Powell war in den Jahren davor zum einzigen ernsthaften Rivalen von Lewis aufgestiegen, dass er die über zehn Jahre und 65 Wettkämpfe dauernde Siegesserie seines US-Landsmannes beenden würde, war im Vorfeld aber nicht erwartet worden. Und obwohl Lewis die weitesten vier Sprünge seiner glanzvollen Karriere gelangen, musste sich der Goldsammler, der vier seiner neun Olympiasiege und zwei seiner acht WM-Titel im Weitsprung gewann, schließlich mit Silber begnügen.
An diesem 30. August 1991 entwickelte sich im alten Olympiastadion der japanischen Hauptstadt jedenfalls eine nie zuvor oder danach auch nur annähernd erreichte Weitenjagd. Am Ende standen insgesamt fünf Sprünge auf mehr als 8,80 m und ein Weltrekord zu Buche. Die von Powell erreichten 8,95 Meter wurden seither nicht übertroffen und stehen seit mittlerweile fast 29 Jahren an der Spitze der Bestenliste.
„Flug ins nächste Jahrtausend“ verhindert
Gelöscht wurde dabei nach knapp 23 Jahren der damals älteste und wohl auch legendärste Leichtathletikweltrekord. Beamon war bei seinem Olympiasieg 1968 in Mexiko-Stadt mit 8,90 m in neue Sphären vorgedrungen. Beim von Medien – offensichtlich etwas voreilig – als „Flug ins nächste Jahrtausend“ bezeichneten Sensationssatz hatte der US-Amerikaner die bis dahin gültige Bestmarke gleich um unglaubliche 55 Zentimeter übertroffen.
Im Gegensatz zu Beamons Coup in der weite Sprünge begünstigenden Höhenlage der mexikanischen Hauptstadt fand das WM-Finale in Tokio auf Meereshöhe und somit unter „normalen“ Bedingungen statt. Der 30-jährige Lewis, bereits sechsfacher Olympiasieger und siebenfacher Weltmeister, galt als klarer Favorit. Seit 1981 hatte der Sprintsuperstar, der den Weitsprung oft als seine Lieblingsdisziplin bezeichnete, jeden Bewerb gewonnen. Sowohl bei den ersten beiden WM-Auflagen 1983 in Helsinki und 1987 in Rom als auch bei den Sommerspielen 1984 in Los Angeles und 1988 in Seoul hatte „King Carl“ triumphiert. In Südkorea hatte Powell bereits hinter Lewis Olympiasilber gewonnen, drei Jahre später war er dann als 27-Jähriger in absoluter Topform.
Lewis in dramatischem Finale bezwungen
Powell begann mit einem mäßigen Sprung auf 7,85 m, und Lewis setzte sich mit 8,68 m gleich an die Spitze des Klassements. Sein Herausforderer rückte ihm mit seinem zweiten Satz (8,54 m) recht nahe, während Lewis seinen einzigen ungültigen Finalversuch fabrizierte. Im dritten Durchgang kam Powell auf 8,29 m, Lewis baute seinen Vorsprung mit windunterstützten 8,83 m aus.
Im vierten Versuch deutete Powell dann sein Potenzial erstmals an und landete ganz in die Nähe der Weltrekordmarke. Sein Sprung wurde allerdings als übertreten und damit ungültig gewertet. Proteste von Powell gegen die äußerst knappe Entscheidung blieben erfolglos. Lewis setzte postwendend ein erneutes Rufzeichen und übertraf die Weite von Beamon. Seine 8,91 m galten zwar für das WM-Ergebnis, wegen zu starken Rückenwinds (3,0 Meter pro Sekunde statt maximal erlaubten 2,0) aber nicht als neuer Weltrekord. Diesen knackte im fünften Durchgang dann Powell. Er traf den Absprungbalken perfekt, flog auf besagte 8,95 m und brach danach in stürmlischen Jubel aus.
Der nunmehr auf Platz zwei verdrängte Lewis gab sich aber noch nicht geschlagen und zeigte mit imposanten 8,87 m den weitesten Sprung ohne unzulässige Windunterstützung seiner gesamten Karriere. Nach einem letzten ungültigen Versuch von Powell beendete Lewis den Bewerb schließlich mit 8,84 m. Trotz der besten Serie der Weitsprung-Geschichte und des viermaligen Übertreffens seiner bis dahin bei 8,79 m liegenden persönlichen Bestweite musste sich der Seriensieger erstmals seit mehr als zehn Jahren geschlagen geben.
Ursachenforschung bleibt ergebnislos
Nach diesem denkwürdigen Wettkampf wurden sogar Untersuchungen angestellt, warum es zu einer solchen Leistungsexplosion gekommen war. Anders als beim Beamon-Satz konnten zu starker Rückenwind oder ein Fehler an der Weitenmessanlage ausgeschlossen werden. Vermutungen über einen zu elastischen Absprungbalken ließen sich nicht mehr überprüfen, da dieser in der Zwischenzeit ausgetauscht worden war. Lediglich die Anlaufbahn erwies sich als außergewöhnlich elastisch – ihr Belag entspräche heutzutage nicht mehr den Vorschriften des Weltverbands World Athletics.
Erfolgreiche Revanche in Barcelona
Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona gelang Lewis dann übrigens die Revanche. 8,67 m reichten ihm knapp zu Gold, Powell kam ihm im letzten Versuch mit 8,64 m aber noch gefährlich nahe und holte wie vier Jahre zuvor Silber. In Abwesenheit von Lewis, der eine Weitsprung-Pause einlegte, verteidigte Powell dann 1993 in Stuttgart mit 8,59 m seinen WM-Titel souverän. 1995 in Göteborg reichte es für ihn noch zu WM-Bronze. Lewis, der in Schweden verletzungsbedingt gefehlt hatte, krönte sich dann 1996 in Atlanta mit 8,50 m zum vierten Mal in Folge zum Weitsprung-Olympiasieger. Powell kam hingegen nicht über Platz fünf hinaus.
Nach den Heimspielen beendeten beide US-Stars ihre Karriere. Powell versuchte zwar 2001 noch einmal ein Comeback, erklärte nach der verpassten Qualifikation für die Olympischen Spiele 2004 in Athen aber endgültig seinen Rücktritt.
Einmal sprang Powell übrigens noch weiter als bei der WM in Tokio. Im Juli 1992 erzielte bei einem Meeting in der Höhenlage des italienischen Skiortes Sestriere mit 8,99 m die größte Weite der Leichtathletikgeschichte. Der viel zu starke Rückenwind (4,4 Meter pro Sekunde) verhinderte aber die Anerkennung als Weltrekord. Wie lange der nunmehrige „Uraltrekord“ der WM 1991 noch die ewige Bestenliste anführt, ist natürlich offen. Derzeit chancenreichster Anwärter ist Juan Miguel Echevarria. Der erst 21-jährige Kubaner flog im Vorjahr in Havanna mit Windunterstützung 8,92 m weit.