, weil man damals ausgerechnet die Niederlande mit 3:1 besiegen konnte.

Der 34-jährige Flügelspieler hatte auch schon im Achtelfinale gegen Australien wegen muskulärer Beschwerden gefehlt. Dafür bestätigten sich die Sorgen bei Mittelfeldmann Rodrigo de Paul nicht. Er stand in der Startformation. Bei den Niederländern saß Davy Klaassen zunächst auf der Bank. Für ihn brachte Trainerroutinier Louis van Gaal den offensiveren Steven Bergwijn von Ajax Amsterdam. Er wurde jedoch zur Halbzeit wieder ausgewechselt, zu wenig Torgefährlichkeit ging von „Oranje“ aus.

Messi macht Messi-Sachen

Der erste gefährlichere Angriff im Spiel ging dann auch über Messi, sein versuchter Stanglpass blieb jedoch an der Ferse eines Niederländers hängen. In der Folge ähnelte die Partie dem ersten Viertelfinale des Tages. Niederlande war in der Rolle Kroatiens und versuchte mit ruhigem Spielaufbau das Match zu kontrollieren, Argentinien hatte noch zu wenige Ideen und Schwung, um „Oranje“ nervös zu machen.

Nahuel Molina trifft zum 0:1
Reuters/Kai Pfaffenbach
Nahuel Molina (M.) schloss die geniale Vorlage Messis geschickt zum 1:0 (35.) ab

Als sich beide Teams immer weniger aus der Reserve locken ließen, war Messi zur Stelle. Verteidiger Molina bediente den Regisseur der „Albiceleste“ im Mittelfeld. Der machte, was Messi eben macht. Er zog mit einem Dribbling vier niederländische Spieler auf sich und spielte trotzdem, gesegnet mit überlegenem Gefühl für Zeit und Raum auf dem Fußballfeld, einen genialen Pass in die Spitze auf Molina, der den Ball mit seinem ersten Teamtor zur 1:0-Führung über die Linie spitzelte (35.).

„Oranje“ sucht Weg ins Semifinale

Die Niederländer wussten zur Pause auf dem Gang in die Kabine, dass eine Steigerung notwendig war, um dieses Spiel noch zu wenden und das Tor zum Weg ins Semifinale zu finden. Nur einen Schuss hatten sie in der ersten Halbzeit abgegeben, das leichte Plus im Ballbesitz fiel nicht ins Gewicht. Die Argentinier hingegen wirkten nach verhaltenem Beginn mittlerweile sicher und souverän.

Sicherheitskräfte führen Flitzer ab
Reuters/Kai Pfaffenbach
Die Ordner hatten alle Hände voll zu tun, um einen von den TV-Kameras ignorierten „Flitzer“ vom Feld zu geleiten

Kein Vergleich mehr mit der panischen Stimmung, die noch nach der sensationellen Auftaktpleite beim 1:2 gegen Saudi-Arabien vor 17 Tagen geherrscht hatte. Messi legte in der 63. Minute noch einen starken Freistoß knapp über die Latte auf seine Topleistung drauf. Van Gaal brachte Sturmroutinier Luke de Jong anstelle von Danny Blind, um seinen nach wie vor erstaunlichen farblosen „Oranje“ Leben einzuhauchen.

Argentinien zittert nach 2:0

Es fand sich keine Aktion im niederländischen Spiel, die ein Weckruf für die offensiven Ambitionen gewesen wäre. Eine leichte Berührung von Wenzel Dumfries an Marcos Acuna war für den spanischen Referee Antonio Mateu und den VAR genug, um auf Strafstoß zu entscheiden. Messi schoss den Ball fast aus dem Stand lässig zum 2:0 (71.) ins Eck. Gegen Polen war er noch mit einem Elfmeter an Wojciech Szczesny gescheitert.

Messi trifft vom Elferpunkt (71. Minute)

Der Superstar der Argentinier macht das 2:0 aus einem Elfer.

Danach sorgte noch ein Platzstürmer, wie immer von den TV-Kameras gewissenhaft übersehen, für Action auf dem Platz. Mehrere Ordner hatten alle Hände voll zu tun, den muskulösen Mann vom Feld zu bringen. Die Partie wurde hitziger. Die Niederländer wirkten frustriert von der eigenen unerwartet mageren Leistung.

Weghorst wird zum Partyschreck

Doch Argentinien hatte zu früh abgestellt und zurückgenommen. Wie aus dem Nichts fiel der Anschlusstreffer. Der eben eingewechselte Wout Weghorst kam im Strafraum nach schöner Flanke von Steven Berghuis an den Ball und versenkte ihn per Kopf. Die Niederländer durften wieder hoffen, und Argentinien geriet noch ins Wanken. Es sollte noch schlimmer für die „Albiceleste“ kommen.

Anschlusstreffer durch Weghorst (83. Minute)

Wout Weghorst bringt die Niederlande knapp vor dem Ende nochmal heran.

Das Gespür von Trainer Van Gaal für die richtige Personalentscheidung kann im Nachhinein als außergewöhnlich bezeichnet werden. Denn Weghorst schlug noch ein zweites Mal zu. Die Partie war fahrig und aufgeregt, Argentinien bangte um das sicher geglaubte Halbfinale gegen Kroatien. Schiedsrichter Mateu entschied auf zehn Minuten Nachspielzeit, verlängerte diese nochmals, und prompt nutzte der von Burnley an Besiktas ausgeliehene Weghorst die allerletzte Chance. Er bugsierte einen raffiniert kurz abgespielten Freistoß in der 90.+11. Minute zum 2:2 ins Tor.

