Am 10. Februar 1903 im mährischen Dorf Kozlov (Koslau) bei Jihlava (Iglau) als Matej Sindelar geboren, übersiedelte er später nach Wien und lebte wie Zehntausende andere zugewanderte Tschechen im Arbeiterbezirk Favoriten. Dort begann Sindelar beim ASV Hertha seine Karriere.
1924 wechselte er zu den „Amateuren“ (Wiener Amateur-Sportverein), die zwei Jahre später in Austria umbenannt wurden. Mit dem Verein gewann er unter anderem zweimal den Mitropapokal, eine Art Vorläufer des Europacups. Ihrer Legende gedenkt die Austria am Mittwoch mit einer Kranzniederlegung beim Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof.
43-mal trug Sindelar das Nationaldress, dabei erzielte er 27 Tore. Die „Wunderteam“-Ära währte von 1931 bis 1933, in denen das Team von 15 Länderspielen zwölf gewann und nur ein einziges Mal verlor: am 7. Dezember 1932 mit 3:4 an der Stamford Bridge gegen England.
Tod unter mysteriösen Umständen
Sindelar starb 35-jährig unter mysteriösen Umständen. Am 23. Jänner 1939 fand man seine Leiche, Sindelar überlebte den „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland also nicht einmal um ein Jahr. Ein jüdischer Schriftsteller im Exil war es, der ihn als Gegenspieler der Nationalsozialisten verankerte und so einen Mythos schuf.
Friedrich Torberg insinuierte in seiner Ballade „Auf den Tod eines Fußballspielers“, dass sich Sindelar und seine Freundin Camilla Castagnola wegen des NS-Regimes selbst das Leben nahmen: „Es jubelte die Hohe Warte, der Prater und das Stadion (…), bis eines Tags ein andrer Gegner ihm jählings in die Quere trat, ein fremd und furchtbar überlegner, vor dem’s nicht Regel gab noch Rat. (…) Sein Überblick ließ ihn erspüren, dass seine Chance im Gashahn lag.“
Spekulationen und Legendenbildung
Obwohl der Fall bis heute nicht geklärt ist, dürfte es sich jedoch um die Folgen eines Unfalls gehandelt haben. Im Polizeibericht war von einer „Kohlenoxidvergiftung infolge eines schadhaften Ofens“ die Rede. Allerdings ereiferten sich die Zeitungen in Spekulationen. In der Bevölkerung wurde über kriminelle und politische Gründe gemunkelt.
Tatsächlich galt Sindelar lange Jahre als Gegner der Nationalsozialisten. Das „Versöhnungsspiel“ zwischen der „Ostmark“ und einer reichsdeutschen Auswahl am 3. April 1938 war der Legendenbildung förderlich. Angeblich war ein Unentschieden vorgesehen gewesen. Sindelar soll erstklassige Torchancen absichtlich vergeben haben, ehe er doch noch einen Treffer zum 2:0-Sieg der „Österreicher“ beisteuerte und diesen den Überlieferungen zufolge überschwänglich feierte. Später habe er darauf verzichtet, für das Deutsche Reich Länderspiele zu bestreiten, hieß es.
Kratzer bekam dieses Image erst zu Sindelars 100. Geburtstag im Jahr 2003. Da veröffentlichte die jüdische Zeitschrift „NU“ einen Bericht, wonach Sindelar 1938 als „Profiteur“ ein arisiertes Cafe in Favoriten übernommen hatte. Der Vorbesitzer, der 1943 im KZ Theresienstadt gestorbene Leopold Drill, war zum Verkauf gezwungen worden. Sindelar zahlte für die Übernahme 20.000 Reichsmark. Das waren mehr als der von den Nazis festgesetzte Preis von 15.000, aber weniger als der Schätzwert.
Lage für Historiker Forster klar
Der Historiker David Forster sieht im Fußballmagazin „ballesterer“ (Ausgabe Jänner/Februar) die Lage klar. „Es reicht, die Fakten sprechen zu lassen: Sindelar war der ‚Ariseur‘, und es war kein angemessener Kaufpreis“, betont Forster, der seit 15 Jahren dem Fall Sindelar nachgeht. Tatsächlich, so seine Einschätzung, habe Sindelar stets die Zeichen der Zeit zu seinen Gunsten genutzt.
„Er war Opportunist wie viele andere Kicker auch. (…) Er spielt bei einem Club mit jüdischen Funktionären, hat unter seinen Mannschaftskameraden auch illegale Nazis, und er kann mit allen.“ So rief Sindelar wie alle prominenten Profis auch dazu auf, bei der Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs mit Ja zu stimmen.
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Die Austria betrieb im Gedenkjahr 2018 wissenschaftliche Aufarbeitung. Anlässlich der Präsentation des Buchs „Ein Fußballverein aus Wien – Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945“ meinte Mitautor Bernhard Hachleitner, dass es für die angebliche Weigerung von Sindelar, für die reichsdeutsche Mannschaft zu spielen, keine Belege gebe. Die Spieler hätten – wie Sindelar – teilweise von Arisierungen profitiert oder Posten zugeschanzt bekommen.
„Diese Versorgung der Austria-Spieler ist nicht anders abgelaufen als bei anderen Wiener Fußballvereinen“, erklärte Hachleitner. Der Mythos Sindelar lebt dennoch auch acht Jahrzehnte nach seinem Tod weiter.