Wie klein das Sportwunderland Kroatien eigentlich ist, macht allein dieses Zahlenspiel deutlich: Argentiniens Superstar Lionel Messi hat weltweit etwa 100-mal so viele Anhänger, wie im Land des WM-Semifinal-Gegners überhaupt Menschen leben. Konkret heißt das: Messi folgen allein in dem sozialen Netzwerk Instagram rund 387 Millionen Nutzer. Ganz Kroatien hat etwa 3,9 Millionen Einwohner.
2018 erreichten Luka Modric und Co. sogar das Endspiel. 1998 stand die Generation um Davor Suker und Robert Prosinecki im Semifinale. „Wir sind stolz bis zum Himmel, dass Kroatien wieder zu den besten vier Mannschaften der Welt gehört. Die ganze Welt schaut auf Kroatien und bewundert unseren Charakter, unser Wissen und unsere Qualität“, sagte Trainer Zlatko Dalic nach der Überraschung gegen Brasilien.
Kroaten beenden Brasiliens Traum
Die Leidenszeit der brasilianischen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft ist um ein weiteres Kapitel reicher.
Auch Länder wie Dänemark (5,8 Millionen) und Uruguay (3,5) bringen in Relation zu ihrer Einwohnerzahl viele herausragende Sportler hervor. Doch während der dänische Fußballverband dafür sehr viel in die Ausbildung seiner Jugendtrainer investiert und Uruguay ein sehr zentralisiertes Nachwuchs- und Sichtungssystem unterhält, versuchen die Kroaten offenbar gerade nicht, alles zu akademisieren.
Individualität schließt Teamgeist nicht aus
„Wir haben auch professionelle und moderne Jugendakademien“, sagte der ehemalige HSV-Stürmer Mladen Petric der „Süddeutschen Zeitung“. „Aber in Kroatien soll jeder Spieler seine Persönlichkeit entfalten können. Wenn jemand immer schon der Typ Straßenkicker war, dann darf er das auch bleiben.“ Petric ist genau wie der langjährige Barcelona-Star Ivan Rakitic in der Schweiz aufgewachsen.
Manchmal profitiert die Nationalmannschaft auch von den vielen Diaspora-Kroaten auf der Welt. Aus dem aktuellen Kader wurden zum Beispiel Mateo Kovacic (Chelsea) und auch Luka Sucic (Salzburg) in Linz geboren sowie Josip Stanisic (Bayern) in München.

All die großen und weniger bekannten Namen formte Dalic zu einem eingeschworenen Team. „Solange ich Trainer bin“, sagte der 56-Jährige, „wird die Nationalmannschaft ein Ort des Patriotismus, des Zusammenhalts, der sportlichen Qualität und der kroatischen Flagge sein.“ Nationalheld Modric fasste Kroatiens WM-Gefühl in einem Tweet zusammen. „Niemals. Aufgeben“, schrieb der 37-Jährige nach dem Weiterkommen im Viertelfinale über Topfavoriten Brasilien.
Das Elfmeterschießen folgte auf einen 120-minütigen Kampf, bei dem die Kroaten nach einem Tor Neymars in der Verlängerung schon zurücklagen, aber wieder einmal die Wende schafften. Die Kicker haben einen Lauf wie 2018, als man das Endspiel erreicht hatte.
Seit 1998 kein K.-o.-Duell nach 90 Minuten gewonnen
Dabei gab es seit 24 Jahren bei der WM keinen K.-o.-Sieg in der regulären Spielzeit mehr. Vor vier Jahren ging Kroatien dreimal über die Verlängerung, um ins schlussendlich verloren gegangene Endspiel gegen Frankreich (2:4) vorzustoßen. Die „Vatreni“ haben aktuell schon wieder zwei 120-Minuten-Spiele in den Beinen. „Wir müssen dieses Spiel so schnell wie möglich vergessen, obwohl wir vielleicht die beste Mannschaft des Turniers geschlagen haben. Wir dürfen nicht viel Energie auf das Feiern verschwenden“, sagte Außenspieler Ivan Perisic.
Dass es erst im Achtelfinale gegen Japan und danach gegen Brasilien vom Punkt klappte, überraschte die Kroaten kaum. „Ich war ziemlich sicher, wir werden das wieder schaffen. Weil wir einen Weltklassetorhüter haben. Zudem haben sich sieben, acht Schützen gemeldet, die schießen wollten. Das zeigt den Charakter dieser Mannschaft“, sagte Kotrainer Ivica Olic. Zum Helden wurde Dominik Livakovic, der gegen Rodrygo hielt. Nachdem alle vier kroatischen Schützen trafen, schoss Brasiliens Marquinhos an die Stange.

„Wir sind total erfahren bei Elfmeterschießen, das ist unser Erfolgsrezept“, sagte Livakovic. Der 27-Jährige sah vor vier Jahren in Russland zu, wie Danijel Subasic zum Elferheld wurde. Nun ist er es selbst. Gegen Japan hielt der Tormann von Dinamo Zagreb schon drei Elfmeter, am Freitag vereitelte er davor Großchancen von Neymar und Co. Hinten dichtmachen und vorne auf einen guten Moment hoffen, lautete die Devise. Nach Neymars Traumtor schien Kroatiens Aus angerichtet, „Joker“ Bruno Petkovic (117.) gelang per abgefälschtem Schuss aber der kaum noch für möglich gehaltene Ausgleich.
„Nur wir Kroaten können das“
„Nur Kroaten können das. Wir haben starke Charaktere, wir geben nicht auf“, sagte Dalic. Den Eindruck, Kroatien sei zu alt, konnte man in der Gruppenphase zwar zeitweise bekommen. Doch das eingespielte Ensemble hat sich wieder einmal rechtzeitig gesteigert. Nicht nur der 37-jährige Modric gibt eine Art Stehaufmännchen. Der Kapitän hielt anders als gegen Japan durch und verwertete im Elferschießen sicher. „Er war nicht müde. Wir haben ihn gefragt, er war bereit“, so Dalic.

Verlieren kann Kroatien in der Überstunde dennoch. Bei der EM im Vorjahr war im Achtelfinale gegen Spanien mit einem 3:5 nach Verlängerung Endstation. Seitdem sind die Spieler in der karierten Dressen aber nur schwer zu schlagen. Gelungen ist das in den vergangenen 5 Monaten nur einem Team: Österreich siegte in der Nations League im vergangenen Juni auswärts mit 3:0. Livakovic, Lovren und Perisic waren damals nicht dabei, Modric wurde nach einer Stunde eingewechselt. Es war die einzige Niederlage in 21 Auftritten.