Trainer Jesse March
Reuters/Francois Lenoir
Bundesliga

Marsch lebt seinen amerikanischen Traum

Seit dieser Saison ist Jesse Marsch der erste Trainer aus den USA in der tipico-Bundesliga. Der 46-jährige Salzburg-Coach kommt aus Racine, einem kleinen Ort im ländlichen Bundesstaat Wisconsin nördlich von Chicago. „Allein die Situation hier in Salzburg ist für mich schon eine große Gelegenheit. Als ein Junge aus Wisconsin hier zu sein ist fast unmöglich“, betonte Marsch im ORF.at-Interview und beschrieb auf diese Weise seinen wahr gewordenen amerikanischen Traum, der ihn nach Österreich führte.

Wer an Wisconsin denkt, hat in erster Linie Käse, Bier oder den 13-fachen Rekordmeister der National Football League (NFL), die Green Bay Packers, im Kopf. Marsch fühlte sich aber früh zum Fußballer berufen und avancierte in der 1996 gegründeten Major League Soccer (MLS) zu einem Führungsspieler – 200 Pflichtspiele absolvierte er für Chicago Fire. Zweimal streifte der reiselustige Trainer, der mittlweile in 67 Ländern in aller Welt zu Gast war, auch das US-Trikot über.

Noch in Spielerzeiten hatte sich der dreifache Familienvater, der auf der renommierten Universität Princeton studiert hatte, entschieden, Trainer zu werden. Nach einer enttäuschenden ersten Station bei Montreal Impact startete Marsch 2015 bei Red Bull New York, wo er seinen Pressingfußball implementierte, endgültig durch. Bereits 2017 galt er daher als Kandidat für den vakanten Trainerposten in Salzburg.

In den USA nahm Marsch, dessen Großeltern aus Deutschland und Polen stammen, bereits Deutschstunden. Via RB Leipzig, wo er 2018/19 Assistent von Ralf Rangnick war, folgte im Juli 2019 dann der nächste logische Schritt nach Salzburg. Im Herbst gewann er als erster US-Trainer ein Spiel in der Champions League. Aktuell ruht der Ball wegen der Coronavirus-Pandemie, im Interview mit ORF.at sprach Marsch daher auch über seinen nicht alltäglichen Werdegang.

ORF.at: Sie kommen aus dem US-Bundesstaat Wisconsin, wo die Green Bay Packers das sportliche Aushängeschild sind. Waren Sie früher oft bei Spielen im legendären Lambeau Field?

Jesse Marsch: Ja, ich glaube um die 20-mal. Die Packers sind das coolste Thema in Wisconsin, jeder liebt es, während der Saison die Spiele zu schauen. Die beste Zeit ist für mich, wenn es dort ganz kalt ist. Wir fahren üblicherweise auch rund um Weihnachten nach Green Bay für ein Spiel, zuletzt hatte ich dafür aber leider keine Zeit mehr.

Match zwischen den Green Bay Packers und Oakland Raiders
Privat
Das Lambeau Field ist das sportliche Wahrzeichen von Wisconsin und liegt zwei Autostunden von Marschs Heimatort entfernt

ORF.at: Gibt es für Sie Vergleichbares in Österreich?

Marsch: Für mich ist die Skikultur hier so besonders. Ich mag es, wie die Leute hier mit dem Thema umgehen. Wenn wir am Weg zu einem Spiel waren, lief auf einem Fernseher im Bus immer auch Skifahren. Ein Österreicher weiß alles über die Läufer, auch über ihre Geschichte. Wir hatten zwar auch immer wieder in den USA gute Skifahrer, aber es nicht so ein Thema.

ORF.at: Wie groß ist mittlerweile das Thema Fußball in den USA?

Marsch: Fußball wird nach wie vor größer. Der erste Schritt war damals die Weltmeisterschaft 1994, dann die Major League Soccer 1996, weil sie erstmals eine richtige Liga war – und die Ankunft von David Beckham (2007, LA Galaxy, Anm.). Früher war es so, dass Stars auf Kunstrasen oder auswärts nicht gespielt haben, Beckham hat immer gespielt und sei es 36 Stunden nach einem Spiel mit dem englischen Nationalteam in London. Er wollte dem Fußball in den USA helfen.

