Baltimore Ravens Quarterback, Lamar Jackson
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Football

Jungstar Jackson erobert NFL im Sturm

Die National Football League (NFL) nähert sich ihrer heißen Phase. So wie der Kampf um die Play-off-Plätze spitzt sich auch das Rennen um den Titel des wertvollsten Spielers zu. In den vergangenen Wochen schob sich der Quarterback der Baltimore Ravens, Lamar Jackson, ins Rampenlicht. Der 22-jährige Überflieger hat jedoch nicht persönliche Auszeichnungen im Visier.

Vergangene Saison verzückte Patrick Mahomes in Kansas City mit seiner spektakulären Spielweise – Stichwort „No Look“-Pässe – und Touchdowns am laufenden Band die Football-Welt. Heuer zieht der Spielmacher aus Baltimore Fans aller Lager in seinen Bann und lässt die Ravens heuer mit gutem Recht vom dritten Titel nach 2000 und 2012 träumen. Mit neun Siegen und nur zwei Niederlagen sind die Ravens erster Herausforderer von Titelverteidiger New England. Und nicht nur das: Als bisher einziges Team konnten die Ravens die Patriots in dieser Saison besiegen.

Am Montag spielte sich Jackson zum Abschluss des zwölften Spieltages auch endgültig in den Favoritenkreis auf die Auszeichnung zum „Most Valuable Player“, kurz MVP. Jackson und seine „Raben“ führten mit den Los Angeles Rams niemand Geringeren als den Vorjahresfinalisten mit 45:6 vor. Für die Rams war es die schlimmste Niederlage im heimischen Coliseum aller Zeiten.

Jackson warf beim siebenten Baltimore-Sieg in Folge fünf Touchdown-Pässe und war auch im Laufspiel mit 95 Yards Raumgewinn nicht zu halten. „Er hat uns das Gesicht runtergerissen“, sagte der fassungslose Rams-Verteidiger Eric Weddle, der die vergangenen drei Saisonen noch in Baltimore gespielt hatte. Nicht nur die mitgereisten Baltimore-Fans stimmten „MVP, MVP“-Rufe an, auch die Anhänger der Rams stimmten in den Singsang ein.

College-Star mit vermeintlichem Makel

Der neue Stern am NFL-Himmel blitzte bereits im Vorjahr auf, als Jackson in seinem ersten Jahr den verletzten Joe Flacco im Saisonfinish als Spielmacher ersetzte und die Ravens mit spektakulären Vorstellungen ins Play-off führte. Dort war zwar in der ersten Runde gegen die Los Angeles Chargers etwas überraschend Schluss, doch Jackson hatte seine Kritiker überzeugt. Denn obwohl der Absolvent der Universität von Louisville mit der Heisman-Trophäe für den besten College-Spieler ausgezeichnet worden war, sahen viele Experten Jackson nicht geeignet für einen Stammplatz als NFL-Quarterback.

Lamar Jackson und Dante Fowler
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Jackson (r.) ist nicht nur im Laufspiel, sondern auch mit seinem Arm kaum zu stoppen

Wie bei vielen afroamerikanischen Spielmachern, die am College mit ihrer Laufstärke für Furore sorgen, wurde Jacksons Fähigkeit als Passer infrage gestellt. Der Louisville-Star, der als erster Spieler seiner Universität überhaupt die Heisman Trophy holte, musste im Draft 2018 daher auch lange warten, bis ein Team zuschlug. Baltimore erkannte das Potenzial und sicherte sich per Tauschgeschäft die Rechte an Jackson. Es wurde als 32. und letzter der ersten Runde ausgewählt.

Bescheiden, aber selbstbewusst

Das vermeintliche Risiko, auf einen zwar mobilen, aber wurftechnisch nicht ausgereiften Quarterback zu setzen, zahlte sich bisher voll aus. Denn die Ravens versuchten Jackson nicht in ein System zu pressen, sondern passten das System an Jacksons Stärken an. Mit Greg Roman wurde ein Offensive Coordinator geholt, der einst Colin Kaepernick – ein ähnlicher Spielertyp wie Jackson – zum NFL-Star formte. Im ersten Saisonspiel gegen die Miami Dolphins zündete die neue Ravens-Offensive bereits ein Feuerwerk. In den jüngsten drei Spielen brachten Jackson und Co. kombinierte 135 Punkte, sprich durchschnittlich 45 Zähler, aufs Scoreboard.

Trotz seiner – für Quarterback-Verhältnisse – Jugend hat sich Jackson als Führungsspieler etabliert. „Du erkennst Führungsqualitäten, wenn du sie siehst“, sagte Head-Coach John Harbaugh über seinen neuen Star, „dazu ist er einer der bescheidensten, aber auch gleichzeitig selbstbewusstesten Menschen, die ich je getroffen habe.“ Auch von seinen Teamkollegen erntet der Spielmacher nur Lob. „Das bedeutet mir viel“, sagte Jackson, „Man möchte schließlich nicht in einem Raum sein, wo dich alle hassen. Es fühlt sich wie Familie an, wir ziehen schließlich gemeinsam in den Krieg.“

Jacksons Selbstbewusstsein schlägt sich auf den „Schlachtfeldern“ der NFL auch in Zahlen nieder. Bereits zweimal in dieser Saison schaffte er ein perfektes Quarterback-Rating von 158,3. Zum Vergleich: Aaron Rodgers, Superstar der Green Bay Packers, gelang dieses Kunststück in zwölf Saisonen als Starter bisher nur einmal. Jackson ist auch der erste Spieler der Geschichte, der in seinen ersten beiden Saisonen bei mehr als 3.000 Yards Raumgewinn im Pass- und mehr als 1.500 Yards Raumgewinn im Laufspiel hält.

Nur die Super Bowl zählt

Im selben Maß wie die Statistiken steigt auch die Anzahl der Spitznamen. Von „Lamarvelous“, „Freaky Air“ bis „Action Jackson“ spannt sich der kreative Bogen bei Fans und Berichterstattern. Dem neuen Superstar bleibt das Tamtam zwar nicht verborgen, Fragen nach seinem Platz im Rennen um die Nachfolge von Mahomes als MVP und die Führung im Fanvoting für die Probowl, das alljährliche Allstar-Spiel, wehrte Jackson jedoch ab. „Ich kümmere mich nicht darum, wenn es so sein sollte, schön, aber ich spiele, um eine Super Bowl zu gewinnen. Das ist mein großes Ziel“, sagte Jackson.

Es schon in diesem Jahr in die Super Bowl zu schaffen hat für Jackson einen besonderen Reiz. Die 54. Ausgabe der Super Bowl findet am 2. Februar kommenden Jahres in Miami statt und wäre für den 22-Jährigen ein Heimspiel. Jackson wuchs nur rund 40 Minuten nördlich der Metropole in Pompano Beach auf. Die Chancen für das „Finale dahoam“ stehen nicht schlecht, wenn man Statistiken als gute Omen heranzieht: Sieben Siege in Folge gelangen Baltimore zuletzt in der Saison 2000. Mit einer 9:2-Bilanz standen die Ravens zuletzt 2012 da. Beide Male stieg in Baltimore die Titelparty.