Martin Hinteregger
Reuters/Ralph Orlowski
Europa League

Wie Hinteregger von der Norm abweicht

Der gewöhnliche Fußballprofi kommt mit großen Kopfhörern zu den Spielen, ist mehrfach tätowiert, sichtbar gut frisiert und in Sozialen Netzwerken präsent. Martin Hinteregger weicht nicht nur in dieser Hinsicht von der Norm ab. Der 27-jährige Kärntner wäre eigener Aussage zufolge lieber in den 1980ern Profi gewesen, ist aber 2020 Leistungsträger und Publikumsliebling bei Eintracht Frankfurt. Kurioserweise halfen ihm dabei auch disziplinäre Verfehlungen.

Wenn sein ehemaliger Club FC Salzburg am Donnerstag (18.55 Uhr) im Hinspiel des Sechzehntelfinales der Europa League in Frankurt gastiert, wird Hinteregger auf der Tribüne sitzen. Das ist zwar auch einem disziplinären Grund geschuldet, doch dieser ist simpler als in jüngerer Vergangenheit: Nach drei erhaltenen Gelben Karten ist er gesperrt. Zu langes Ausgehen oder Aussagen in Interviews haben ihm schon ganz andere Probleme bereitet, seinem Ansehen aber nie geschadet.

Hinteregger ist Zeit seiner Karriere beliebt, weil der Innenverteidiger nicht zuletzt mit seinen Leistungen regelmäßig besticht und sich auch gleichzeitig von der Masse an Fußballprofis abhebt. „Er ist kein Spieler von der Stange“, sagte sein früherer Sportchef Christoph Freund im Gespräch mit ORF.at. Selbst nahm er gegenüber dem Fußballmagazin „Ballesterer“ die Bezeichnung „Kultkicker“ gerne an: Solch einer „ist ja nicht nur am Platz beliebt, sondern unternimmt auch außerhalb Sachen, die nicht ‚fußballerlike‘ sind. So sehen mich viele.“

Martin Hinteregger mit Fans
GEPA/D. Götzhaber
Hinteregger gehört trotz disziplinärer Verfehlungen zu den beliebtesten Fußballern in Österreich

Der ÖFB-Teamspieler liebt den Fußball, kann sich aber auch sehr gut abseits davon für nicht „fußballerlike“ Dinge begeistern. Aufgrund der TV-Serie „Bergdoktor“ will er Hubschrauberpilot werden, was er nach der sportlichen Karriere als Berufsziel anstrebt. Die Ziehharmonika erlernt er per Videostudium auf der „Quetschn Academy“. Die Jagd gehört zu seinen liebsten Hobbies. Und mit 19 Jahren baute er ein Haus, um nach seiner Karriere wieder in seine Heimat zu ziehen. „Ich war schon immer ein Einzelkämpfer“, sagte Hinteregger, der gerne wenig und leise spricht, sich aber nie ein Blatt vor den Mund nimmt.

Von Sirnitz aus in die große Fußballwelt

Alles begann in Sirnitz. Dort, 45 Autominuten von Klagenfurt entfernt im Kärntner Bezirk Feldkirchen, wuchs Hinteregger auf und lernte unter der Obhut seines Vaters Franz auch das Fußballspielen. Bald verließ der heimatverbundene Jugendliche aber seine Heimat, denn der erst kurz davor von Red Bull übernommene Club aus Salzburg war auf den blonden Linksfuß aufmerksam geworden, als dieser für das Klagenfurter Leistungsausbildungszentrum (LAZ) aufgespielt hatte.

Mit 13 Jahren zog Hinteregger nach Salzburg, trotzte dem Heimweh und durchlief vom Ehrgeiz gepackt die Nachwuchsschiene des Clubs, ehe er im Alter von 17 Jahren sein Profidebüt für das Amateurteam in der zweiten Liga gab. Seine Qualität sowie Verletzungspech anderer Spieler sorgten dafür, dass ihn der damalige Salzburg-Trainer Huub Stevens zu den Profis hochzog. An das 0:2 gegen Kapfenberg in der Bundesliga denkt Hinteregger wohl weniger gerne zurück als an das 1:1 gegen Juventus Turin fünf Tage später in der Europa League. Fortan etablierte er sich in Salzburg zu einer Größe samt Geniestreichen (siehe Video) und feierte letztlich fünf Meistertitel und vier Cupsiege.

Doch bereits in der frühen Phase seiner Karriere sorgte Hinteregger auch abseits des Platzes für Schlagzeilen. 2012 suspendierte ihn Trainer Ricardo Moniz, nachdem er sich nach einer Heimniederlage ins Nachtleben gestürzt haben soll. 2015 übernachtete er aus demselben Grund im Taxhamer Trainingszentrum. Auch verbal sorgte Hinteregger für Schlagzeilen. Nach dem wiederholten Aus gegen Malmö FF in der Champions-League-Qualifikation sprach er von „Kindergartenfußball“, den damaligen Wolfsberg-Trainer Dietmar Kühbauer bezeichnete er nach einem Scharmützel „als gleichen Koffer, wie er als Spieler war“.

