Im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo schlug der Erfolg große Wellen. Millionen von Chinesinnen und Chinesen verfolgten die Nachricht aus Kasachstans Hauptstadt schon in der Nacht chinesischer Ortszeit und bejubelten den Erfolg. „Wir Chinesen sind auf die höchste Schachbühne aufgestiegen“, hieß es in Kommentaren. Ding Liren wurde „als Stolz Chinas“ beschrieben.
Der bisherige Weltmeister Carlsen hatte auf die Titelverteidigung wegen Motivationsmangels verzichtet, nun gratulierte er seinem Nachfolger via Twitter für den entscheidenden Zug „zur Unsterblichkeit“. Zuvor hatte der Norweger allerdings auch gesagt: „Der Weltmeister wird nicht als Weltmeister gesehen werden. Das ist die einfache Realität.“ Die Weltrangliste führt Carlsen aber weiter an, er bleibt wohl der Fixpunkt der Schachwelt.
Ding schaffte er es nur über Umwege überhaupt ins mit zwei Millionen Euro dotierte Duell um den WM-Titel. Für das WM-Kandidatenturnier war er nicht qualifiziert und rückte nur nach, als der Russe Sergej Karjakin wegen seiner Unterstützung für Russlands Krieg in der Ukraine vom Weltverband ausgeschlossen wurde. Weil er zuvor in der Coronavirus-Zeit aber nicht genug Turniere gespielt hatte, organisierte China kurzerhand welche für ihn.
Einst verboten, jetzt gefeiert
Diese Einordnung konnte die Euphorie in China nicht bremsen. Mit dem Weltmeistertitel für Ding sei „der lang gehegte Wunsch mehrerer Generationen chinesischer Schachspieler erfüllt worden“, stellte die „Hangzhou Ribao“ fest. Der 30-Jährige stehe „endlich an der Weltspitze und schreibt Geschichte für Chinas nationales Ansehen“, so die Zeitung. „Es ist ein denkwürdiger Moment.“
Das Staatsfernsehen sah einen „weiteren Meilenstein für chinesische Schachspieler“. Nachdem Schachspiel im kommunistischen China einst als „dekadent“ verpönt und während der „Kulturrevolution“ (1966-76) sogar acht Jahre lang verboten war, ist China spätestens seit den 90er Jahren stetig zur Schachnation aufgestiegen. Vor allem der Weltmeistertitel 1991 für die Spielerin Xie Jun löste einen Boom aus. Schach wurde mittels der Strategie „Großer Drache“ staatlich gefördert – überall entstanden Schachclubs.
Erste Erfolge mit fünf Jahren
Der aus Wenzhou in der ostchinesischen Provinz Zejiang stammende Ding begann selbst im Alter von vier Jahren mit dem Spiel, gefördert von seinem Vater, einm leidenschaftlichen Schachspieler. Mit fünf Jahren gewann Ding erstmals ein landesweites Turnier – mit 16 Jahren seinen ersten Titel als chinesischer Schachmeister.
„Manchmal habe ich geglaubt, ich sei süchtig nach Schach. Ohne Turniere war ich nicht glücklich“, sagte Ding, der sich als Fußballfan beschreibt und gern Zeit in Museen verbringt. Ein Jusstudium hat er abgebrochen, alles auf Schach gesetzt. Nun ist er der 17. WM-Champion der Schachhistorie.