Mikaela Shiffrin
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Ski alpin

Shiffrin nähert sich Allzeitrekord

Nur noch Ingemar Stenmark baut sich vor Mikaela Shiffrin seit Dienstag auf dem Weg zur erfolgreichsten Person, die jemals auf alpinen Skiern gestanden ist, als Hürde auf. Mit ihrem Triumph beim ersten Riesentorlauf auf dem Kronplatz und damit dem 83. ihrer Karriere schwang sich die 27-Jährige bereits zur alleinigen Rekordhalterin bei den Frauen auf. Noch vor der am 6. Februar beginnenden WM könnte Shiffrin mit Stenmark gleichziehen.

Die schwedische Skilegende Stenmark gewann in seiner erfolgreichen Karriere in den 1970er und 1980er Jahren 86 Rennen im Weltcup. Shiffrin kann dem heute 66-Jährigen bereits am Mittwoch (10.30 bzw. 13.30 Uhr, live in ORF1, Übertragung ab 10.15 Uhr) im zweiten Riesentorlauf auf dem Südtiroler Kronplatz auf zwei Erfolge nahe rücken. Gewinnt die US-Amerikanerin auch noch die beiden Slaloms von Spinderluv Mlyn am Samstag bzw. Sonntag, wäre der Rekord egalisiert. Ansonsten hat Shiffrin nach der WM noch insgesamt elf Gelegenheiten dazu.

Ein objektiver Vergleich zwischen Frauen und Männern, noch dazu in verschiedenen Epochen des alpinen Skisports, fällt allerdings schwer. Aufgrund der unterschiedlichen Anzahl an Disziplinen – zu Stenmarks Zeiten gab es im Weltcup hauptsächlich Abfahrt, Slalom und Riesentorlauf – erreichte Shiffrin ihren 83. Sieg im 238. Rennen. Stenmark absolvierte laut ORF-Archiv 271 Bewerbe im Weltcup. Shiffrin stand 132-mal auf dem Podest, Stenmark 155-mal.

Shiffrin rast zu alleinigem Rekord

Die erfolgreichste Skiläuferin im alpinen Weltcup heißt seit Dienstag Mikaela Shiffrin. Die 27-jährige US-Amerikanerin fuhr im ersten von zwei Riesentorläufen auf dem Südtiroler Kronplatz ihren 83. Weltcup-Sieg ein, verwies ihre Landsfrau Lindsey Vonn auf Platz zwei und hat in der ewigen Statistik nur noch Ingemar Stenmark vor sich.

100 Siege und mehr nicht unrealistisch

Im Vergleich zum Technik-Spezialisten Stenmark ist Shiffrin skifahrerisch wohl breiter aufgestellt. Zwar gelangen 51 ihrer 83 Siege im Slalom und 18 im Riesentorlauf. Doch Shiffrin ist eine Alleskönnerin. Je fünfmal gewann sie im Super-G bzw. bei Parallel-Events, dreimal in der Abfahrt und einmal in der Kombination, obwohl sie das Training in den Speed-Disziplinen nicht allzu sehr forciert. Stenmark war im Riesentorlauf und Slalom mit 46 bzw. 40 Siegen eine Macht. Sein einziger Sieg in einer anderen Disziplin, jener im Parallel-Slalom von Madonna di Campiglio 1978, zählte damals nicht zum Weltcup.

Lara Gut-Behrami (SUI), Mikaela Shiffrin (USA) und Federica Brignone (ITA)
GEPA/Thomas Bachun
Lara Gut-Behrami (l.) und Federica Brignone (r.) standen Shiffrin bei ihrem Rekordsieg auf dem Kronplatz zur Seite

