FIFA WM 2022

Marokko schreibt Fußballgeschichte

Marokko hat am Samstag mit einem 1:0-Sieg gegen Portugal Fußballgeschichte geschrieben. Als erste Mannschaft aus Afrika steht das Team von Walid Regragui im Halbfinale einer Weltmeisterschaft. Umjubelter Matchwinner im Viertelfinale in Doha war Youssef En-Nesyri nach einem Tormannfehler von Diogo Costa (42.). Die Niederlage konnte auch Superstar Cristiano Ronaldo, der erneut als „Joker“ kam, nicht mehr verhindern.

Der 37-jährige Altstar egalisierte mit seinem 196. Nationalteameinsatz einen Weltrekord, verließ die WM-Bühne aber unter Tränen. Dafür sorgten einmal mehr aufopferungsvoll kämpfende Nordafrikaner, die kompakt verteidigten, wenige Chancen der Portugiesen zuließen und am Ende die nächste Sensation nach dem Sieg gegen Spanien feierten.

En-Nesyri köpfelte nach einer Flanke ein, der herauseilende Costa hatte nur mehr das Nachsehen. Kurz danach traf auf der anderen Seite Bruno Fernandes die Latte. Vor 44.198 Zuschauern im Al Thumama Stadion drückte Portugal in Hälfte zwei, blieb aber lange ohne Topchance. Die vergab Pepe in der letzten Minute per Kopf. Zuvor hatte Zakaria Aboukhlal die Entscheidung für Marokko bereits am Fuß.

Best of Marokko – Portugal

Marokko hat mit einem 1:0-Sieg gegen Portugal Fußballgeschichte geschrieben. Als erste Mannschaft aus Afrika steht das Team von Walid Regragui im Halbfinale einer Weltmeisterschaft.

Im Halbfinale trifft Marokko am kommenden Mittwoch (20.00 Uhr, live in ORF1 und im Livestream) auf Weltmeister Frankreich, der am Samstag im letzten Viertelfinale England mit 2:1 niederringen konnte.

Ronaldo zunächst wieder auf der Bank

Wie erwartet musste Superstar Ronaldo bei den Portugiesen wieder auf der Bank Platz nehmen. Sein Ersatzmann Goncalo Ramos hatte beim fulminanten 6:1 gegen die Schweiz drei gute Gründe in Form von Toren geliefert, um wieder in der Startelf stehen zu dürfen. Teamchef Fernando Santos veränderte seine Elf nur an einer Position, im defensiven Mittelfeld startete Ruben Neves statt William Carvalho.

Marokkos Erfolgstrainer Regragui musste nach dem Aufstieg im Elfmeterschießen gegen Spanien zwei Veränderungen in der Defensive vornehmen, Noussair Mazraoui und Nayef Aguerd wurden durch Yahya Attiatallah und Jawad El Yamiq ersetzt.

Viel Ballbesitz für Portugal, kein Ertrag

Schon in der ersten Hälfte hatte Portugal deutlich mehr Ballbesitz – zur Halbzeit 66 Prozent, am Ende 73 – Marokko versteckte sich aber wie im bisherigen Turnier nicht. So gab es gleich zu Beginn zwei gute Chancen auf beiden Seiten. Mit einem Flugkopfball zwang Joao Felix Marokkos Tormann Yassine Bounou früh zu einer Parade (5.), im Gegenzug setzte dann En-Nesyri einen Kopfball neben das Tor (6.).

Ein enttäuschter Cristiano Ronaldo (Portugal)
AP/Martin Meissner
Ronaldos Traum vom WM-Titel endete in Doha mit Tränen

Danach spielte sich vor allem viel im Mittelfeld ab, Portugal hatte weiterhin mehr den Ball, aber Marokko ließ sich nicht aus der Reserve locken, blieb kompakt und präsentierte sich in den Zweikämpfen aggressiv. Chancen waren in dieser Phase Mangelware, ein Schuss von Felix ging später abgefälscht vorbei (31.). Marokko traute sich mit Fortlauf mehr zu und kam durch Selim Amallah und Sofiane Boufal zu Abschlüssen (36.), danach verfehlte noch einmal Felix (39.).

En-Nesyri nützt Tormannfehler aus

Kurz vor der Pause klingelte es dann doch noch, die vielen marokkanischen Fans im Al Thumama Stadium durften jubeln: Attiatallah hatte auf der linken Seite Platz und brachte das Leder vor das Tor, wo Goalie Costa herauskam, aber En-Nesyri früher am Ball war. Der Stürmer stellte mit hohem Luftstand per Kopf auf 1:0 (42.). Nur drei Minuten später traf Bruno Fernandes aus spitzem Winkel die Latte (45.), ein zu Recht nicht gegebenes Foulspiel am Offensivspieler im Strafraum beendete die hektische Schlussphase in der ersten Hälfte.

