Kinder in Allahabad
APA/AFP/Sanjay Kanojia
Hintergrund

Indien entdeckt Liebe zum Fußball

In der an Einwohnern zweitgrößten Nation der Welt fasst das runde Leder langsam Fuß. Das kricketverrückte Indien, die Heimat von 1,3 Milliarden Menschen, ist im Weltfußball nur eine kleine Nummer. Rang 97 im FIFA-Ranking unmittelbar vor den Färöern verdeutlicht, warum die Nation noch niemals bei einer WM zu sehen war. Europas Großclubs haben dennoch ein Auge auf den Subkontinent geworfen.

Indiens Super League (ISL) sorgte vor knapp fünf Jahren für Aufsehen. Pune City holte damals den französischen Welt- und Europameister David Trezeguet, weitere Altstars wie Nicolas Anelka und Roberto Carlos folgten. Der Liga half das nur bedingt auf die Sprünge. Heute ist die Zeit der hoch bezahlten Legionäre vorbei.

„Sie haben ziemlich schnell gemerkt, dass das als PR-Gag gut ist, aber es der Liga nichts bringt“, sagt Marko Stankovic. Der 32-Jährige spielt seit einem Jahr bei Pune. Schmackhaft gemacht hatte dem ehemaligen Sturm-Graz- und Austria-Profi den Wechsel der damalige City-Coach Ranko Popovic. Stankovics Resümee nach zwölf Monaten in Indien: „Von der Infrastruktur her ist es extrem professionell, da muss man sich nicht verstecken. Vor Kurzem wurde auch mit dem Aufbau von Akademien begonnen. Indien gewinnt immer mehr an Qualität.“

Europäische Topclubs haben Akademien in Indien

Am sportlichen Aufschwung wollen die europäischen Hausmarken mit Kooperationen mithelfen. So hat der FC Barcelona in Mumbai, Dehli und Bangalore inzwischen drei Nachwuchszentren eröffnet. Seit 2013 forciert Barca den Ausbau, laut eigenen Angaben wurden in Entwicklungsprogrammen bereits 25.000 Kinder und Jugendliche betreut. Auch Liverpool, Arsenal und Paris St. Germain betreiben Akademien. Das Engagement erfolgt nicht uneigennützig. „Indien ist ein strategischer Schlüsselmarkt für den FC Barcelona“, betonte der für Asien zuständige Generaldirektor Jordi Camps gegenüber Reuters.

Nachdem Chinas Regierung ein milliardenschweres Programm initiiert hatte, um bis 2050 in der Weltelite mitzumischen, folgte auch Indien mit einer eigenen Wachstumsstrategie. Diese ist zwar weit weniger ambitioniert ausgelegt, soll aber dennoch Früchte tragen. Der von Ex-FIFA-Boss Sepp Blatter schon vor über zehn Jahren als „schlafender Gigant“ bezeichnete indische Fußball soll erweckt werden.

Qualifizierte Trainer als größtes Manko

Die Vereine der Super League sind finanziell abgesichert. Absteiger gibt es im geschlossenen Ligasystem keinen, die Teams werden von Konzernen finanziert. 15.000 Zuschauer sind im Schnitt pro Spiel im Stadion. Größtes Manko im Nachwuchs: qualifizierte Trainer.

So sind auch die Coaches im Oberhaus Ausländer. Pune wird vom Engländer Philip Brown betreut. Die Konkurrenten setzen in erster Linie auf Spanier an der Seitenlinie. Stankovic ist einer von sieben Legionären im Kader, fünf davon dürfen zum Einsatz kommen. Aktuell ist Pune Tabellensiebenter, die Super League startet nach einer Winterpause wieder am 2. Februar.

Alle Legionäre haben eigenen Koch

Stankovic, der über Weihnachten bei seiner Familie in Graz weilte, trat die knapp 20-stündige Anreise in die nahe Mumbai liegende Millionenstadt (über drei Millionen Einwohner) am Dienstag an. In Pune wohnt der Steirer wie alle Legionäre im Fünfsternehotel samt eigenem Koch. Für Stankovic steht dennoch fest: „Die indische Mentalität und Kultur versuche ich trotzdem kennenzulernen.“

Leistungstechnisch würde sich Pune City in Österreich im oberen Tabellendrittel der 2. Liga einreihen, meinte der Legionär. Größter Unterschied sei das Tempo im Spiel – und die unterschiedliche Qualität der einheimischen Spieler.

Chhetri ist der „Messi von Indien“

Bei Tabellenführer Bengaluru spielt der indische Nationalstürmer und der „Messi von Indien“, Sunil Chhetri. Der 34-Jährige war zweifacher Torschütze beim 4:1 der Inder zum Auftakt des Asiencups gegen Thailand am Sonntag. Chhetri hat mit seinen Toren 66 und 67 Argentiniens Aushängeschild Lionel Messi (65 Treffer) in Sachen Nationalteamtore hinter sich gelassen. Unter den Aktiven führt Portugals Superstar Cristiano Ronaldo (85) die Liste an. „Es gibt keine Vergleiche mit Messi oder Ronaldo, aber ich fühle mich geehrt“, sagte Chhetri, der nur ein kurzes Gastspiel bei der B-Mannschaft von Sporting Lissabon in Europa vorweisen kann.

Sunil Chhetri
AP/Kamran Jebreili
Sunil Chhetri (r.) hat beim Asiencup zuletzt seine Nationalteamtore 66 und 67 für Indien erzielt

Beim Kontinentalturnier in Katar ist Indien erst zum zweiten Mal seit 1984 im Einsatz. Übergeordnetes Ziel ist laut Verbandschef Praful Patel die Teilnahme an der WM 2026. Dann dürfen acht Länder aus Asien an der Endrunde teilnehmen.

Größter Hemmschuh für die Fußballbegeisterung der Inder bleibt die Liebe zum Nationalsport. Ende März startet die nationale Kricket-Liga. Dann ruht der Fußball nicht ohne Grund. „Kricket ist in Indien immer noch das Nonplusultra. Unsere Saison hört dann auf, denn wenn Kricket anfängt, überträgt keiner mehr Fußball“, berichtet Stankovic. Im April wartet noch der indische Cup, dann geht es für den Mittelfeldspieler wieder heim nach Österreich. Ob Stankovic danach noch einmal Richtung Pune aufbricht, ist offen.