ORF.at: Sie hätten Football, Basketball, Baseball, Eishockey spielen können – warum ist es Fußball geworden?

Marsch: Ich war schon immer sportlich, habe viele Sportarten probiert, aber Fußball hat sich für mich einfach natürlich angefühlt. Es hat mir am meisten Spaß gemacht, zudem hatte ich gute Trainer und eine gute Ausbildung. Ausschlaggebend war aber sicherlich die innere Leidenschaft, daraus ist Schritt für Schritt ein Momentum geworden.

ORF.at: Sie haben in Zeiten der North American Soccer League (1974–1984, Anm.) mit Fußball begonnen, als zum Beispiel Pele und Franz Beckenbauer für New York Cosmos gespielt haben. Waren diese Weltstars auch eine Inspiration für Sie?

Marsch: Ich habe New York Cosmos nie live gesehen, Chicago ist aber nicht so weit entfernt gewesen, deswegen haben wir oft Chicago Sting spielen gesehen. Da spielten zu dieser Zeit auch europäische Spieler. Es war aber nicht nur das, wir konnten mit der Zeit auch deutsche Bundesliga oder die Serie A im Fernsehen verfolgen, zumindest Zusammenfassungen, später dann auch die Champions League.

David Beckham und Jesse Marsch
AP/Mark J. Terrill
Als Spieler hatte Marsch (r.) einmal eine Auseinandersetzung mit Beckham (l.), abseits zollt er ihm größten Respekt

ORF.at: Sie haben auf der renommierten Universität Princeton studiert und dort Fußball gespielt. Wollten Sie immer auch schon Profifußballer werden?

Marsch: Ich bin deswegen nach Princeton gegangen, weil ich dachte, dass für mich Fußball nach der Universität vorbei sein würde. Nicht viele Menschen verlassen Wisconsin, weder zum Arbeiten noch für andere Erfahrungen. Es ist ein toller, kleiner Bundesstaat, die Leute sind bodenständig und nett. Princeton war aber nie ein Thema für jemanden aus meiner Heimatstadt. Ich war der Erste von meiner Schule seit 40 Jahren, der in Princeton war. Es war im ersten Monat auch ein großer Kulturschock. Das Niveau war hoch, es war eine große Herausforderung, aber ich habe so viel gelernt, vor allem was das Menschliche betrifft. Später erst habe ich mich dazu entschieden, Profifußballer zu werden.

ORF.at: Sie galten in der Major League Soccer als Führungsspieler. Wussten Sie früh, dass Sie auch Trainer werden wollen?

Marsch: Nach drei Jahren als Spieler habe ich überlegt, nach meinem Abschluss der Business School nach Europa zu gehen. Wir haben dann aber unser erstes Kind erwartet, und ich habe in Chicago einen neuen Vertrag unterschrieben. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte ich im Kopf, dass ich Trainer werden könnte. Ich habe danach meine Lizenz gemacht und junge Spieler an der Universität trainiert. Ich habe auch viele Reisen nach Europa gemacht, zu Spielen nach England. Ich habe viel gelesen, viel mit Leuten gesprochen. Schon meine Spielerkarriere war irgendwie ein Rechercheprojekt für meine Trainerkarriere.

ORF.at: Seit 2015 stehen Sie nun bei Red-Bull-Vereinen unter Vertrag. Wie war der erste Kontakt?

Marsch: Gerard Houllier (früherer Head of Global Soccer, Anm.) und Ralf Rangnick (früher u. a. Sportchef in Leipzig und Salzburg) hatten eine ähnliche Idee von Fußball. Ich wollte eine Mannschaft, die sehr gut im Umschalten ist – defensiv wie offensiv. Das war mein Ziel und meine Idee von Fußball. Wir hatten damals viele Gespräche und eine gute Verbindung aufgebaut, und haben dann die Zusammenarbeit fixiert.

