Dominic Thiem mit dem Pokal nach dem Gewinn der US Open
Reuters/USA Today Sports/Danielle Parhizkaran
Tennis

Von Lichtenwörth in die Weltspitze

Dominic Thiem nimmt heuer seinen Abschied aus der Tenniswelt. Wie der 30-Jährige bekanntgab, werde er nur noch ausgewählte Events bestreiten und sein letztes Turnier ab 21. Oktober in der Wiener Stadthalle absolvieren. Damit geht eine großartige Karriere zu Ende, die den Lichtenwörther bis auf Platz drei der Weltrangliste führte. Highlight war der Triumph bei den US Open 2020, doch Thiem feierte zahlreiche weitere Erfolge.

Begonnen hat alles 1997, als der kleine Dominic in Lichtenwörth unter der fachkundigen Aufsicht seines Vaters Wolfgang im zarten Alter von nicht einmal vier Jahren erstmals ein Racket in die Hände nahm. Sein Traum: „Einer der besten Spieler der Welt zu werden!“ Nach etlichen beachtlichen Resultaten auf der ITF-Junior-Tour ab 2005 wagte sich Thiem mit 16 erstmals zu einem Nachwuchs-Grand-Slam-Turnier, das Aus im Paris-Junioren-Bewerb 2010 kam in Runde eins. Sein Trainer war damals ein gewisser Günter Bresnik, der früh erkannte, welchen Rohdiamanten er unter seine bewährten Fittiche genommen hatte.

In Wimbledon erfüllte sich für Thiem dann einen Kindheitstraum: Er durfte eine Stunde lang mit seinem großen Idol Roger Federer trainieren – eingefädelt wurde diese Aktion natürlich von Bresnik. Knapp zwei Monate später sammelte Thiem erste Punkte für die ATP-Weltrangliste, als er beim Challenger in Kitzbühel als Wildcard-Spieler ins Achtelfinale einzog.

Sieg im Generationenduell gegen Muster

Den ersten wirklichen Paukenschlag setzte Thiem im Paris-Junioren-Bewerb 2011, als er bis ins Endspiel vordrang. Belohnung dafür war eine Wildcard für das ATP-Turnier in Kitzbühel, erstmals durfte Thiem – wenngleich vorerst noch erfolglos – bei den ganz Großen mitspielen.

Thomas Muster und Dominic Thiem beim Handschlag nach dem Duell in der Stadthalle 2011
APA/Georg Hochmuth
Thomas Muster gratulierte seinem designierten Nachfolger als Österreichs Topspieler

Im Oktober folgte dann das nächste Highlight: Thiem gelang sein erster Sieg auf ATP-Level, und das ausgerechnet in der Wiener Stadthalle gegen die 44-jährige österreichische Tennislegende Thomas Muster. „Ich glaube, es hat der Richtige gewonnen“, erkannte der Steirer die Leistung seines Thronfolgers an. Ein Sieg, der mehr als symbolische Bedeutung hatte, wie kurz danach unter anderem der Triumph von Thiem bei der Orange Bowl, dem wichtigsten Nachwuchsturnier der Welt, bestätigte.

In dieser Tonart ging es weiter: 2012 gewann Thiem erstmals ein Future-Turnier, beim Challenger in Rennes drang er ins Viertelfinale vor, und in der Wiener Stadthalle kam er ins Achtelfinale. 2013 stand Thiem erstmals im Kitzbühel-Viertelfinale, zudem sicherte er sich zwei Titel auf der Challenger-Tour. Am Jahresende rangierte der nunmehr 20-Jährige auf Platz 122 im ATP-Computer.

Durchbruch im Jahr 2014

Die Top 100 knackte Thiem zum ersten Mal im Februar 2014, was ihm seine erstmalige Berufung ins österreichische Davis-Cup-Team bescherte. Beim ATP-Event in Madrid ließ Thiem ein weiteres Mal aufhorchen, als er den als Nummer drei gesetzten Schweizer Stan Wawrinka eliminierte. In Kitzbühel marschierte er gar bis ins Finale, bei den US Open zog er erstmals in ein Grand-Slam-Achtelfinale ein.

