Boxkampf in Managua
Reuters/Oswaldo Rivas
Hintergrund

Nicaragua boxt Pandemie beiseite

Das Coronavirus hat den Sport weltweit im Griff. Weltweit? Nicht ganz, denn vier Länder trotzen aktuell weiter der Krise und agieren, als ob es die Pandemie in ihrer Form nicht gäbe. Neben Weißrussland in Europa, Turkmenistan in Asien und Burundi in Afrika ist das vor allem Nicaragua, wo nicht nur der Fußball weiter rollt, sondern auch bei Boxveranstaltungen der Rat zur Vermeidung von Körperkontakt in den Wind geschlagen wird.

Wie in einer Parallelwelt geht das Leben in Nicaragua größtenteils weiter. In Nicaragua finden nicht nur die populären Fußball- und Baseballmeisterschaften weiter statt, es fliegen auch im Boxring die Fäuste. Erst vergangenen Samstag fanden in der Hauptstadt Managua acht Kämpfe vor Publikum statt. Der US-Sportsender ESPN übertrug die Veranstaltung, Hunderte Zuschauer waren auf den Tribünen. Bei diesen wurde beim Betreten der Halle allerdings die Körpertemperatur gemessen, und Hände und Schuhsohlen wurden desinfiziert. Zwischen den Fans wurde Abstand gehalten, und sie trugen Mundschutz.

Die Boxer traten hingegen ohne Mund- und Nasenschutz zu den Kämpfen an. Auch getestet wurde von den Sportlern im Gegensatz zu den Zuschauern keiner. Trotzdem gingen die Kämpfer das Risiko bewusst ein – oder müssten es eingehen, so der veranstaltende Promoter Rosendo „El Bufalo“ Alvarez in deinem Interview mit der Nachrichtenagentur AP. „Nicaragua ist ein armes Land, die Boxer müssen essen.“ Der frühere Boxer zeigte sich auch stolz über den eigenen Weg, den sein Land in der Krise beschreite. Nicaragua sei so stabil, dass es als einziges Land der Welt trotz der kritischen Situation Boxkämpfe anbieten könne, so Alvarez.

Beinahe normaler Sportbetrieb in Nicaragua

In Nicaragua finden nach wie vor Sportveranstaltungen statt. Sogar Kontaktsport wie Boxen wird ausgetragen.

Für andere Experten ist der Zugang des Promoters widersinnig. „Wenn sich ein Boxer infiziert und vielleicht sogar stirbt, dann isst die ganze Familie nicht mehr“, wird etwa der renommierte deutsche Ringarzt Walter Wagner in der Deutschen Presseagentur (dpa) zitiert. Es sei verantwortungslos, dass in Zeiten der Pandemie Kämpfe ausgetragen würden: „Die Virenübertragung bei diesem Kampfsport ist jederzeit möglich.“ Auch Ring- und die Punktrichter seien – trotz Masken – durch die über Schläge ausgelöste Verbreitung von Schweiß und Speichel gefährdet.

Boxkampf in Managua
Reuters/Oswaldo Rivas
Bei den Kämpfen in der Hauptstadt Managua bestand nur für Personen außerhalb des Rings Maskenpflicht

Fußballfans weichen auf Hügel aus

Auch im Fußball geht Nicaragua seinen eigenen Weg. Während überall auf der Welt in diesen Tagen Entscheidungen anstehen, ob – und wenn ja, wie – unterbrochene Meisterschaften zu Ende gespielt werden können, stellt man sich in Mittelamerika diese Frage nicht. Es wird bereits seit Ausbruch der Pandemie weiter gekickt. Am Mittwoch wurden die Halbfinal-Rückspiele der Liga Primera ausgetragen. Im Finale stehen Real Esteli und Managua FC.

Die Regelungen des mittelamerikanischen Staates zum Spielbetrieb in der Krise dürften sich europäische Ligen allerdings nicht zum Vorbild nehmen. Die Partien finden zwar vor leeren Rängen statt, verbindliche Maßnahmen zum Schutz der Spieler, Trainer und Schiedsrichter gibt es jedoch nicht. Laut Nectali Mora Zeledon von der Radiosendung „Los Provocadores“ aus El Salvador ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Gruppen von Fans die Spiele von Mauern oder Hügeln an den Stadien anschauen.

Fußballmatch in Nicaragua
Reuters/Oswaldo Rivas
Auch auf den traditionellen Handschlag vor dem Match wird in Nicaragua trotz CoV-Pandemie nicht verzichtet

Nicaragua gehört zusammen mit Weißrussland, Turkmenistan und Burundi zu den wenigen Ländern, in denen trotz der globalen Pandemie noch der Ball rollt. Allerdings werden auch in diesen Ländern die Vorgaben, vor allem was Zuschauer betrifft, immer strenger. Zuletzt schied Tadschikistan aus der Reihe der Maßnahmenverweigerer aus. Nachdem die Fußballmeisterschaft Anfang April gestartet wurde, wurde sie nach drei Wochen wieder unterbrochen und ruht nun bis zum 10. Mai.

Regierung straft Kritiker

Nach offiziellen Angaben wurden in Nicaragua erst 13 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet – drei von ihnen starben im Zuge einer Covid19-Erkrankung. Die Richtigkeit dieser Angaben wird angesichts der weltweiten Situation von fast allen Experten angezweifelt. Nicaragua hat seine Grenzen nicht geschlossen, es gibt dort keine Ausgangsbeschränkungen, Schulen und Geschäfte bleiben offen. Die Regierung von Präsident Daniel Ortega erlaubt nicht nur Massenveranstaltungen, sondern organisiert sie selbst.

„Wenn wir hier aufhören zu arbeiten, stirbt das Land“, sagte Ortega vor rund zwei Wochen bei einem seltenen öffentlichen Auftritt. Amnesty International warf Ortegas Regierung vor, das Leben Tausender Menschen aufs Spiel zu setzen. Kritik an der Regierung kann in Nicaragua negative Konsequenzen haben – etwa für Ärzte, die nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) willkürlich entlassen wurden.

Auch prominente Sportler sind vor Strafen nicht gefeit, wenn sie der Regierung widersprechen. Robbin Zeledon, einer der Nachwuchsstars im Baseball, wurde für ein Jahr von der Liga suspendiert, weil er aus Angst vor einer CoV-Infektion nicht spielen wollte. Dennis Martinez, eine nicaraguanische Legende im Baseball, lobte im Interview der Zeitung „La Prensa“ Zeledons Mut. „Die Funktionäre werden verantwortlich sein für die Familien, die sterben könnten“, sagte er. Mit vereinten Kräften könnten die Spieler aber auch einen Abbruch des Spielbetriebs erreichen. „Sie müssen sich vereinen und für das Recht auf Leben kämpfen“, forderte Martinez.