Rennautos auf der Le- Mans-Strecke
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Motorsport

Le Mans – 24 Stunden reiner Nervenkitzel

Zum erst dritten Mal in der Geschichte werden die legendären „24 Stunden von Le Mans“ heuer nicht im Juni stattfinden. Auch wenn das Rennen, das am Dienstag vor genau 97 Jahren erstmals stattgefunden hat, wegen der Coronavirus-Krise in den Herbst verschoben wurde, ist der Mythos ungebrochen. „Le Mans gewinnt man nicht, Le Mans lässt einen gewinnen“, sagte der zweifache Sieger Alexander Wurz schon 2011.

Abgesehen von 1936, als das Rennen wegen eines Generalstreiks ins Wasser fiel, und der kriegsbedingten Pause zwischen 1940 und 1949 pilgerten traditionell im Juni Zigtausende Motorsportfans in die knapp 145.000 Einwohner zählende Stadt im Nordwesten Frankreichs. Erst dreimal fand das Rennen nicht zu Sommerbeginn statt: Die erste Auflage ging 1923 am letzten Mai-Wochenende von 26. bis 27. Mai über die Bühne. 1956 wurde der Start wegen Umbauarbeiten auf Ende Juli verschoben. Und die 50. Auflage 1968 wurde aufgrund landesweiter Streiks in den September verschoben.

Auch heuer wird die traditionelle Motorsportveranstaltung, die neben dem Formel-1-Grand-Prix von Monaco und dem Höhepunkt der IndyCar-Serie, dem Indy 500 in Indianapolis, zur „Triple Crown“ des Motorsports zählt, in den Herbst verschoben. Statt wie ursprünglich geplant am 13. und 14. Juni soll die 88. Auflage nun am 19. und 20. September stattfinden. Grund für die Verschiebung sind die Richtlinien der französischen Regierung wegen der Gefahren im Zusammenhang mit dem Coronavirus.

85 Prozent Vollgasanteil

Ob auch im Herbst bis zu 300.000 Fans entlang des legendären „Circuit des 24 Heures“ stehen werden, ist noch offen, Nervenkitzel ist bei einem der härtesten Motorsportrennen der Welt allerdings garantiert. 24 Stunden lang müssen die dreiköpfigen Fahrerteams ihre Runden auf dem 13,5 km langen Rundkurs, der zum größten Teil auf abgesperrten Landstraßen und nur zum Teil über eine echte Rennstrecke verläuft, drehen. Die Hochgeschwindigkeitsstrecke hat einen Vollgasanteil von über 85 Prozent und gilt nicht nur deshalb als extreme Herausforderung für Mensch und Maschine.

Davy Jones, Manuel Reuter und Alexander Wurz, 1996
AP/Michel Lipchitz
Wurz (re.) trug sich zweimal in die Siegerliste ein, 1996 wurde er mit mit 22 Jahren der bisher jüngste Sieger

Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt rund 250 km/h. Auf der berühmt-berüchtigten sechs Kilometer langen Geraden „Ligne Droite des Hunaudieres“ wurden in den späten 1980er Jahren sogar Höchstgeschwindigkeiten von über 400 km/h erreicht, ehe die Tempojagd durch den Einbau von zwei Schikanen Anfang der 1990er Jahre aus Sicherheitsgründen eingebremst wurde. Auslöser dafür war unter anderem der tödliche Unfall des Österreichers Jo Gartner, der 1986 um 3.00 Uhr in der Nacht mit seinem Porsche 962 wahrscheinlich aufgrund einer gebrochenen Hinterradaufhängung mit über 300 km/h in die Leitplanke krachte.

Vier Klassen gleichzeitig unterwegs

Neben dem hohen Tempo und der ständigen Gefahr eines technischen Gebrechens stellt die Fahrer auch der Leistungsunterschied der verschiedenen Fahrzeugkategorien vor eine große Herausforderung. Von der LMP1, der „Königsklasse“ mit einer berechneten Systemleistung von über 1.000 PS, bis zur schwächsten LM GTE-Am mit rund 500 PS, die zudem von mindestens zwei Amateuren pilotiert werden muss, sind vier verschiedene Klassen gleichzeitig unterwegs.

Vor allem nachts und bei Regenwetter kommt es immer wieder zu brenzligen Situationen, wenn die Toppiloten mit 350 km/h auf einen „nur“ 280 km/h schnellen Boliden auffahren. Ein unkalkulierbares Risiko ist auch der plötzliche Verlust der Bodenhaftung. Unvergessen bleibt etwa der Abflug des Australiers Mark Webber, der 1999 mit seinem Mercedes im Warm-up wegen eines Aerodynamikfehlers bei 300 km/h spektakulär abhob, dabei wie durch ein Wunder aber unverletzt blieb.