Im Mai 2015 war es dann so weit: Thiem eroberte beim Sandplatzturnier in Nizza seinen ATP-Premierentitel. Weitere Turniersiege in Umag und Gstaad folgten. Weiter ging es steil aufwärts: Anfang 2016 trumpfte Thiem in Buenos Aires auf, wobei er im Halbfinale Rafael Nadal, dem besten Sandplatzspieler der Geschichte, das Nachsehen gab und erstmals in den Top 15 aufschien. Turniersiege wurden fast schon zur Normalität: Thiem erhielt die Siegerschecks in Acapulco (Hardcourt), Nizza (Sand) und Stuttgart (Rasen) – sein universal einsetzbares Spiel fruchtete mittlerweile auf allen Belägen. Kein Wunder, dass sich Thiem erstmals auch für die ATP-Finals in London qualifizierte.

Dominic Thiem umarmt Rafael Nadal bei den French Open 2019
Reuters/Benoit Tessier
Nur Rafael Nadal konnte in Paris 2018 den ersten Grand-Slam-Triumph von Thiem verhindern

Siege gegen die ganz Großen

Der Weg von Thiem ging auch 2017 weiter steil nach oben. Halbfinal- und Finalplätze standen quasi auf der Tagesordnung, auch Superstars wie Nadal und Novak Djokovic standen auf der „Abschussliste“ des Lichtenwörthers. 2018 erreichte er die Marke von zehn ATP-Titeln, in Paris gelang ihm sein erster Grand-Slam-Finaleinzug.

2019 folgte in Indian Wells mit einem Finalsieg gegen Federer der erste Titel bei einem 1000er-Event, im April gab es allerdings einen wichtigen Umbruch im Hintergrund: Statt Bresnik übernahm nun Nicolas Massu die Betreuung von Thiem – die größte Veränderung, die es bis dato im direkten Umfeld gab. Die Trennung vom Langzeitcoach wirbelte viel Staub auf und hallte lange nach.

Das änderte aber nichts daran, dass Thiem in Paris Djokovic niederrang und erneut im Finale stand, wo er Nadal unterlag. Zudem gelang ihm das „Österreich-Double“ mit den Titelgewinnen in Kitzbühel und Wien – das war noch keinem Spieler vor ihm gelungen.

Dominic Thiem bei einem Returns gegen Roger Federer in Indian Wells
AP/Cal Sport Media/Charles Baus
Thiem gewann 2019 in Indian Wells erstmals einen Masters-1000-Titel

Dass Thiem mittlerweile Stammgast bei den ATP-Finals war, versteht sich bei diesen Resultaten von selbst, und 2019 überstand er erstmals die Gruppenphase. Nach Erfolgen über Djokovic, Federer und Titelverteidiger Alexander Zverev war erst im Finale gegen Stefanos Tsitsipas Endstation. Thiem, der in diesem Jahr fünf Turniere für sich entscheiden konnte, lag jetzt auf Platz fünf der Weltrangliste, und die Fachwelt war sich einig: Nun war Thiem endgültig bereit für den ganz großen Wurf, seinen ersten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier.

Thiem schreibt rot-weiß-rote Sportgeschichte

Beinahe hätte es schon Anfang 2020 geklappt, doch Djokovic erwies sich im Australian-Open-Endspiel in fünf Sätzen als der noch Stärkere. Als die Coronavirus-Pandemie im März die Welt sukzessive zum Stillstand brachte, schien Thiem in der Weltrangliste an der dritten Stelle auf. Erst im August ging es im Tenniszirkus weiter, und Thiem verzeichnete in Cincinnati eine verpatzte US-Open-Generalprobe mit dem Aus schon in Runde zwei.

Dominic Thiem bei seinem Spiel gegen Alexander Zverevwährend der US Open im September 2020
AP/Frank Franklin II
Auf dem Gipfel: Thiem rang in einem denkwürdigen Finale Alexander Zverev nieder und trumpfte bei den US Open 2020 auf

In New York schlug aber die große Stunde für Thiem: Der Österreicher zwang am 13. September in einem denkwürdigen Finale zu später Stunde im menschenleeren Arthur-Ashe-Stadion Zverev nach 0:2-Satzrückstand und 4:01 Stunden mit 7:6 im fünften Satz in die Knie. Das Tiebreak endete mit 8/6, nachdem Thiem bei 6/4 zwei Matchbälle noch ausgelassen hatte. „Als der Ball ins Aus flog, war es eine riesige Erleichterung“, erzählte Thiem nach dem Match, „die ganzen Emotionen und der ganze Druck sind von mir abgefallen.“ Was damals niemand ahnte: Es sollte der letzte von 17 Titelgewinnen des Mannes mit der unvergleichlichen einarmigen Rückhand bleiben.

