Start des Grand Prix von Abu Dhabi im Dezember des Vorjahres
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Formel 1

FIA-Chef Todt fordert Radikalkur

In tiefer Sorge um die Formel 1 und seine gesamte „Vollgaswelt“ ruft der Chef des Internationalen Automobilverbandes (FIA) zur Radikalkur auf. „Was wir brauchen, ist ein komplettes Umdenken im Motorsport. Wir könnten von einem New Deal reden, wie ihn Amerika nach der Weltwirtschaftskrise hatte“, lässt sich FIA-Präsident Jean Todt im jüngsten Verbandsmagazin zitieren.

Der frühere Ferrari-Teamchef weiß, dass der von der Coronavirus-Pandemie verursachte Stillstand auch die Zukunft seines Premiumprodukts Formel 1 gefährdet. Zugleich könnte die Krise aber auch die Chance für überfällige Reformen in der Rennserie sein, meinte der 74-jährige Franzose.

Das sei ein „schmerzhafter“ Prozess, sagte Formel-1-Sportchef Ross Brawn. „Aber ich denke, wir werden stärker daraus hervorgehen, wenn wir da durchkommen“, fügte der Brite – Spitzname „Superhirn“ – hinzu. Kostengünstiger soll die Formel 1 werden, gerechter und effizienter. Näher am Fan, spannender und angeblich sogar klimafreundlicher. All das wollte Rechteinhaber Liberty Media schon vor der CoV-Krise durchsetzen, nun aber ist der Zwang zu schnellen Veränderungen ungleich größer.

Niedrigere Ausgabengrenze erhöht Chancengleichheit

Neben einem Notkalender mit einem Saisonstart am 5. Juli in Österreich und einer Serie von „Geisterrennen“ diskutieren die Formel-1-Macher seit Wochen vor allem über die künftige Ausgabengrenze. Die einst für 2021 beschlossenen 160 Millionen Euro pro Team und Jahr sind längst überholt, der Sparzwang ist übermächtig. 133 Millionen Euro sollen es nun im nächsten Jahr sein, verkündete Unterhändler Brawn. „Und die Frage ist, wie weit wir das in den nächsten Jahren noch drücken können“, ergänzte der 65-Jährige.

Vor allem Ferrari wehrt sich gegen eine noch weitere Reduzierung des Limits, weil das Traditionsteam sonst wohl viele Mitarbeiter entlassen müsste – und sich vor einem Aufholen der kleineren Rennställe fürchtet. Doch im Kampf Groß gegen Klein haben diesmal die Underdogs die stärkeren Argumente und die Regelhüter auf ihrer Seite. „Als eine Familie sollten wir in der Formel 1 nach allen Beteiligten schauen“, meinte sogar Ferrari-Star Sebastian Vettel.

Ferrari in der Box
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Bei Ferrari könnte eine weitere Budgetkürzung zur Entlassung von etlichen Mitarbeitern führen

„Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist in der jetzigen Situation die Priorität, und das gilt für die großen Teams genauso wie für die kleinen“, betonte Sportchef Brawn. Für mehr finanzielle Chancengleichheit soll auch das Preisgeld künftig anders verteilt werden. Die Mittelfeldteams erhalten dann mehr aus diesem Topf als bisher. Weniger Ausgaben, höhere Einnahmen – mit diesem Rezept soll die Konkurrenz demnächst bessere Chancen gegen die Platzhirsche Mercedes, Ferrari und Red Bull haben.

Hoffen auf neue Teams

Zugleich hoffen FIA und Eigentümer mit einem neuen Geschäftsmodell auch auf Neuzugänge. Die Formel 1 sei offen für zwei neue Rennställe, wenn sich Investoren finden würden, berichtet das Fachmagazin „Auto, Motor und Sport“. Durch den erforderlichen Personalabbau bei aktuellen Teams wären Fachkräfte verfügbar. Der Einstieg sei durch das Budgetlimit günstiger möglich als bisher.

Allerdings ist keineswegs sicher, dass alle aktuellen Teams trotz der Millionenvorschüsse vom Rechteinhaber nach der Krise noch dabei sind. Privaten Rennställen droht bei einer langen Zwangspause die Pleite. Hersteller wie Mercedes und Renault könnten wegen der Notlage in der Autoindustrie ihr Engagement überdenken. „Ich hoffe, die Teambesitzer und Sponsoren behalten ihre Motivation. Wir müssen sie in ihrem Gefühl bestärken, dass sie es weiter wollen und brauchen“, mahnte FIA-Chef Todt.

FIA-Präsident Jean Todt
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FIA-Präsident Jean Todt hofft auf anhaltende Motivation bei den Teambesitzern und Sponsoren

Ecclestone für kompletten Neubeginn

Der langjährige Chefvermarkter Bernie Ecclestone rät seinen Nachfolgern zu noch drastischeren Schritten. „Man sollte das Regelbuch zerreißen und ganz neue Regeln schreiben“, sagte der 89-jährige Brite in einem „Autocar“-Interview. Weg mit überkomplizierter Technik und Hybridmotoren, zurück zu dröhnenden Verbrennern und größeren Freiheiten für Fahrer – das ist Ecclestones Vision. „Wir müssen sicherstellen, dass die Formel 1 ein Entertainment-Paket bleibt.“

Auch wenn Ecclestone damit wohl einigen Fans aus der Seele spricht, dürften seine Vorschläge bei den Entscheidungsträgern ungehört verhallen. „Wir müssen bescheiden sein. Auch wenn wir Motorsport lieben, ist er nicht unverzichtbar für die Gesellschaft“, weiß Todt. „Also müssen wir angemessene und weise Entscheidungen treffen.“