Schlagzeilen auf und abseits des Platzes

Aufgrund solcher wie auch anderer Aussagen („Red Bull fließt in mir“) war ihm die Sympathie der Salzburger Anhänger zumeist gewiss. Auch als er sich nicht zu einem möglichen Wechsel zum Schwesterclub RB Leipzig entschloss, sondern zunächst bei Borussia Mönchengladbach leihweise anheuerte und schließlich beim FC Augsburg unterschrieb. Es folgte eine Abrechnung der Marke Hinteregger: „Die Art und Weise, wie Salzburg von Leipzig kaputtgemacht wird, finde ich schade. Es sind zwei verschiedene Vereine, aber alles wird aus Salzburg wegdirigiert“, sagte Hinteregger im September 2016 und prangerte damit die zahlreichen Wechsel Salzburger Spieler in Richtung Leipzig an.

Hinteregger, zu diesem Zeitpunkt schon längst etablierter Spieler der österreichischen Nationalmannschaft, spielte sich auch schnell in die Herzen der Augsburger Fans, doch er sorgte auch im vergangenen Jahr wieder für Schlagzeilen abseits des Platzes. „Ich kann über ihn nichts Positives sagen, werde aber auch nichts Negatives sagen“, meinte Hinteregger über seinen damaligen Trainer Manuel Baum, als sich Augsburg mitten im Abstiegskampf befand. Der Anfang vom Ende für den Abwehrspieler bei den Schwaben – letztlich ein Segen für Hinteregger, der nach seinem Wechsel von einer Befreiung sprach.

Rasanter Aufstieg in Frankfurt

Sein ehemaliger Salzburg-Trainer Adi Hütter lotste ihn nach Frankfurt, wo er zunächst einen Leihvertrag unterschrieb. Es folgten ein halbes Jahr Fußball im oberen Bundesliga-Drittel sowie der Einzug in das Halbfinale der Europa League, wo er zu einem der tragischen Helden avancierte, als ihm im Elferschießen neben Goncalo Paciencia die Nerven versagten. Die Fans nahmen es ihm nicht übel, trösteten den ÖFB-Legionär am Zaun, ein mittlerweile schon ikonisches Bild.

Denn schon längst hatte sich Hinteregger auch bei den Frankfurt-Fans beliebt gemacht. In Anlehnung an „In the Army now“ von Status Quo riefen die Mitglieder des Videopodcasts „Fußball 2000“ das Lied „Hinti Army now“ ins Leben. In einer Frühjahrssaison spielte sich Hinteregger wiederum in die Herzen jener Fans, die zu den stimmmungsvollsten in Deutschland gehören. Und eigentlich hieß es im Sommer 2019 für Hinteregger wieder Abschied nehmen, denn Augsburg plante mit neuem Trainer auch wieder mit Hinteregger.

Frankfurt wollte den heute 45-fachen Internationalen verpflichten, doch die Vereine konnten sich nicht einigen. Wiederum half eine Verfehlung des Kärntners mit, dass sich dann doch alles zu seinen Gunsten wendete. Ein auf Video festgehaltener feuchtfröhlicher Ausflug im Trainingslager sorgte letztlich dafür, dass Hinteregger in Frankfurt einen Vertrag bis 2024 unterschrieb. „Wir brauchen nicht drumherumreden. Das hat uns geholfen, obwohl ich kein Fan dieses Videos bin“, betonte Frankfurts Sportchef Fredi Bobic.

Wiedergutmachung nach Fehlverhalten im ÖFB-Team

Hinteregger ist in Hessen nicht nur Publikumsliebling, sondern auch unangefochtener Leistungsträger, der nicht nur Zweikämpfe gewinnt und gut steht, sondern auch den gepflegten Spielaufbau betreibt und gerne Tore schießt, wie bereits sieben Volltreffer in dieser Saison beweisen. Auch im ÖFB-Teamdress traf er schon viermal, zudem sehenswert: Seine Direktabnahme nach einer Ecke sorgte für den Ausgleich beim Prestigesieg gegen Deutschland (2:1), in der EM-Qualifikation traf er gegen Israel (3:1) im Stile eines Stürmers zum 2:1.

Das ließ auch seine jüngste Eskapade vergessen, als er im September zwischen zwei Länderspielen seinen 27. Geburtstag zu lange gefeiert hatte und daher für das Spiel in Polen nicht berücksichtigt worden war. Er habe in der Folge schlaflose Nächte gehabt und überlegte sogar seine Karriere zurück nach Sirnitz zu verlegen, wie er dem „Ballesterer“ erzählte. Für seine Eltern seien Schlagzeilen wie „Hinteregger verfeiert seine Karriere“ nicht schön, „mich macht das fertig. Als ob es in Österreich keine größeren Probleme gäbe, als wenn einer an seinem Geburtstag feiern geht.“

Am Ende haben aber noch immer die Leistungen auf dem Platz überwogen, sein ehemaliger Sportchef Freund nennt seine Karriere „beeindruckend“ und bringt sie wie folgt auf den Punkt: „Er ist einer der besten Innenverteidiger der Bundesliga. Er hat auch immer wieder Themen, aber ich denke, es ist für den Fußball auch gut, dass es solche Spieler gibt, über die diskutiert wird. Entscheidend ist aber das, was am Platz passiert, und da ist er richtig gut.“