Tor von Youssef En-Nesyri (Marokko) gegen Portugal
AP/The Yomiuri Shimbun/Ken Satomi
En-Nesyri nützte den Torwartfehler von Diogo Costa und traf mit dem Kopf zur vielumjubelten Führung

In der Halbzeit stellten sich viele die Frage, wann Santos Ronaldo ins Spiel bringen würde. Es waren sechs Minuten in der zweiten Hälfte gespielt, als der Superstar anstelle von Neves in die Partie kam und dabei den Weltrekord an Einsätzen in einem Nationalteam (196) des Kuwaiters Badr al-Mutawa egalisierte. Auf der anderen Seite musste Kapitän Romain Saiss wenig später verletzt ausgewechselt werden, Regraguis Stammviererkette bestand nur noch aus Achraf Hakimi.

Portugal läuft mit Ronaldo umsonst an

In weiterer Folge nahm der portugiesische Druck zu, Ramos setzte einen Kopfball im Zentrum des Strafraums knapp neben das Tor (58). Noch knapper landete ein Schuss von Fernandes über dem Kasten (64.). Marokko musste sich gänzlich auf die Defensive konzentrieren, stellte auch auf Fünferkette um – auf Kosten der eigenen Entlastung.

Aber Marokko beschränkte sich zu Recht auf das Abwehrverhalten, weil die portugiesische „Selecao“ mit jeder Minute auch ideenloser wurde. Die Europäer kamen im Strafraum nicht zur Entfaltung, deswegen war man gezwungen, mit Flanken oder aus der Distanz sein Glück zu versuchen. Felix zwang Bonou mit einem sehenswerten Schuss wieder zu einer Parade (83.), im Finish probierte es auch Ronaldo erneut mit einem Flachschuss – wieder sichere Beute für Bonou (91.).

Marokko kämpfte aufopferungsvoll und warf alles in jeden Zweikampf, „Joker“ Walid Cheddira übertrieb es in der Nachspielzeit und sah binnen drei Minuten zweimal Gelb (93.). Wieder war die Endphase hektisch, Zakaria Aboukhlal lief alleine auf Costa zu und vergab stümperhaft (96.). Das hätte sich fast noch gerächt, weil der 39-jährige Pepe in aussichtsreicher Position den Ausgleich per Kopf vergab (97.).

Stimmen zum Spiel:

Walid Regragui (Marokko-Trainer): „Wir hatten viele Verletzte vor der WM, aber wir haben uns reingebissen. Vor allem haben wir den Spirit geschaffen. Heute ist Afrika wieder auf der Landkarte des Fußballs. Wir haben dagegengehalten, und jeder hat für jeden gekämpft. Wir haben Geschichte für Afrika geschrieben, und ich bin sehr, sehr glücklich.“

Sofyan Amrabat (Marokko-Mittelfeldspieler): „Es ist wirklich, wirklich, wirklich unglaublich. Ich bin so stolz. Wir verdienen das zu 1.000 Prozent. Das ist es, wie wir kämpfen und wie wir spielen, mit unseren Herzen, für unser Land und unsere Menschen. Wir hatten einige Verletzungen, und drei Verteidiger zu haben, die reinkommen und so verteidigen, großer Respekt. Großer Respekt, für alle – für die Fans, für den Trainer, für alle.“

Fernando Santos (Portugal-Trainer): „In der ersten Halbzeit hatten wir Schwierigkeiten, es hat lange gedauert, bis wir ins Spiel gekommen sind. Die Spieler wollten, aber wir konnten unsere Stärken nicht voll ausspielen, auch wenn wir Torchancen hatten. Der Schiri hätte in einigen Situationen Foul pfeifen können, aber allgemein denke ich nicht, dass er schuld ist. Wir hätten mehr tun können, das haben wir nicht geschafft, dafür sollten wir nicht den Schiedsrichter verantwortlich machen.“

Pepe (Portugal-Kapitän): „Wir haben das Spiel kontrolliert, aber kein Tor geschossen. Wir sind natürlich traurig und wissen, dass wir jeden besiegen können, dennoch hat es heute nicht gereicht.“

Bruno Fernandes (Portugal-Mittelfeldspieler): „Ich finde es sehr merkwürdig, dass bei uns ein Schiedsrichter pfeift, dessen Nation noch im Turnier ist. Und dieser pfeift nicht Champions League.“

FIFA WM 2022, Viertelfinale

Samstag:

Marokko – Portugal 1:0 (1:0)

Doha, Al Thumama Stadium, 44.198 Zuschauer, SR Facundo Tello (ARG)

Tor: 1:0 En-Nesyri (42.)

Marokko: Bounou – Hakimi, El Yamiq, Saiss (57./Dari), Attiatallah – Amrabat, Ounahi, Amallah (65./Cheddira) – Ziyech (82./Aboukhlal), En-Nesyri (65./Benoun), Boufal (82./Jabrane)

Portugal: Costa – Dalot (79./Horta), Dias, Pepe, Guerreiro (51./Cancelo) – Neves (51./Ronaldo), Otavio (69./Vitinha) – B. Silva, B. Fernandes, J. Felix – Ramos (69./Leao)

Gelb-Rote Karte: Cheddira (93./wiederholtes Foulspiel)

Gelbe Karten: Dari bzw. Vitinha