Ding Liren (CHN) lächelt nach seinem WM-Sieg
AP/Stanislav Filippov
Schach

Carlsen dämpft Freude über Chinas „Stolz“

China feiert seinen ersten Weltmeister im Schach. Nach dem Sieg von Ding Liren in Astana gegen den Russen Jan Nepomnjaschtschi sprachen chinesische Medien am Montag von einem „historischen Sieg“. Während China seinen „Stolz“ bejubelte, gratulierte Schachzampano Magnus Carlsen, der seinen Titel freiwillig nicht verteidigte, zwar seinem Nachfolger, relativierte aber dessen Erfolg gleichzeitig auch.

Im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo schlug der Erfolg große Wellen. Millionen von Chinesinnen und Chinesen verfolgten die Nachricht aus Kasachstans Hauptstadt schon in der Nacht chinesischer Ortszeit und bejubelten den Erfolg. „Wir Chinesen sind auf die höchste Schachbühne aufgestiegen“, hieß es in Kommentaren. Ding Liren wurde „als Stolz Chinas“ beschrieben.

Der bisherige Weltmeister Carlsen hatte auf die Titelverteidigung wegen Motivationsmangels verzichtet, nun gratulierte er seinem Nachfolger via Twitter für den entscheidenden Zug „zur Unsterblichkeit“. Zuvor hatte der Norweger allerdings auch gesagt: „Der Weltmeister wird nicht als Weltmeister gesehen werden. Das ist die einfache Realität.“ Die Weltrangliste führt Carlsen aber weiter an, er bleibt wohl der Fixpunkt der Schachwelt.

Ding Liren (CHN) und Magnus Carlsen (NOR) bei einem Turnier 2019
IMAGO/UPI Photo/Bill Greenblatt
Im „Head to head“ mit Neo-Weltmeister Ding Liren (l.) führt Magnus Carlsen (r.) mit 39:21-Siegen bei 58 Remis

Ding schaffte er es nur über Umwege überhaupt ins mit zwei Millionen Euro dotierte Duell um den WM-Titel. Für das WM-Kandidatenturnier war er nicht qualifiziert und rückte nur nach, als der Russe Sergej Karjakin wegen seiner Unterstützung für Russlands Krieg in der Ukraine vom Weltverband ausgeschlossen wurde. Weil er zuvor in der Coronavirus-Zeit aber nicht genug Turniere gespielt hatte, organisierte China kurzerhand welche für ihn.

Einst verboten, jetzt gefeiert

Diese Einordnung konnte die Euphorie in China nicht bremsen. Mit dem Weltmeistertitel für Ding sei „der lang gehegte Wunsch mehrerer Generationen chinesischer Schachspieler erfüllt worden“, stellte die „Hangzhou Ribao“ fest. Der 30-Jährige stehe „endlich an der Weltspitze und schreibt Geschichte für Chinas nationales Ansehen“, so die Zeitung. „Es ist ein denkwürdiger Moment.“

Das Staatsfernsehen sah einen „weiteren Meilenstein für chinesische Schachspieler“. Nachdem Schachspiel im kommunistischen China einst als „dekadent“ verpönt und während der „Kulturrevolution“ (1966-76) sogar acht Jahre lang verboten war, ist China spätestens seit den 90er Jahren stetig zur Schachnation aufgestiegen. Vor allem der Weltmeistertitel 1991 für die Spielerin Xie Jun löste einen Boom aus. Schach wurde mittels der Strategie „Großer Drache“ staatlich gefördert – überall entstanden Schachclubs.

Erste Erfolge mit fünf Jahren

Der aus Wenzhou in der ostchinesischen Provinz Zejiang stammende Ding begann selbst im Alter von vier Jahren mit dem Spiel, gefördert von seinem Vater, einm leidenschaftlichen Schachspieler. Mit fünf Jahren gewann Ding erstmals ein landesweites Turnier – mit 16 Jahren seinen ersten Titel als chinesischer Schachmeister.

Ding Liren (CHN) bei der WM 2023 gegen Jan Nepomnjaschtschi( RUS)
Reuters/Turar Kazangapov
Im WM-Finale setzte sich Ding Liren (l.) erst im Tiebreak im Schnellschach gegen Jan Nepomnjaschtschi durch

„Manchmal habe ich geglaubt, ich sei süchtig nach Schach. Ohne Turniere war ich nicht glücklich“, sagte Ding, der sich als Fußballfan beschreibt und gern Zeit in Museen verbringt. Ein Jusstudium hat er abgebrochen, alles auf Schach gesetzt. Nun ist er der 17. WM-Champion der Schachhistorie.

Die Weltmeister im klassischen Schach seit 1886

1886 bis 1894 Wilhelm Steinitz AUT/USA
1894 bis 1921 Emanuel Lasker GER
1921 bis 1927 Jose Capablanca CUB
1927 bis 1935 Alexander Aljechin RUS/FRA
1935 bis 1937 Max Euwe NED
1937 bis 1946 Alexander Aljechin RUS/FRA
1948 bis 1957 Michail Botwinnik URS
1957 bis 1958 Wassili Smyslow URS
1958 bis 1960 Michail Botwinnik URS
1960 bis 1961 Michail Tal URS
1961 bis 1963 Michail Botwinnik URS
1963 bis 1969 Tigran Petrosian URS
1969 bis 1972 Boris Spasski URS
1972 bis 1975 Robert Fischer USA
1975 bis 1985 Anatoli Karpow URS
1985 bis 2000 Garri Kasparow URS/RUS
2000 bis 2007 Wladimir Kramnik RUS
2007 bis 2013 Viswanathan Anand IND
2013 bis 2023 Magnus Carlsen NOR
seit 2023 Ding Liren CHN