Clemens Auersperg und sein Team beim Rudern
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Rudern

Als das „Boat Race“ zum Türöffner wurde

Am Sonntag wird auf der Themse im Herzen Londons wieder ermittelt, welche englische Universität zumindest auf dem Wasser die Nummer eins ist. Zum 77. Mal bei den Frauen und bereits zum 168. Mal bei den Männern duellieren sich die Achter aus Cambridge und Oxford im „Boat Race“. In der Siegerliste steht seit 2016 mit Clemens Auersperg auch ein Österreicher. Für den 31-Jährigen waren Teilnahme und Triumph nicht nur die Erfüllung eines sportlichen Traums, sondern auch ein Karrieresprungbrett. „Dem Rudern verdanke ich es, dass sich viele Türen geöffnet haben“, so Auersperg gegenüber ORF.at.

Ein Jahr nach seinem Clubkollegen bei Wiking Linz, Alexander Leichter, saß Auersperg 2016 am vierten Riemen jenes Cambridge-Achters, der nach dreijähriger Durststrecke den Hellblauen wieder einen Sieg gegen die Dunkelblauen einbrachte. Es war damals in der 162. Ausgabe des „Boat Race“ der 82. Triumph für Cambridge. Aktuell steht die Bilanz bei den Männern bei 85 Siegen für Cambridge und 81 für Oxford. Das Rennen 1877 wurde als Unentschieden gewertet. Bei den Frauen hat Hellblau mit 46:30 noch deutlicher die Nase vorne.

Jener 27. März 2016 ist bei Auersperg noch voll präsent. Die schönste Erinnerung sei logischerweise jenes Gefühl, „über die Ziellinie zu kommen und langsam sickert ein, dass man gewonnen hat“, doch auch die Momente davor – speziell die Schritte vom Bootshaus zum Wasser und die Stimmung an den Ufern der Themse – haben sich ins Gehirn des 31-Jährigen eingebrannt.

Jubelnde Sportler in Ruderboot
APA/AFP/Glyn Kirk
Der Moment des Triumphs: Auersperg (4. v. l.) und seine Kollegen feiern ihren Sieg im 162. „Boat Race“

„Das Aufwärmen findet in kompletter Stille auf der anderen Seite der Putney Bridge statt. Wenn man aber unter der Brücke durchfährt und im Startbereich vom Großteil der 400.000 Zuschauer empfangen wird, dann befindet man sich auf einmal mitten in einem Hexenkessel. Es ist ein Gänsehautgefühl, an das ich mich noch gut erinnern kann“, nimmt Auersperg einen in den Cambridge-Achter mit.

Zwar war mit dem Startschuss Auerspergs Konzentration für die kommenden rund 19 Minuten voll und ganz auf die rund 630 Ruderschläge („Das Rennen selber ist reine Exekution“) gerichtet, dennoch hatte der Oberösterreicher schon bald nach dem Start einen Glücksmoment. Mit seinen acht Studien- und Ruderkollegen – einem Deutschen, drei US-Amerikanern sowie drei britischen Athleten und dem britischen Steuermann – erruderte sich Auersperg früh einen wichtigen Vorsprung: „Als ich nach ungefähr einer Minute im Rennen das erste Mal rausgeschaut habe und gesehen habe, dass wir vorne sind, war ich sicher, dass das unser Tag sein kann.“

Per Zufall zum Rudern

Dass ausgerechnet Auersperg den aus österreichischer Sicht historischen Triumph im „Boat Race“ einfuhr – Kollege Leichter hatte sich ein Jahr davor noch Oxford geschlagen geben müssen – war in dessen Jugend noch nicht absehbar. „Ich war zwar immer schon sehr sportbegeistert, aber in frühen Schuljahren selber eher unsportlich. Ein Rudertrainer ist in mehrere Schulen gegangen und hat alle auf dem Ergometer getestet und besonders uns große und schwere Schüler zum Rudern animiert. Es war der erste Sport, bei dem ich mich recht gut angestellt habe“, so Auersperg. Trotzdem musste der 2,04 Meter große Hüne immer wieder überredet werden weiterzumachen: „Ich habe im ersten Jahr, glaube ich, fünf-, sechsmal aufgehört.“

Clemens Auersperg im Cambridge-Ruderboot
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Auersperg (Mi.) wurde als Schüler für den Rudersport begeistert

Die Hartnäckigkeit des Umfelds zahlte sich am Ende aus. Denn Auersperg ruderte später auch für das heimische Nationalteam und ebnete sich damit den Weg für seine spätere berufliche Karriere. „Ich habe mir nach dem Heeresportzentrum überlegt, für mein Studium ins Ausland zu gehen. Für mich waren die USA und England attraktive Optionen. Ein Knackpunkt war, dass ich in den USA ein Stipendium für Rudern bekommen habe“, so Auersperg, nachdem etwa Scouts der renommierten Columbia University bei einer Junioren-WM auf ihn aufmerksam geworden waren.

Karrieresprungbrett „Boat Race“

Weil man in den USA nur als Undergraduate, aber in England auch als Masterstudent für die Universität starten kann, wechselte Auersperg mit einem abgeschlossenen Bakkalaureat der Columbia Universität in der Tasche nach Cambridge, wo er zwei Masterstudien erfolgreich abschloss. Der akademische Erfolg, verbunden mit dem sportlichen Lebenslauf – besonders dem Sieg im „Boat Race“ – habe ihm schließlich auch die Tür zu einer erfolgreichen beruflichen Karriere geöffnet, so der mit seiner spanischen Ehefrau Maria und der acht Monate alten Tochter Olympia in London lebende und in der Unternehmens- und Strategieberatung bei McKinsey tätige Linzer.