Ich habe dann später in Doha, wo Leipzig und Salzburg 2015 auf Trainingslager waren, mit Rangnick und auch Helmut Groß (Rangnick-Mentor, Anm.) viel über Details gesprochen. Aber ich hatte in New York immer freie Hand, und wir hatten viel Spaß, weil es einfach eine tolle Art von Fußball ist. Die Mentalität hat in New York alles geändert, am Ende waren wir die beste Mannschaft im Grunddurchgang (in der Vorsaison wurde noch Rang acht belegt, Anm.). Wir sind dann in den Play-offs im Halbfinale gescheitert, aber 2015 war ein super Jahr.

Jesse Mark als Trainer von New York
AP/SPTSW/Rich Graessle
2015 gelang Marsch als Trainer von Red Bull New York der Durchbruch, diese Saison ebnete auch seinen Weg nach Europa

ORF.at: Sie haben noch in den USA Deutsch gelernt und sind nach Europa gegangen. Sie betonen oft, wie wohl sie sich in Salzburg fühlen. Könnten Sie sich vorstellen, auch länger zu bleiben?

Marsch: Allein die Situation hier in Salzburg ist für mich schon eine große Gelegenheit. Als ein Junge aus Wisconsin hier zu sein ist fast unmöglich. Ich genieße das jeden Tag und gebe alles dafür. Ich habe nämlich auch gelernt in meinem Leben: Wenn man gut arbeitet, bekommt man Chancen, als Spieler und auch als Trainer. Aber ich habe solche Gedanken aktuell nicht im Kopf, ich bin hier in Salzburg.

ORF.at: Aktuell beschäftigt uns alle die Coronavirus-Pandemie. In sportlicher Hinsicht haben Sie gesagt, dass Sie lieber Geisterspiele als einen Abbruch der Meisterschaft hätten. Wie schätzen Sie die sportliche Situation ein, sollte es zum Finaldurchgang kommen?

Marsch: Die Liga ist stark, der LASK hat eine sehr starke Mannschaft, und ich habe auch viel Respekt vor Rapid. Gerhard Struber hat es mit dem WAC sehr gut gemacht, sie sind nach wie vor vorne mit dabei. Gegen Sturm ist es auch nie einfach. Ich mag den Wettbewerb in unserer Liga. Außerdem haben wir das Cupfinale erreicht, ich hoffe, wir können auch dieses Spiel spielen. Und ich hoffe natürlich, dass wir die Meisterrunde spielen können. Ich habe vor allem großen Glauben in unsere Mannschaft. Aus einer sehr schwierigen Phase im Februar (fünf sieglose Spiele, Anm.), haben wir viel gelernt.

ORF.at: Die Coronavirus-Pandemie ist für alle eine Ausnahmesituation. Was stimmt Sie in dieser Zeit dennoch positiv?

Marsch: Die Situation ist nicht einfach, aber das Positive ist, dass wir als Familie viel Zeit miteinander verbringen können. Das ist mitten in der Saison nicht üblich. Ich habe auch schon gelernt, dass ich ein viel besserer Trainer als Lehrer für meine Kinder bin (lacht, Anm.).

Wir können diese Zeit aber auch für Verbesserungen innerhalb des Teams nützen, wir schauen viele Videos. Wir haben Zeit für die Analyse unseres Spielstils. Ansonsten müssen wir vor allem unsere jungen ausländischen Spieler unterstützen, die alleine wohnen und weit weg von ihrer Heimat sind. Wichtig ist, dass wir ein gutes Gemeinschaftsgefühl haben, und ich denke, das haben wir.

ORF.at: Sie leben in Österreich und kommen aus den USA. Wie bewerten Sie da wie dort die Entscheidungen der Regierungen?

Marsch: Hier in Österreich wurden die Lehren daraus gezogen, was in Italien passiert ist. Ich denke, die Regierung hier hat sehr gut reagiert. Ich habe viel Respekt vor den Regeln und der Kommunikation. Es ist für alle klar, was das Ziel ist. In den USA ist das nicht so, und ich denke, dass sie die Situation unterschätzt haben. Wir haben viel Kontakt mit Familie und Freunden und sie auch vorgewarnt, dass sie zu Hause bleiben sollen. Am Ende können wir aber auch nur kommunizieren, jeder muss für sich Entscheidungen treffen. Der Sport ist jetzt nicht so wichtig, aber wir können mit positivem Beispiel vorangehen.