Teamchef Phil Neville trug vor dem Schlager in Lyon das im Turnier gewonnene Selbstvertrauen offen vor sich her. Der ehemalige Verteidiger von Manchester United schlug in Richtung USA forsche Töne an. „Ich will kein Spiel, in dem sich beide Teams neutralisieren. Wir werden es mit beiden Händen, beiden Füßen und dem ganzen Körper anpacken“, sagte der 42-Jährige.
Vor vier Jahren in Kanada erreichten die „Three Lionesses“ zum ersten Mal die Runde der besten vier, unterlagen jedoch dem späteren Vizeweltmeister Japan mit 1:2 und beendeten nach dem 1:0-Sieg gegen Deutschland die WM mit Bronze. Nun soll es noch eine Runde weitergehen. Das Interesse am Turnier ist groß. Den 3:0-Sieg im Viertelfinale gegen Norwegen verfolgten in England 7,6 Millionen Fans vor dem Fernseher. Gegen die USA soll die Zehn-Millionen-Marke geknackt werden.
Englands Fußballerinnen erfreuen sich in jüngerer Vergangenheit in der Heimat immer größerer Beliebtheit. Auch wenn ein Titel bei Europa- und Weltmeisterschaften oder Olympia bisher ausblieb. Nun scheint die Zeit nach einigen vergeblichen Anläufen reif. Ein Finaleinzug oder gar der Titel 2019 würde die Euphorie auf der Insel noch weiter anheizen. Was auch die Verantwortlichen der Europäischen Fußballunion UEFA freuen dürfte, schließlich ist England in zwei Jahren zum zweiten Mal nach 2005 EM-Gastgeber.
England hat „nichts zu verlieren“
Trotz markiger Sprüche bemüht sich Teamchef Neville jedoch, den Druck für sein Team zu minimieren. Bisher gelang das nach Wunsch. Die Engländerinnen gewannen in Frankreich all ihre fünf Partien und kassierten – im ersten Spiel gegen die Lokalrivalinnen aus Schottland – nur ein Gegentor. Im Achtelfinale besiegten sie Kamerun mit 3:0 ebenso deutlich wie die hoch eingeschätzten Norwegerinnen. Seit 371 Minuten ist Nevilles Team nun schon ohne Gegentor.
„Wir haben den Spielerinnen gesagt, dass es nichts zu verlieren gibt. Ich will, dass sie frei im Kopf sind und mit einem Lächeln auf ihren Gesichtern ins Spiel gehen. Sie sollen rausgehen und Spaß haben“, betonte Neville. Steph Houghton, die 31-jährige Kapitänin und Abwehrchefin, ist in England ein Star und verpasste bisher keine Minute. „Wir haben gezeigt, dass wir mit jedem Team mithalten können“, betonte Houghton. Gegen Rekordweltmeister USA werde es besonders auf die physische Stärke ankommen. „Damit können wir gewinnen und haben in den letzten vier, fünf Wochen so trainiert.“
Da auch die Amerikanerinnen eher von ihrer Dynamik und Kraft leben, dürfte es im ausverkauften Stadion von Lyon vor fast 60.000 Fans ordentlich zur Sache gehen. Ein Kampf auf Biegen und Brechen wird erwartet, und die US-Spielerinnen um die fünffache Turniertorschützin Megan Rapinoe sowie Starstürmerin Alex Morgan werden wieder versuchen, den Gegner in der Anfangsviertelstunde zu überfallen. Bisher gelang dem Team von Jill Ellis in jeder WM-Partie ein Tor in den ersten zwölf Minuten.
Gegenseitiger Respekt
Das wiederum beunruhigt Neville nicht: „Wir haben das schnellste Tor des Turniers geschossen, aber es ist wahr, in den ersten 15 Minuten musst du bereit sein. Sie kommen sehr schnell ins Spiel, aber genau das machen wir auch“, sagte Neville. Respekt zeigt Neville vor allem vor Rapinoe. So dürfte der mutmaßlich weltbesten Rechtsverteidigerin Lucy Bronze im Duell mit der fast 34-Jährigen eine Schlüsselrolle zukommen.
„Megan ist jemand, den ich sehr bewundere. Ich mag ihre Persönlichkeit, und sie ist eine Weltklassefußballerin. Doch letztlich will jeder den Titelverteidiger schlagen“, zog der englische Teamchef vor der Spielerin, die bisher alle US-Tore in der K.-o.-Runde erzielt hat, seinen Hut. Rapinoe gab sich gelassen und lobte ihrerseits die Gegnerinnen: „Jedes Team bei der WM sollte den Anspruch haben zu gewinnen. Ganz besonders eines der besten Teams des Turniers. England spielt sehr gut und war bisher sehr dominant.“