„Speziell in England hat das ‚Boat Race‘ natürlich einen besonderen Stellenwert, und Netzwerk.“ Grund für den Stellenwert ist vor allem der Umstand, dass die Vorbereitung auf das Rennen neben den studentischen Verpflichtungen ablaufen muss. Obwohl laut Auersperg ein Viertel der Studierenden in Cambridge und Oxford fast jeden Tag rudert, ist Sport anders als etwa in den USA nur ein Privatvergnügen. Sportstipendien werden keine vergeben, und man hat – anders als in den USA – keinen Vorteil im Bewerbungsprozess.

Auf den rund 6,8 km von der Putney (rechts unten) zur Chiswick Bridge werden jährlich Ruderträume wahr

Daher sei es ein Qualitätsmerkmal, wenn man erfolgreich studiert und rudert. „Man lernt Disziplin, man weiß, was es bedeutet, sich Ziele zu stecken und hart dafür zu arbeiten. Man erlebt auch Rückschläge und muss lernen, sie aufzuarbeiten. Für mich war das Rudern – nach der Erziehung im Elternhaus und dem wichtigen Einfluss der Familie – wahrscheinlich die prägendste Erfahrung..“

Intensive Vorbereitung

Die Vorbereitung auf das Rennen ist nichts für schwache Nerven: Tagwache täglich um 5.00 Uhr, sechs Monate drei Trainings pro Tag, dazu ein Verbrauch von 8.000 Kalorien am Tag. Im Training wird nicht nur das technische Rüstzeug perfektioniert („Man trainiert ungefähr zwei bis drei Stunden für jeden einzelnen Schlag, den man im Rennen tätigt“), sondern die Crew auch auf die Besonderheiten auf der Themse vorbereitet. Nicht nur die mit rund 6,8 km im Vergleich zu normalen Ruderregatten mehr als dreimal so lange Renndistanz, sondern auch die Strömungen und Wellen auf der zusätzlich von den Gezeiten beeinflussten Londoner Lebensader werden akribisch simuliert.

Ruderrennen, Vogelperspektive
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Bis zu 400.000 Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgen jährlich das Spektakel auf der Themse

Die intensive Vorbereitung soll vor allem dafür sorgen, dass die Athletinnen und Athleten im Rennen wie eine gut geölte Maschine funktionieren und alle äußeren Einflüsse ausblenden. „Wir sind vielleicht die einzige Sportart, wo man die Gegner sieht, die man besiegt, weil wir mit dem Rücken in Fahrtrichtung sitzen. Wenn man hinten ist und nur das Abwasser vom anderen Boot sieht und das dann möglicherweise weniger wird, kann das für Nervosität sorgen“, streicht Auersperg, der ein Jahr vor dem Sieg bereits im Reserveboot von Cambridge am Ruder saß, den psychologischen Aspekt hervor.

Teil einer ruhmreichen Geschichte

Der Ansporn, sich durchzubeißen, ist die Aussicht, Teil eines Stücks Sportgeschichte zu sein. Am 10. Juni 1829 forderten Ruderer aus Cambridge erstmals ihre Kollegen von Oxford heraus, seit 1856 wird bei den Männern, seit 1927 bei den Frauen jährlich – Ausnahme beide Weltkriege und das Pandemiejahr 2020 – und dabei die meiste Zeit auf dem Championship Course stromaufwärts zwischen Putney und Chiswick Bridge gerudert. Zusammenstöße und gesunkene Boote tragen vor bis zu 400.000 Schaulustigen zum Kult ebenso bei wie das einzige Remis. 1877 lag der Schiedsrichter zwar nicht wie die Legende behauptet betrunken im Gebüsch, konnte aber aufgrund fehlender Zielmarkierungen keinen Sieger eindeutig bestimmen.

Für Auersperg macht neben der Geschichte des Rennens auch der Umstand, dass noch immer nur Amateure in den Booten sitzen, einen großen Teil der Faszination aus. „Es sind alles Menschen, die in Oxford oder Cambridge Vollzeit für einen Abschluss studieren“, streicht der einzige österreichische Sieger noch einmal heraus, dass im „Boat Race“ keine eingekauften Legionäre an den Riemen reißen. Dazu sei die Mischung der Leute nicht nur aufgrund der Internationalität interessant. Olympiasieger würden Undergraduates, „die erst am Anfang ihrer Uni- und Sportlerkarriere sind“, in einem Boot sitzen.

Auch wenn wie bei Auersperg die aktive Ruderkarriere schon lange vorbei ist, bleibt man sein Leben lang Teil der Cambridge-Ruderfamilie und ist jährlich auch zum Rennen eingeladen. „Als ich in den USA gelebt habe, bin ich fast jedes Jahr zum Rennen nach London geflogen, auch aus Österreich kam ich immer angereist. Der Großteil des Boots ist Jahr für Jahr da, wenn es ein Jubiläum gibt, dann ist das ganze Boot mit dabei“, so der Oberösterreicher. Beim traditionellen Get-together der Ehemaligen könnte Auersperg auch Promis wie Hugh Laurie über den Weg laufen. Der Schauspieler („House“) und Sohn eines Olympiasiegers im Rudern saß 1980 ebenfalls für Cambridge am Ruder. Anders als Auersperg zog Laurie allerdings mit seiner Crew den Kürzeren.