Ausgleich in letzter Sekunde

Nach einem Freistoßtrick macht Wout Weghorst knapp vor dem Schlusspfiff den Ausgleich.

Die Argentinier waren entsetzt. Vor der fälligen Verlängerung gingen die Scharmützel zwischen Spielern und Betreuern beider Teams auf dem Platz weiter. Bis zum Anpfiff der zusätzlichen 30 Minuten beruhigte sich die Lage jedoch wieder. Hier wurde schließlich doch noch Angel di Maria ins Spiel gebracht. Lautaro Martinez hatte das mögliche 3:2 auf dem Fuß. Argentinien drängte auf die Entscheidung, Enzo Fernandez traf in der 120. Minute nur die Stange.

Auf und ab im Elferschießen

Auch das Elferschießen hatte dann das Zeug zum Klassiker. Argentinien führte nach starken Paraden von Emiliano Martinez 2:0, musste aber zusehen, wie die Niederlande nach verschossenem Elfer von Enzo Fernandez doch auf 3:3 ausglichen. Aber Lautaro Martinez behielt die Nerven, verwandelte den fünften Elfer Argentiniens und erlöste die „Albiceleste“ aus diesem Alptraum, der für die „Oranje“ damit erst begann.

Stimmen zum Spiel

Lionel Messi (Argentinien-Kapitän): „Es ist unglaublich. Wir haben am Ende sehr gelitten. Am Anfang lief es noch gut. Aber wir haben es doch geschafft. Wir sind eine Mannschaft, die weiß, was sie tut. Wir haben Lust zu gewinnen. Wir haben unglaubliche Lust, diese Meisterschaft zu gewinnen. Schritt für Schritt kommen wir voran, das genießen wir. Wir brauchten diesen Sieg.“

Zum Elfmeterschießen: „Wir dachten nicht, dass es so weit kommen würde. Das war schon schwierig für uns. Man darf sich nicht zu sehr davon beeindrucken lassen. Wir wussten, wenn es zum Elfmeterschießen kommt, müssen wir vereint sein.“

Emiliano Martinez (Torhüter Argentinien): „Das waren pure Emotionen. Wir haben das für 45 Millionen Argentinier gemacht, für das ganze Land. Wir sind im Halbfinale, weil wir Herz und Leidenschaft haben. Ich habe gehört, wie van Gaal gesagt hat: ‚Wir haben einen Vorteil beim Elfmeterschießen. Wenn wir ins Elfmeterschießen kommen, gewinnen wir.‘ Ich glaube, er sollte den Mund halten.“

Louis van Gaal (Teamchef Niederlande): „Wir haben das ganze Jahr Elfmeterschießen geübt, und dann vermasselt man es. Das ist schade. Als Trainer möchte ich alles unter Kontrolle haben. Deshalb habe ich die Spieler gebeten, bei ihren Vereinen Elfmeter zu schießen, das haben alle getan. Wenn du zwei vergibst, gewinnst du nicht.“

FIFA WM 2022, Viertelfinale

Freitag:

Niederlande – Argentinien 2:2 n. V. (2:2 0:1) 3:4 i. E.

Lusail, Lusail Stadium, 88.235 Zuschauer, SR Mateu (ESP)

Torfolge:
0:1 Molina (35.)
0:2 Messi (73./Foulelfmeter)
1:2 Weghorst (83.)
2:2 Weghorst (90.+11.)

Elfmeterschießen:
0:0 – Emiliano Martinez hält scharfen Van-Dijk-Elfer
0:1 – Messi schiebt die Kugel ins Tor
0:1 – Auch Berghuis scheitert am starken Martinez
0:2 – Paredes netzt ein
1:2 – Koopmeiners verkürzt für die Niederlande
1:3 – Montiel bleibt ruhig und trifft
2:3 – „Doppelpacker“ Weghorst hält „Oranje“ im Rennen
2:3 – Enzo Fernandez schießt vorbei
3:3 – De Jong gleicht aus
3:4 – Lautaro Martinez erlöst Argentinien

Niederlande: Noppert – Timber, Van Dijk, Ake – Dumfries, F. de Jong, De Roon (46./Koopmeiners), Blind (64./L. de Jong) – Gakpo (113./Lang) – Bergwijn (46./Berghuis), Depay (78./Weghorst)

Argentinien: E. Martinez – Romero (78./Pezzella), Otamendi, Li. Martinez (112./Di Maria) – Molina (106./Montiel), De Paul (67./Paredes), Fernandez, Mac Allister, Acuna (78./Tagliafico) – Messi, Alvarez (82./La. Martinez)

Gelb-Rote Karte: Dumfries (129./unsportliches Betragen/Tätlichkeit)

Gelbe Karten: Timber, Weghorst (auf Bank), Depay, Berghuis, Bergwijn bzw. Acuna, Romero, Li. Martinez, Paredes, Messi, Otamendi, Montiel, Pezzella

Die Besten: Berghuis, Weghorst bzw. Messi, Otamendi