Motivationsloch und schwere Verletzung

Nachdem der Niederösterreicher zum Saisonende 2020 bei den ATP-Finals in London unter anderen die Superstars Rafael Nadal und Novak Djokovic auf dem Weg ins Endspiel bezwungen hatte, musste er sich in einem hochklassigen Endspiel erst hauchdünn dem Russen Daniil Medwedew geschlagen geben. Thiem beendete das Jahr auf dem dritten Platz, es schien für das darauffolgende Jahr alles für einen Angriff auf die Nummer eins angerichtet.

Doch Thiem hatte 2021 nicht nur mit den Gegnern auf dem Tennisplatz, sondern auch sich selbst zu kämpfen. Das Top-Ten-Ass fiel nach dem großen Coup bei den US Open 2020 mit etwas Verzögerung in ein Motivationsloch. Konnte er in Melbourne noch in einem hochemotionalen Duell Lokalmatador Nick Kyrgios in die Schranken weisen, verbuchte er in der nächsten Runde gegen Grigor Dimitrow gerade einmal acht Games. Besonders bitter war die Erstrundenschlappe bei den French Open in Paris gegen den Spanier Pablo Andujar nach 2:0-Satzführung. Der zweifache Paris-Finalist stand gegen seinen arrivierten Gegner, den er in Normalform wohl dominiert hätte, phasenweise auf verlorenem Posten.

Dominic Thiem 2021 in Mallorca mit Verband am Handgelenk
IMAGO/ThomasReiner.pro/Thomas Reiner
Die Leidenszeit von Thiem begann mit einer schweren Verletzung an der rechten Hand beim Turnier auf Mallorca

Als Draufgabe folgte im Juni beim Rasenturnier auf Mallorca die schwerste Verletzung seiner Karriere. Der damals 27-Jährige zog sich eine Handgelenksverletzung am rechten Schlagarm zu, die ihn zu einer neunmonatigen Turnierpause zwang. Auch die Trennung von seinem langjährigen Physiotherapeuten Alex Stober verlief im September nicht friktionsfrei.

Zähes Comeback und Rückfall im Ranking

Nach 280 Tagen kehrte Thiem im März 2022 beim ATP-Challenger in Marbella mit einer Niederlage gegen den Argentinier Pedro Cachin auf die Tennistour zurück. Nach einem durchwachsenen Frühjahr fiel er Anfang Mai nach mehr als acht Jahren wieder aus den Top 100 der Weltrangliste. Abgesehen von vereinzelten Lichtblicken blieben Erfolge aus. Da auch 2023 keine Besserung in Sicht schien, erfolgte im April die Trennung vom chilenischen Langzeitcoach Massu.

Hoffnung keimte beim ehemaligen Weltklassespieler in Kitzbühel auf, wo er erstmals seit seinem US-Triumph 2020 wieder in ein Finale auf ATP-Niveau einzog. Thiem begeisterte das Publikum beim Tennisklassiker in Tirol und musste erst im Endspiel gegen den Argentinier Sebastian Baez dem kräftezehrenden Halbfinal-Marathon über 3:30 Stunden Tribut zollen. Er konnte aber den Schwung aus dem starken Heimturnier nicht in die zweite Saisonhälfte mitnehmen.

In diesem Jahr erlitt Thiem auch auf der Challenger-Tour bittere Rückschläge gegen Gegner jenseits der Nummer 200 im ATP-Computer. Bis Mai gewann der 30-Jährige lediglich ein Match in einem ATP-Hauptfeld und ist als ATP-Nummer 117 nur mehr ein Schatten seiner selbst. In Erinnerung bleiben wird Thiem aber als einer der besten Spieler, die dieses Land jemals in einer Weltsportart hervorbrachte, der die Besten der Besten auf deren Lieblingsbelägen besiegte und als erst zweiter Österreicher einen Einzeltitel bei einem Grand-Slam-Turnier eroberte.