Yegor Khvalko
Reuters/Vasily Fedosenko
Fußball

Weißrusslands Fans kehren Liga Rücken

Überall in Europa steht der Fußball aufgrund der Coronavirus-Pandemie still, einzig in Weißrussland rollt das Leder in der obersten Liga wie gehabt. Auch wenn Staatschef Alexander Lukaschenko die Krise weiterhin wegzureden versucht, steigt die Zahl der Infektionen auch in der ehemaligen Sowjetrepublik. Das spürt nun auch der Fußball, dem die Fans davonlaufen – zum Teil auf Anregung der Vereine selbst.

„Bleiben wir zu Hause, reduzieren wir die Ansteckungsgefahr, schützen wir uns und unsere Lieben“, hieß es etwa in einem Statement von Erstligist Neman Grodno, der am Freitag vor gezählten 253 Zuschauern kickte. Das 1:1 gegen Schlusslicht Belschina Bobruisk der vierten Runde fand quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, im Schnitt waren in der Vorsaison immerhin 1.500 Zuschauer zu den Heimspielen Grodnos gekommen.

Vor Beginn der Freitagspartie hatten die Grodno-Spieler vor leeren Rängen applaudiert. Die Aktion soll als Ansporn für den Anhang dienen, auch weiterhin zu Hause zu bleiben und die Stadien zu meiden. Die Grodno-Fans hatten erst vor rund zwei Wochen ähnlich wie jene von Schachtjor Soligorsk einen Fanboykott der Spiele ausgerufen.

Match in Weißrussland
Reuters/Vasily Fedosenko
Je mehr Menschen in Weißrussland am Coronavirus erkranken, umso mehr meidet das Publikum freiwillig die Fußballstadien

TV-Boom und harsche Kritik

Auf die Zuschauerzahlen der TV-Übertragungen wirkt sich die Fortführung des Spieletriebs wenig überraschend positiv aus. Die weißrussische Liga verzeichnet Zahlen wie noch nie zuvor. Als eine der weltweit noch wenigen spielenden Ligen sicherte sie sich in der Coronavirus-Krise sogar mehrere internationale Fernsehverträge. Grodno-Coach Eduard Gradobojew hilft das aber nur wenig. „Fußball ist für Zuschauer. Natürlich ist das ein Problem“, sagte er.

Harsche Kritik am Weiterlaufen der Liga übte Nikolaj Solotow, ein Weißrusse, der für Ural Jekaterinburg im russischen Oberhaus kickt. In einem Interview mit Tribuna.com verglich er die Situation mit jener beim Atomdesaster 1986 in Tschernobyl. Damals versuchte die Sowjetmacht den Ausmaß des Unfalls lange Zeit zu vertuschen. „Niemand weiß wirklich, wie viele Leute krank sind, wo sie sind und wie sie behandelt werden“, wurde Solotow zitiert. „Hat sich in 34 Jahren wirklich nichts verändert?“

Lukaschenkos „Psychose“-Theorie

In der von Staatschef Lukaschenko seit 1994 autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik wurden aktuell rund 2.226 Coronavirus-Fälle registriert. 23 coronavirusinfizierte Menschen sind gestorben. Die Zahlen stiegen in dem osteuropäischen Land in den vergangenen Tagen allerdings rasant an.

Die Führung in Minsk wurde national und international stark kritisiert, weil weiterhin Fußballspiele vor großem Publikum ausgetragen und kaum Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen wurden. Lukaschenko redete das Problem als „Psychose“ klein und versuchte zu erklären, warum er nicht auf strikte Quarantänemaßnahmen setzt: Natürlich könne er das, erklärte er am Dienstag vor Funktionären, „aber was werden wir essen?“

WHO über Lage in Weißrussland besorgt

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kommen bezüglich dieser Einstellung deutliche Worte. Öffentliche Versammlungen mit vielen Menschen sollten verschoben werden, so der Leiter der weißrussischen WHO-Mission Patrick O’Connor am Samstag in Minsk. „Jetzt ist es an der Zeit, die Anstrengungen zu verstärken“, sagte der WHO-Experte.

Das Land sollte seine Notfallpläne aktivieren, damit Krankenhäuser auf hohe Patientenzahlen vorbereitet seien. „Das ist ein Marathon, kein Sprint.“ Am Karsamstag gab es trotz der Pandemie viele Gottesdienste. O’Connor sprach von einer besorgniserregenden Lage in Weißrussland.