Der marokkanische Fußballspieler Achraf Hakimi im Disput mit Schiedsrichter Abdulrahman Al-Jassim
Reuters/Molly Darlington
FIFA WM 2022

Marokkos Märchen endet mit Misstönen

Die 22. WM-Endrunde in Katar ist dank Marokko als die bis dato erfolgreichste in der Geschichte des afrikanischen Fußballs eingegangen. Dennoch endete das marokkanische Märchen am Samstag nach der 1:2-Niederlage im Spiel um Platz drei gegen Kroatien mit Misstönen. Im Mittelpunkt der Kritik stand vor allem der katarische Schiedsrichter Abdulrahman al-Jassim. Aber auch FIFA-Präsident Gianni Infantino bekam zum Abschluss des Turniers von marokkanischer Seite sein Fett ab.

Obwohl Marokko mit dem erstmaligen Einzug ins Semifinale einer afrikanischen Mannschaft bei einer WM und Platz vier einen historischen Erfolg feierte, blieben am Ende des Traumturniers für die „Löwen vom Atlas“ unschöne Bilder hängen. Schon während des Spiels hatten die Marokkaner Schiedsrichter al-Jassim, der davor nur die Vorrundenpartie USA gegen Wales (1:1) geleitet hatte, nach seinen – aus ihrer Sicht falschen – Entscheidungen immer wieder heftig bedrängt. Nach dem Schlusspfiff bildete sich rund um den Katarer ein richtiger Tumult, der nur knapp an Handgreiflichkeiten vorbeischrammte.

Zudem entlud sich der Ärger der marokkanischen Fans auch gegenüber dem Boss des Weltverbandes, Infantino, mit „FIFA Mafia“-Sprechchören. Im Kabinengang soll Marokkos Stammspieler Achraf Hakimi außerdem deftige Worte für Infantino, der für die Besetzung des unerfahrenen Referees verantwortlich gemacht wurde, übrig gehabt haben. „Es ist nichts passiert. Ich war wütend nach der Auseinandersetzung“, sagte Hakimi später. Vielmehr habe er sich persönlich bei Infantino für den emotionalen Ausbruch entschuldigt. Dem marokkanischen Sender Arryadia TV zufolge fügte der 24-Jährige noch an: „Infantino ist mein Freund, und ich respektiere ihn sehr. Nichts ist passiert.“

FIFA-Präsident Gianni Infantino bei der Ehrung zum dritten Platz
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Infantino musste sich auf dem Weg zur Siegerehrung und im Kabinengang einiges anhören

Der Einzige, der in diesem Tumult die Ruhe behielt, war Marokkos Trainer Walid Regragui. Er gab dem Schiedsrichter zum Abschluss nicht nur fair die Hand, sondern hatte sich auch davor zwischen al-Jassim und seine erbosten Spieler gestellt. „Wenn wir ein Spiel verlieren, sind wir immer enttäuscht. Wenn man manchmal etwas überreagiert nach einem Spiel, dann kann das passieren“, sagte der 47-Jährige. „Meine Spieler sind sehr ehrgeizig, es war kein fehlender Respekt.“ Gleichwohl: Den Schiedsrichter nach dem Spiel so zu bedrängen, das sei „nicht der marokkanische Weg“.

König gratuliert Erfolgsteam

Der Ärger nach dem 1:2 im Spiel um Platz drei passte auch nicht so recht in die märchenhafte WM-Geschichte der Nordafrikaner. Nach der ersten Aufregung legte sich der Zorn möglicherweise auch, weil sich der König meldete. „Wir gratulieren Ihnen zu dieser beispiellosen historischen Leistung“, teilte Mohammed VI. in einem Schreiben am Samstagabend mit. Der König lobte die Disziplin und Professionalität der Mannschaft, die den afrikanischen und arabischen Fußball bestens repräsentiert habe. Das Land sei dankbar und stolz.

Kroatien holt Platz drei

Kroatien hat sich bei der WM-Endrunde in Katar den dritten Platz gesichert. Die Mannschaft von Trainer Zlatko Dalic bezwang das Sensationsteam Marokko am Samstag im kleinen Finale mit 2:1 (2:1).

Bereits nach dem verlorenen Halbfinale gegen Frankreich (0:2) hatte sich der Verband Marokkos mit einem Schreiben über die Leistung von Schiedsrichter Cesar Arturo Ramos Palazuelos beschwert. Die Ansetzung des eher unerfahrenen Katarers al-Jassim für die Partie um Bronze kann als unglücklich angesehen werden. Denn auf beiden Seiten blieben in einer unterhaltsamen und spannenden Partie potenzielle Elfmeterpfiffe aus.

Überraschungsteam geht die Luft aus

Ihre einzigen Niederlagen bei dieser WM kassierten die Marokkaner ausgerechnet in den beiden letzten Spielen, als es um die Endspielteilnahme und dann am Samstag um die Bronzemedaille ging. Zweimal brachten Josko Gvardiol (7.) und Mislav Orsic (42.) die Kroaten in Führung. Nur einmal kamen die Marokkaner durch Achraf Dari (9.) zurück. Am Ende des Turniers war es für sie von allem zu viel: zu viele Spiele, zu viele Ausfälle wichtiger Spieler, „zu viel Müdigkeit“, wie Regragui sagte.

Marokko-Trainer Walid Regragui im Gespräch mit dem Schiedsrichter
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Marokkos Teamchef Regragui versuchte, nach den Tumulten im Spiel um Platz drei wieder das Positive herauszustreichen

Der erst seit August amtierende Trainer war sich aber trotzdem bereits bei seiner Abschlusspressekonferenz, die er mit dem Satz „Lang lebe Afrika“ beendete, sicher: „Wenn wir morgen aufwachen, werden wir realisieren, was wir bei dieser WM Großartiges erreicht haben“, so Regragui. „Wenn man mir vor der WM gesagt hätte: Marokko gehört zu den besten vier Teams der Welt – das hätte ich weit von mir gewiesen.“ Abgesehen von der kleinen Komplikation am Ende gab Marokko auch ein überzeugendes Bild bei der Endrunde ab.

Aufstockung erhöht Chancen

Der Erfolg nährte nach dem ernüchternden Abschneiden 2018, als kein Team des Kontinents den Sprung ins Achtelfinale geschafft hatte, zudem auch die Zuversicht im afrikanischen Fußball. Regragui hofft, dass die Leistung seiner Mannschaft in Katar ein bleibendes Vermächtnis hinterlassen werde. „Ich hoffe, dass wir lernen und wachsen und in unseren Kindern in Afrika eine Fußball-DNA aufbauen, die Bestand hat“, betonte der Trainer. Regragui war sich auch sicher, dass eines Tages ein Team aus Afrika bei der Weltmeisterschaft triumphieren werde.

Bisher sah er die Titelchancen auch aufgrund der geringen Anzahl an Teilnehmern aus dem Kontinent geschmälert. „Es ist schade, dass Afrika bei der Größe des Kontinents nur fünf Teams hier hat“, sagte der Erfolgstrainer. Mit der Aufstockung des Teilnehmerfeldes qualifizieren sich ab 2026 zumindest neun Teams aus Afrika für die Endrunde, das erhöhe laut Regragui die Möglichkeiten der Afrikaner. „Warum sind es immer die europäischen Teams, die so weit kommen? Weil sie Erfahrung haben, weil sie regelmäßig dabei sind. Durch diese Erfahrung lernt man.“