Szene aus einem Spiel von RB Leipzig gegen TSG Hoffenheim.
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Coronavirus

Sportwelt denkt an Systemwandel

Weltweit steht der Sport aufgrund der Coronavirus-Pandemie praktisch still. In einer so noch nie da gewesenen Phase, die nicht nur in Österreich bei Athleten und Vereinen Existenzängste schürt, bleibt dieser Tage viel Zeit, sich Gedanken zu machen. Die Rufe nach einem Systemwandel im professionellen Sport weg von der Kommerzialisierung werden dabei immer lauter. Freilich stellt sich die Frage, ob diese nicht nur Gedankenspiele bleiben.

Der Präsident des Internationalen Fußballverbands (FIFA), Gianni Infantino, hat sich dabei zum Initiator einer Grundsatzdebatte über eine Entschleunigung im Fußball gemacht. „Vielleicht können wir den Fußball reformieren, indem wir einen Schritt zurück machen“, sagte Infantino anlässlich seines 50. Geburtstages in einem Interview der italienischen Tageszeitung „Gazzetta dello Sport“. Der Schweizer schlug vor: „Weniger Turniere, dafür interessantere. Vielleicht weniger Teams, dafür größere Ausgeglichenheit. Weniger Spiele, um die Gesundheit der Spieler zu schützen, dafür umkämpftere Partien.“

Gegner werfen dem Schweizer, der die WM auf 48 Teams aufgebläht und eine Club-WM mit 24 statt sieben Mannschaften forciert hat, vor, in Zeiten der Krise mit Machtinstinkt zu sagen, was die verunsicherten Fans hören wollen. Zumindest macht Infantino aber eine Debatte möglich, die vor der Pandemie nur Romantiker führten. Auch Bayern Münchens Ex-Präsident Uli Hoeneß sieht die Zeit für Änderungen gekommen. „Die Situation ist eine Gefahr, aber auch eine Chance, dass die Koordinaten etwas verändert werden können“, sagte er dem „Kicker“. „Es wird sehr wahrscheinlich eine neue Fußballwelt geben.“

FIFA Präsident Gianni Infantino.
APA/AFP/Robin Van Lonkhuijsen
Ganz neue Töne: FIFA-Boss Infantino hat das Motto „Weniger ist mehr“ für sich entdeckt

Wie die Reform des Fußballs konkret aussehen könnte, ist aber noch reine Gedankenspielerei. Eine Gehaltsobergrenze wird als Option genannt. Dreistellige Millionentransfers wird es womöglich nicht so schnell wieder geben. Eine ökonomische Gegenströmung fordert in Deutschland den Wegfall der 50+1-Regel, wodurch wiederum neues Geld investiert werden könnte. Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic hat diesbezüglich seine Zweifel: „Es hat immer Unterschiede zwischen den Clubs gegeben und es wird sie auch immer geben, unabhängig von der Krise“, sagte er gegenüber der Zeitung „Die Welt“.

Existenzängste auch bei den Großen

Die Debatten resultieren wohl auch aus einer Existenzangst heraus. Der Präsident der Europäischen Fußballclubvereinigung (ECA), Andrea Agnelli, der auch als Vorantreiber in Sachen Superliga auffällig war, sieht eine „existenzielle Bedrohung“ des europäischen Fußballs. „Weil der Fußball suspendiert ist, sind das auch unsere Einnahmen, von denen wir abhängen, um unsere Spieler, das Personal und andere operative Kosten zu bezahlen“, schrieb Agnelli an die ECA-Mitglieder.

Nach Ansicht Agnellis, dem Chef des italienischen Rekordmeisters Juventus Turin, sind die Verschiebung der Europameisterschaft und der Finale von Champions League und Europa League „nur ein Anfang“. So werde beispielsweise auf Ebene des Europäischen Fußballverbands (UEFA) bereits über ein möglichen neues Kalendermodell diskutiert. Passend dazu zeichnet der Forscher Matthias Horx eine positives Zukunftsbild: „Krisen wirken auch dadurch, dass sie alte Phänomene auflösen, überflüssig machen.“

Bresnik: „System hinterfragen“

Auch abseits vom Fußball machen sich viele Sportpersönlichkeiten Gedanken, etwa der langjährige Trainer und Manager von Österreichs Tennisass Dominic Thiem, Günter Bresnik. In einem Interview mit der APA nahm sich der 58-jährige Niederösterreicher wie gewohnt kein Blatt vor den Mund und gab sich zudem gesellschaftskritisch.

„Wie lächerlich ist es, wenn man überlegt, dass es Leute gibt wie etwa einen (Cristiano) Ronaldo, der pro Tag 100.000 Euro verdient, und dann haben wir nicht genug Geld für Leute, die die Gesundheitsarbeit machen. Da muss man das gesamte System hinterfragen, das geht einfach nicht“, sagte Bresnik, der punkto Ausgangsbeschränkungen Ausnahemregelungen für Spitzensportler andernorts kritisierte.

Der österreichische Tennis Trainer Günter Bresnik.
GEPA/Mario Kneisl
Wie gewohnt nimmt sich Ex-Thiem-Coach Bresnik kein Blatt vor den Mund

Vor allem die Relationen stimmen Bresnik nachdenklich, der bei seinem Beispiel bleibt. „Es ist lächerlich, wenn ein Ronaldo, ich weiß nicht, eine Million im Monat verdient, und ein Wissenschafter, der sich einen Wirkstoff gegen Krebs oder gegen das Coronavirus überlegt, mit 2.200 Euro heimgeht. Das steht in keiner Relation. Es geht nicht ums Abzocken, sondern wie erhalte ich die Welt in einer Form, dass sie auch noch auf Generationen hinaus so lebenswert bleibt, wie es für uns ist und war. Das sind meine Hauptsorgen als vierfacher Vater.“

Veränderungen im IOC gefordert

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) erntete zuletzt ebenfalls harte Kritik für den zögerlichen Umgang mit der Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 in Tokio um ein Jahr. „Das Verhalten von Herrn (IOC-Präsidenten Thomas, Anm.) Bach fand ich unmöglich", sagte die deutsche Biathlonolympiasiegerin Magdalena Neuner über ihren Landsmann. „Es hat sich genau das widergespiegelt, was ich selbst auch schon erlebt habe: Es geht bei Olympia eben nicht nur um die Sportler“, sagte sie in der „Augsburger Allgemeinen“.

Die Athletensprecher Hayley Wickenheiser und Max Hartung forderten unterdessen Veränderungen im IOC und setzten sich zugleich für mehr Mitspracherecht der Sportler ein. „Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir unser Business verändern können“, sagte die vierfache Eishockeyolympiasiegerin Wickenheiser aus Kanada am Samstag im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF. Auch der deutsche Säbelfechter sieht Handlungsbedarf. „Ich glaube, dass das IOC sich verändern sollte und dass man auch die Struktur verändern sollte.“ Hartung wünsche sich, „dass die Stimme der Athleten eine noch größere Rolle spielt“.