Graham Hill und Henri Pescarolo, 1972
APA/AFP
Graham Hill (li.) trimphierte als bisher einziger Fahrer in Le Mans, Indianapolis und Monte Carlo

Webber ist nur einer der vielen ehemaligen Formel-1-Piloten, die sich in der Abenteuer „Le Mans“ stürzten. Insgesamt 15 Weltmeister waren bereits am Start, fünf davon konnten das Rennen auch gewinnen: Neben dem Österreicher Jochen Rindt (1965), dem US-Amerikaner Phil Hill (1958, 1961, 1962), dem Spanier Fernando Alonso (2018, 2019) sowie dem Briten Mike Hawthorn (1955) auch dessen Landsmann Graham Hill, der als bisher einziger Motorsportler die „Triple Crown“ des Motorsports errang.

Jacky Ickx läutet Ende von Le-Mans-Start ein

Der erfolgreichste Fahrer ist der Däne Tom Kristensen, der neunmal gewann. Dahinter folgt der Belgier Jacky Ickx, der 1969 bei seinem ersten von insgesamt sechs Siegen das Ende des 1925 eingeführten Le-Mans-Starts einläutete. Bis dahin liefen die Fahrer zu ihren Autos, nach Einführung des Sicherheitsgurts stand das jedoch in der Kritik, weil sich viele erst später anschnallten, John Woolfe verunglückte in jenem Rennen in der ersten Runde deshalb tödlich. Ickx ließ sich beim Start demonstrativ viel Zeit, gewann das Rennen aber trotzdem. Der klassische Le-Mans-Start ist seit damals aber Geschichte.

Fahrer beim Start, 1954
AP
1969 liefen die Fahrer beim klassischen Le-Mans-Start letztmals zu ihren Autos

Die Gefahr und der Tod fuhren bei den „24 Heures du Mans“ aber trotz aller Sicherheitsvorkehrungen immer mit. Insgesamt 22 Fahrern kostete das Motorsport-Spektakel bislang das Leben, der Hälfte davon wurde die kerzengerade „Ligne Droite des Hunaudieres“ zum Verhängnis. Zuletzt verunglückte 2013 der dänische GT-Fahrer Allan Simonsen während des Rennens. Es war der erste tödliche Unfall in Le Mans seit 1997 und der erste während des Rennens seit Jo Gartner 1986.

Die Schreckensbilder von 1955

Le Mans ist auch für das bisher größte Unglück in der Motorsportgeschichte verantwortlich. 84 Menschen starben am 11. Juni 1955 bei einem verhängnisvollen Überholmanöver des Briten Mike Hawthorn, der sich mit dem Argentinier Juan Manuel Fangio ein erbittertes Duell um die Führung lieferte. Hawthorn überrundete in seinem Jaguar als Führender unmittelbar vor einem Boxenstopp Lance Macklin im Austin Healey, schnitt seinem Landsmann dabei aber den Weg ab, sodass dieser nach links ausweichen musste.

Von hinten rauschte in diesem Moment der ebenfalls bereits überrundete Franzose Pierre Levegh in seinem Mercedes heran. Der Teamkollege von Fangio krachte ins Heck von Macklins, hob ab und prallte auf den niedrigen Erdwall, der der einzige Schutz für die Zuschauer war. Wrackteile flogen in die Menge, der Tank explodierte. Die Haupttribüne des 24-Stunden-Rennens von Le Mans bot ein Bild des Schreckens.

Unfall bei Le Mans 1955
AP/Jimmy Prickett
Ein folgenschweres Fahrmanöver kostete 1955 insgesamt 84 Menschen das Leben.

Das Rennen wurde dennoch fortgesetzt, Mercedes zog sich in Führung liegend erst nach stundenlangen Diskussionen aus Respekt vor den Toten zurück. Hawthorn fuhr weiter und gewann gemeinsam mit seinem Landsmann Ivor Bueb, eine Schuld an dem Unfall hat er nie eingeräumt. Fangio, der die Tragödie aus kurzer Distanz mitangesehen hatte, kehrte nie wieder nach Le Mans zurück. Sein Stallrivale Levegh hatte ihn kurz vor seinem Tod noch mit einem Handzeichen gewarnt. „Er war mein Lebensretter“, meinte der Argentinier.