Jubel von Roger Milla (Kamerun) bei der WM 1990
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Fußball

Als „Opa“ Milla sich in die Herzen tanzte

In der Coronavirus-Pandemie wird es aufgrund der Verschiebung der Europameisterschaft auf 2021 keinen Fußballsommer geben. Vor 30 Jahren war das anders. Bei der Weltmeisterschaft 1990 wurde von Mailand bis Palermo „L’estate italiana“ gefeiert. Ein „Opa“ aus Kamerun tanzte sich einst nicht nur in die Herzen der Fans: Der damals 38-jährige Roger Milla, der am 20. Mai Geburtstag feierte, führte Kamerun auch zu einem historischen WM-Coup.

Der Stürmer war neben dem Italiener Salvatore „Toto“ Schillaci, der zweite vermeintliche „No-Name“, der sich bei der 14. Weltmeisterschaft der Männer wie aus dem Nichts ins Rampenlicht katapultierte. Während Schillaci mit sechs Treffern Torschützenkönig wurde, sorgte sein Pendant bei Kamerun mit vier Toren dafür, dass die „Unbezwingbaren Löwen“ aus Zentralafrika bis ins Viertelfinale vorstießen. Das war einer afrikanischen Mannschaft bei einer WM davor noch nie gelungen. Auch danach konnten nur Senegal 2002 und Ghana 2010 das Kunststück aus afrikanischer Sicht wiederholen.

Milla, der bereits 1973 im Dress Kameruns debütiert und bereits 1982 in Spanien an einer WM teilgenommen hatte, wurde über Nacht zum Superstar. Vor allem sein Jubel nach Toren an der Eckfahne, wo Milla mit einem Makossa genannten Tänzchen seiner Freude Ausdruck verlieh, machte den 1952 in Kameruns Hauptstadt Yaounde geborenen Milla weltberühmt. Dabei hatte sich der Angreifer sportlich bereits davor einen Namen gemacht. Als Legionär in Frankreich hatte Milla unter anderem bei Bastia, Saint-Etienne und Montpellier seinen Torriecher bewiesen.

Roger Milla tanzt an einer Eckfahne während eines Besuchs in einer Fußballschule in Nairobi 2010
Reuters/Noor Khamis
Das Tänzchen an der Cornerfahne blieb auch nach seiner aktiven Karriere Millas Markenzeichen

Dank Präsidenten-Befehl im Kader

Zum Zeitpunkt der WM in Italien galt Milla in Kamerun aber bereits als Auslaufmodell und hatte seine Profikarriere beendet. Der heute 68-Jährige spielte nur noch als Amateur, und das weit weg von der Heimat. Milla hatte vor, seine Laufbahn als Amateur bei Jeunesse Sportive Saint-Pierroise auf der französischen Insel La Reunion auslaufen zu lassen. In den Plänen des damaligen russischen Teamchefs der „Löwen“, Waleri Nepomnjaschtschi, spielte der Stürmer daher auch keine Rolle.

Das änderte sich jedoch, als Kameruns Präsident Paul Biya Afrikas Fußballer des Jahres 1976 bei einem Benefizspiel auf die Beine schaute. Der heute noch immer regierende Machthaber entschied, die „Lichtgestalt“ Milla müsse in den Kader. Nepomnjaschtschi hatte sich zu fügen und gab dem Veteranen – zum Missfallen mancher Teamkollegen – einen Platz im WM-Aufgebot. „Ich finde, er (Biya) war wohl gar kein schlechter Trainer“, scherzte Milla später. Und der Routinier bedankte sich bei seinem Präsidenten mit einem Turnier wie aus dem Bilderbuch.

Roger Milla (Kamerun) und Jose Rene Higuita (Kolumbien) bei der WM 1990
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Im Achtelfinale gegen Kolumbien schoss sich Milla (Mi.) endgültig ins Rampenlicht

Nach dem sensationellen 1:0-Sieg im Eröffnungsspiel über Titelverteidiger Argentinien avancierte der Stürmer-„Opa“ mit einem Doppelpack beim 2:1 gegen Rumänien zum Matchwinner und sicherte Kamerun einen Platz im Achtelfinale. Gegen Kolumbien durfte Milla u. a. dank eines haarsträubenden Fehlers von Goalie Rene Higuita in der Verlängerung erneut doppelt tanzen und verhalf seinem Team ins Viertelfinale gegen England. Dort war für die „Löwen“ Endstation – allerdings ebenfalls erst nach Verlängerung.

Ältester WM-Torschütze der Geschichte

Der 1990 erworbene Ruhm wirkte für Milla auch vier Jahre später bei der WM in den USA nach. Jetzt war kein präsidiales Dekret notwendig, um dem bereits 42-Jährigen einen Platz im Kader zu verschaffen. „Sie hatten einfach kein Vertrauen in einen der anderen Spieler. Ich spielte damals für den kamerunischen Club Tonnerre Yaounde und war fit und bereit. Ob ich auch selbstsicher war? Ja, unbedingt“, erinnerte sich Milla in einem Interview auf der FIFA-Homepage.

Jubel von Roger Milla (Kamerun) bei der WM 1990
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Er kam, sah und traf – mit 42 Jahren sorgte der nimmermüde „Opa“ aus Yaounde auch bei der WM 1994 für Furore

Am 28. Juni 1994 im letzten Gruppenspiel gegen Russland schrieb der Veteran dann ein Stück Fußballgeschichte. Eine Minute nach seiner Einwechslung zur Pause traf der Stürmer zum 1:3 aus Sicht Kameruns. Mit 42 Jahren und 39 Tagen krönte sich Milla zum ältesten WM-Torschützen der Geschichte. Schon mit seiner Einwechslung hatte der Kameruner mehrere Bestmarken aufgestellt. Milla war der erste Afrikaner, der bei drei Weltmeisterschaften auflief und auch der bis dahin älteste Spieler bei einer WM. Erst 2014 in Brasilien löste der kolumbianische Torhüter Faryd Mondragon Milla mit 43 Jahren in der Rangliste ab.

Auch seinen 68. Geburtstag feierte Milla, der laut eigenen Angaben „kein wildes Leben, sondern ein sehr gesundes“ geführt hat, als ältester WM-Torschütze der Geschichte. Wichtig ist der Kultfigur sein Ruhm allerdings nicht. „Es ist zwar eine Ehre, aber es ist mir nicht übermäßig wichtig. Natürlich erinnere ich mich noch gern an das Tor, doch wie man so schön sagt: Rekorde sind dafür da, gebrochen zu werden“, sagte Milla einst. Die mangelnde Euphorie erklärt sich vielleicht mit einem anderen Rekord, der an jenem 28. Juni 1994 aufgestellt wurde: Oleg Salenko traf beim russischen 6:1 über Kamerun fünfmal – auch das gab es davor und danach bei einer WM nie wieder.