Angesichts ihrer Vielseitigkeit und ihrer erst 27 Jahre scheint selbst die magische Grenze von 100 Siegen für Shiffrin realistisch. Tatsächlich wirkt die US-Amerikanerin, die am 20. Dezember 2012 in Aare ihren ersten Weltcup-Sieg gefeiert hatte, als Person gefestigter, ihr Slalom-Schwung sicherer denn je. Seit zehn Jahren gewinnt sie im Weltcup, wie Shiffrin-Manager Kilian Albrecht zuletzt erinnerte. „Für die meisten ist es nicht möglich, in einer einzigen Disziplin zehn Jahre erfolgreich zu sein. Mikaela schafft das vom Slalom bis zur Abfahrt. Es ist unfassbar.“

Ein gut gebastelter „Drachen“

Mikaela Pauline Shiffrin wurde am 13. März 1995 in Avon, Colorado, geboren und begann ihren Weg zum Skistar bereits früh. Mit acht Jahren übersiedelten ihre Eltern Jeff und Eileen mit ihr nach New Hampshire, wo es beizeiten eisig kalt sein kann. „Wir wollten sehen, ob sie Skifahren auch in Bedingungen liebt, die man hasst“, sagte ihr im Februar 2020 überraschend verstorbener Vater Jeff über seine Tochter einmal.

Im Winter sammelte Shiffrin also bei jedem Wetter Pistenkilometer, im Sommer wurden auf einem Heimparcours mit Besenstilen die Kippbewegungen geübt, dazu wurde mit Einrad fahren das Gleichgewicht geschult. „Kinder mit rohem athletischen Talent schaffen es kaum ganz an die Spitze“, sagte Shiffrin senior, auch physikalisch war die Sache für ihn klar: „Drachen fliegen höher bei Gegenwind.“

Mikaela Shiffrin in Are, 2012
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Im Alter von 17 Jahren startete Shiffrin 2012 in Aare mit ihrem ersten Sieg ihre Rekordjagd

Dass Jeffrey Shiffrin, ein Anästhesist, 1987 in einen Blutdopingskandal bei einer US-Langläuferin verwickelt war, gehört ebenfalls zur Familienbiografie. Der Fall, der im anschließenden Untersuchungsbericht als „one-time-only situation“, als „einmalige Situation“ bezeichnet wurde, habe sein Unrechtsbewusstsein geschärft, sagte Jeff Shiffrin, und Einfluss auf die Kindeserziehung genommen. „Wir sind gegen Betrug, gegen Doping und gegen das Ausnutzen eines unfairen Vorteils.“

Antrainierte Widerstandsfähigkeit

Stattdessen wollte Shiffrin senior seiner Tochter Widerstandsfähigkeit gelehrt haben. Eine Eigenschaft, die Shiffrin brauchte, als nach dem Olympiadebakel von Peking 2022, vor allem aber zuvor nach dem Unfalltod ihres Vaters im Februar 2020 alles ins Wanken gekommen war. Aus der Bahn werfen ließ sie sich vom Schicksalsschlag nur kurz. Shiffrin sah plötzlich, dass der Erfolg auch für eine Dauersiegerin wie sie keine Selbstverständlichkeit ist, dass ihre wiederkehrenden Gedanken an ein mögliches Scheitern kein Hirngespinst sind. „Je mehr ich gewinne, desto mehr fürchte ich mich davor, nicht mehr siegen zu können.“

„Alles, was sie kontrollieren kann, wird sie kontrollieren“, meint Jim Taylor, ein US-amerikanischer Sportpsychologe, nachdem er Shiffrin interviewt hatte. „Auf alles, was sie nicht kontrollieren kann, konzentriert sie sich nicht. Ich habe mit vielen kompetenten Athleten gearbeitet, die unter Druck immer noch einknicken, aber sie hat sich selbst trainiert, um widerstandsfähig zu sein.“

Die chronische Unsicherheit trage sie mit sich, sagte Shiffrin, um zu ergänzen, dass sie die Zweifel als Antrieb betrachte, noch mehr für ihren Sport zu tun, in den Trainings noch härter zu arbeiten. „Das Ziel im Sport ist es, dass du den Sport auf ein neues Level hebst. Es ist sehr aufregend, Rekorde zu brechen und Geschichte zu schreiben.“